Exklusivinterview: Peer Steinbrück über die Bändigung der Finanzmärkte

"Politik muss entschlossen handeln!"

Peer Steinbrück leitet die Projektgruppe Neuregelung der Finanzmärkte. Im Interview mit spdfraktion.de spricht er über die Ursprünge der Krise, den Verlust von Vertrauen und wie er mit Kritik umgeht.

Peer Steinbrück im Gespräch
(Foto: Bildschön)

spdfraktion.de: Seit fünf Jahren haben wir eine Finanzkrise, die erst Banken, dann ganze Staaten erfasst hat. Wie kam es eigentlich dazu?

Peer Steinbrück: Alles begann mit einer Blase im Hypothekenmarkt der Vereinigten Staaten, die zunächst beherrschbar erschien. Die wuchs sich dann allerdings zu einer weltweiten Finanz- und später Wirtschaftskrise aus. Jetzt haben wir es neben nach wie vor labilen Verhältnissen im Bankensektor gar mit einer Notlage ganzer souveräner Nationalstaaten zu tun, die auf der Wegstrecke der Krise in eine dramatisch hohe Staatsverschuldung gerutscht sind. Die Ursachen waren ganz sicher unterregulierte Finanzmärkte und eine immense Risikoignoranz bei vielen Finanzmarktakteuren. Aber auch eine ungleiche Verteilung von Vermögen, hat zur Krise beigetragen. Die Investition in Finanzprodukte hat sich für viele Vermögende besser rentiert als die Anlage in der Realwirtschaft. Diese Ungleichverteilung von Kapital wird bei einer systematischen Krisenanalyse weithin vernachlässigt.

Der SPD wird gern vorgeworfen, sie habe mit ihrer Regierungspolitik Hedgefonds und anderen Schattenbanken erst Tor und Tür geöffnet für ihr zügelloses Treiben. Warum ist der Vorwurf falsch?

Die rot-grüne Bundesregierung hat sich seinerzeit im Rahmen von  G7- und G8-Gesprächen für die Regulierung von Hedgefonds und die Abschaffung der Offshore Fi-nanzzentren, wo viele Finanzmarktakteure ihren Sitz haben, eingesetzt. Aber die USA und Großbritannien waren dazu nicht bereit, nicht einmal zur Herstellung von Transpa-renz als Grundvoraussetzung für sich angeblich selbst regulierende Märkte. Die Wall Street und die City of London wollten ihre soeben gewonnene Freiheit und ihre Wettbe-werbsvorteile gegenüber anderen Standorten auf der Welt nicht aufgeben. Bei der Modernisierung der Finanzmarktgesetzgebung hat sich Rot-Grün für die Zulassung und Regu-lierung der Hedgefonds in Deutschland entschieden. Und die war nicht so nachlässig, wie jetzt im Nachhinein behauptet wird. Vor der Finanzkrise waren von den weltweit etwa 9000 Hedgefonds maximal vierzig in Deutschland beheimatet und in der Krise sind diese nicht auffällig geworden. Auch weil die Regulierung durchaus gegriffen hat.

Die SPD-Fraktion fordert seit Jahren eine Finanztransaktionssteuer. Was genau ist das für eine Steuer? Warum ist ihre Einführung auch eine Gerechtigkeitsfrage?

Es geht darum, die Verursacher der Krise an den Kosten zu beteiligen. Das ist vor allem eine Gerechtigkeits- und Glaubwürdigkeitsfrage. Die Menschen fragen sich, warum sie für Bankenrettungspakete zahlen sollen und die Akteure auf den Finanzmärkten unge-schoren davonkommen. Die Finanztransaktionssteuer funktioniert im Prinzip wie eine Umsatzsteuer auf Finanzprodukte. In der Diskussion sind minimale Steuersätze von 0,01 bis 0,5 Prozent. Schätzungen zufolge könnte mit der Steuer europaweit ein Aufkommen von 57 Milliarden Euro generiert werden. Das wäre schon eine Hausmarke auch im Ver-gleich zu den 400 Milliarden Euro mit denen die europäischen Banken in der Krise rekapitalisiert wurden. Ich bin froh, dass sich die Hartnäckigkeit der SPD ausgezeichnet hat und wir die Bundesregierung zu einer europäischen Initiative haben zwingen können. Nun werden voraussichtlich elf Länder im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit in Europa eine solche Steuer einführen.

