Sehr geehrter Prof. Conze,

sehr geehrter Herr Genzler,

sehr geehrter Herr Scherer,

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

„Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen“. Das war, in einem Satz gegossen, die mahnende Erinnerung von William Faulkner. Wie wahr sie ist, das beweist ein Buch, eine Debatte und auch das übergroße Interesse an dieser Veranstaltung.

Das Buch, um das es heute geht, kommt nicht im Gewande des medial inszenierten Tabubruchs daher. Der Titel ist staubtrocken. Und an die Millionenauflage anderer Neuerscheinungen dieses Herbstes wird es vermutlich nicht heranreichen. Dennoch – und vielleicht gerade deshalb - ist es für mich heute schon das Sachbuch des Jahres.

Joschka Fischer und ich haben als Außenminister eine prägende Erfahrung gemacht: Von Deutschland wird viel, manchmal zu viel erwartet. Aber eines wird uns nicht nachgesehen: Geschichtsvergessenheit.

Die deutsche Geschichte ist lebendig und wirkt nach. Nicht nur in Israel und im Nahen Osten, nicht nur in Polen, Tschechien oder Russland, nein, auch in Staaten und Regionen, die einem in diesem Zusammenhang nicht sofort in den Sinn kommen.

Und übrigens: Wenn ich von Nachwirkung spreche, dann meine ich damit nicht nur den dunklen Schatten, den diese Vergangenheit wirft. Weh dem, der ihn unterschätzt!

Nein, ich denke auch an den hohen Respekt, der sich aus der Tatsache speist, dass wir nach einigem Zögern und vielen Kämpfen die offene und schmerzhafte Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit zu einem Teil des neuen deutschen Selbstverständnisses gemacht haben. Vor diesem Hintergrund ist es wahrhaft schwer zu verstehen, dass das Haus, dem das Ansehen Deutschlands im Ausland am meisten am Herzen liegt, das Auswärtige Amt, sich einer solchen Auseinandersetzung bislang entzogen hat. Dieses Buch war nicht nur fällig. Es war überfällig!

Ja, es gab große und wichtige Teiluntersuchungen – ich erinnere nur an die Arbeiten von Hans-Jürgen Döscher und Christopher Browning. Aber mit der jetzt vorgelegten Studie liegt erstmals eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes in der Zeit des Nationalsozialismus und den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik vor – und gerade in dieser Zusammenschau liegt der besondere Wert dieses Buches. Dafür gilt mein ausdrücklicher Dank den Autoren Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann. Sie haben dieses Projekt nicht nur mit großem Sachverstand und ebenso großer Hartnäckigkeit verfolgt – sie haben am Ende auch noch dafür gesorgt, das dieses Buch lesbar, ja, in geradezu bedrückender Weise spannend geworden ist.

Ich möchte in diesen Dank ganz ausdrücklich meinen Amtsvorgänger Joschka Fischer einschließen. Auf ihn geht die Initiative zu diesem Buch zurück. Lieber Joschka, auch wenn die Vorgeschichte einigermaßen turbulent war – dieses Buch gehört zu dem, was bleibt.

Das Buch ist zwar kein inszenierter Tabubruch, das habe ich eben gesagt. Aber mit Tabus und Mythen wird schon reichlich aufgeräumt. Norbert Frei hat das Buch kürzlich auf eine wunderbare Kurzformel gebracht: „Das Auswärtige Amt Dritten Reich war das Auswärtige Amt Dritten Reiches.“

Wir diskutieren zur Zeit hysterisch über die Gefahr der Selbstabschaffung Deutschlands und der deutschen Eliten. Wer wissen will, was wirkliches Elitenversagen ist, lernt es in diesem Buch. Am Anfang stand Wegschauen und stilles Komplizentum. Am Ende die Mittäterschaft von viel zu vielen! Die Banalität des Bösen tritt auch in Frack und Nadelstreifen auf. Natürlich gab es - und auch darüber erzählt dieses Buch sehr ausführlich - Widerstand, hinhaltenden und auch aktiven. Aber es gab keine Bewegung von nennenswerter Kraft, die sich dem Prozess der Selbstgleichschaltung des Amtes mit Macht entgegengestellt hätte.

Im Ergebnis bleibt der nüchterne und bedrückende Befund: Das Auswärtige Amt war ein willfähriges Instrument zur Durchsetzung der NS-Politik. Und leider setzt sich dieser bedrückende Befund über 1945 hinaus fort. Im März 1952 sind 49 von 75 Führungskräften ehemalige Mitglieder der NSDAP. Männer wie Fritz Kolbe, der im Widerstand gewesen war, wurden dagegen als Verräter stigmatisiert, ihre Wiederverwendung im Auswärtigen Dienst hintertrieben.

Für mich ist dieser zweite Teil des Buches fast noch bedrückender als der erste. Keiner der Außenminister der Nachkriegszeit, die Motive mögen ganz unterschiedlich sein, hat sich ernstlich mit der Geschichte des Amtes und der alten Seilschaften auseinandergesetzt.

Meine Damen und Herren,

erst jetzt, nach 65 Jahren, ist eine klaffende Lücke in der Aufarbeitung der NS-Geschichte geschlossen worden. In Zukunft wird keine ernsthafte Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit an diesem Buch vorbeikommen. Diese Studie wird die künftigen Debatten prägen und eine Fülle von Einzeluntersuchungen anstoßen. Das muss Eingang finden in die Ausbildung junger Diplomaten. Aber dieses Buch darf nicht allein Pflichtlektüre für Jung-Diplomaten sein! Die Ergebnisse dieser Studie müssen auch Eingang finden in das Selbstverständnis des Amtes, mit konkreten Konsequenzen von der Traditionspflege bis zum Politischen Archiv.

Das kann gelingen, wenn die Angehörigen des Auswärtigen Amtes – aktive wie ehemalige – jetzt nicht in Abwehrreflexe verfallen, sondern sich mit diesem Buch ernsthaft auseinandersetzen. Der Titel des Buches heißt „Das Amt und seine Vergangenheit“. Es könnte auch heißen: „Das Amt und seine Zukunft“.

Kaum einer weiß besser als die „Amtsangehörigen“, dass uns die dunklen Schatten der Vergangenheit überall in der Welt einholen. Aber kaum einer weiß auch besser als sie, was wir gewinnen können, wenn wir uns dieser Vergangenheit stellen – ohne Tabus, ohne Mythen – selbstkritisch, mutig und bescheiden. 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.