Warum lehnt die FDP die Finanztransaktionssteuer ab?

Die FDP hat sich in ihrer Position der Steuersenkungspartei eingebunkert und kommt dort nicht mehr heraus. Sie lenkt ab mit dem Hinweis, dass eine Finanztransaktionssteuer lediglich Ausweichreaktionen zu anderen Handelsplätzen auslösen würde. Was sie damit am Ende betreibt, ist ein Schonung der Verursache der Krise an der Finanzierung der immensen Kosten. Das ist absurd und nur ideologisch motiviert.

Werden denn mit der Finanztransaktionssteuer nicht auch „kleine“ Aktienbesitzer und Kleinsparer belastet?

Nein. Bis zu 85 Prozent der Umsätze, die der Steuer unterliegen sollen, werden aus-schließlich von Finanzinstituten untereinander abgewickelt. Bankprovisionen wie z. B. bei einem Riestervertrag sind um ein Vielfaches höher als die eventuell zu zahlende Steuer. Obwohl man nicht ausschließen kann, dass Banken einige Kosten auf Kunden abwälzen, wird deren Belastung im Rahmen bleiben.

In deinem Konzept zur Finanzmarktregulierung sprichst du davon, dass viel Vertrauen verloren gegangen sei – auch in die Politik. Wie lässt sich dieses Vertrauen zurückgewinnen?

Durch Wahrhaftigkeit. Politik muss sich ehrlich machen und den Menschen klar sagen, was Sache ist. Transparenz und Offenheit schaffen Vertrauen. Viele Menschen schrecken vor allem vor den Ritualen von Parteien zurück und haben das Gefühl, dass alle nur Theater spielen. Außerdem haben die Menschen massive Zweifel in die Lösungskompetenz von Politik. Sie fragen sich, was Politiker eigentlich noch im Griff haben. Dieses Ohnmachtsgefühl ist durch die Finanzkrise deutlich bestärkt worden. Das alles lässt sich nur durch entschlossenes Handeln wiedergutmachen. 

Du schreibst, dass das Investmentbanking vom Geschäftsbanking getrennt werden muss, um das Erpressungspotenzial der Banken zu verringern. Wie genau soll das funktionieren?

Bei großen Banken, die komplexe Investmentgeschäfte machen, müssen das klassische Kreditgeschäft und das Geschäft mit den Einlagen normaler Kunden von den riskanten Handelsgeschäften im Investmentbanking abgeschirmt werden. Meine Vorstellung ist, dass unter dem Dach einer Holding Kredit- und Einlagengeschäft, Investmentbanking und andere Geschäftsbereiche als rechtlich und wirtschaftlich eigenständige Tochterun-ternehmen mit eigenen Bilanzen und Vorständen geführt werden. Durch die Trennung der Geschäftsbereiche werden Risiken transparent gemacht und Risiko und Haftung zu-sammen geführt: Die Haftung für Risiken findet in dem Geschäftsbereich statt, in dem die Risiken eingegangen wurden. Fallen in einem riskanten Geschäftsbereich hohe Verluste an, bleibt der Schaden auch auf diesen Geschäftsbereich beschränkt.

Die Bundesregierung kann mit Steuereinnahmen auf Rekordniveau rechnen. Dennoch plant sie, 2013 neue Schulden zu machen. Was macht die Koalition falsch?

Der Grund ist einfach: für den Zusammenhalt der Koalition werden kleine Präsente an alle Koalitionspartner verteilt – Betreuungsgeld, oder die Hotelierssteuer – die den Bun-deshaushalt belasten und unnötig sind. Die Bundesregierung sorgt nicht vor. Ihr ergeht es wie im Märchen von den Sternthalern: sie hat mehr Glück als Verstand und nimmt mehr Geld ein als gedacht, muss weniger Zinsen zahlen als gedacht und wird durch die geringeren Sozialausgaben entlastet. Eine phantastische Situation der Stärke. Leider nutzt diese Regierung die Chancen dieser Lage nicht. Sie läuft mit dem erhobenen Zeigefinger der Konsolidierung durch Europa und ist im eigenen Land nicht in der Lage eine ehrgeizige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in guten Zeiten zu erreichen.

Ganz ehrlich: Kommt Griechenland jemals wieder auf die Füße? Wieviel Geld wird das noch kosten? Wäre es nicht besser, das Land bankrott gehen zu lassen?

Ein Staatsbankrott Griechenlands hätte fatale Folgen für die Stabilität des gesamten Währungsraums. Die Kosten eines Austrittes aus dem Euro sind immens, und die Ansteckungseffekte auf andere Euro-Staaten sind unkalkulierbar. Nein, ein Bankrott Griechen-lands ist keine Option. Das hat im Laufe des Sommers auch die Bundesregierung erkannt, nachdem sie mit einem Rausschmiss der Griechen aus dem Euro lange die populistische Klaviatur bespielt hat. Die Rettung Griechenlands wird Geld kosten. Das sagen wir seit zweieinhalb Jahren. Wie viel genau, das kann niemand seriös vorhersagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland seine Verbindlichkeiten abtragen kann wird dann steigen, wenn wir in europäischer Solidarität dafür sorgen, dass das Land wieder Wind unter die Flügel bekommt. Griechenland hilft nur Wachstum und nicht die Fortsetzung von Austeritätsprogrammen. Man muss ehrlich sagen, dass das Land noch geraume Zeit auf Unterstützung angewiesen sein wird.

Die SPD-Fraktion lehnt das Steuerabkommen mit der Schweiz ab, es kommt in den Vermittlungsausschuss. Die Regierung sagt, dass durch unsere Blockade Milliarden Euro verloren seien. Hat sie recht? Warum lehnst du das Abkommen ab?

Das vorliegende Abkommen mit der Schweiz genügt einfach nicht. Dieses Abkommen stellt Steuersünder, die inzwischen eine Selbstanzeige getätigt haben, voraussichtlich schlechter als jene, die nun nachbesteuert werden sollen. Diese nachträgliche pauschale Besteuerung ist daher viel zu niedrig angesetzt. Außerdem sind deutsche Steuerflüchtlin-ge bis zum Inkraftreten des Abkommens zum Beginn des kommenden Jahres in der Lage ihr Kapital noch schnell in andere Steueroasen weltweit zu transferieren. Die Vereinigten Staaten haben ein viel schärferes Abkommen mit der Schweiz verhandelt. Es ist sogar derart scharf, dass darüber einige Institute in der Schweiz ihr Geschäftsmodell nicht mehr fortführen können und an den Rand ihrer Geschäftsfähigkeit geraten. Während ich also als Finanzminister über die Kavallerie nur geredet habe, haben die Amerikaner sie tatsächlich ausreiten lassen.

Zum Abschluss eine eher persönliche Frage: Wie gehst du damit um, wenn man deine Arbeit als Politiker kritisiert?

Sportlich. Als Politiker steht man im Schaufenster und ist damit immer Kritik ausgesetzt. Die ist Teil des Beruf und nicht persönlich zu nehmen.

 

Interview: Alexander Linden

Peer Steinbrück stellte am Mittwoch seine Vorschläge zur "Bändigung der Finanzmärkte" vor. "Wir brauchen einen Rückzug aus der Staatshaftung für Banken", so der ehemalige Bundesfinanzminister.

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