Fraktion intern: Verena, wie schlimm ist die Lage?

Verena Hubertz: Wenn Abschlags-zahlungen teils das Einkommen überschreiten, dann ist die Lage wirklich sehr ernst. Deswegen haben wir ja auch schon mehrere Entlastungspakete auf den Weg gebracht, im Wert von fast 100 Milliarden Euro. Und jetzt ist noch ein Abwehrschirm im Wert von 200 Milliarden Euro dazugekommen, mit dem wir die Energiepreise senken wollen.

Fraktion intern: Auch wenn das sehr viel ist: Reicht das aus?

Verena Hubertz: Wir haben mit den 200 Milliarden jetzt wirklich schon einen riesengroßen Abwehrschirm gespannt. Wir müssen die Energiepreise dauerhaft auf ein bezahlbares Niveau bringen, damit die Leute ihre Rechnungen bezahlen können und Unternehmen nicht unverschuldet in die Insolvenz laufen. Niemand kann jetzt schon sagen, ob die 200 Milliarden ausreichen. Aber ich finde, dass diese Regierung eines gezeigt hat: Wir sind in der Krise handlungsfähig. Und wir passen unsere Maßnahmen immer wieder an, damit niemand allein gelassen wird.

Fraktion intern: Die aktuelle Prognose für das Wirtschaftswachstum sieht ja nicht so gut aus. Der Wirtschaftsminister hat schon von Rezession gesprochen. Wie schätzt du die Lage ein?

Verena Hubertz: Die Wirtschaft wird nächstes Jahr nach den Prognosen des Bundesministeriums für Wirtschaft um 0,4 Prozent schrumpfen. Ohne den Abwehrschirm wäre es viel schlimmer, weil sich die Inflation ja zum großen Teil aus den Energiepreisen zusammensetzt, und die Energiepreise bestimmen weitere Preise, weitere Lieferketten. Hohe Preise schlagen sich aber auch auf das Konsumverhalten nieder. Und deswegen müssen wir die Menschen entlasten, weil die mit dafür sorgen, dass viele Wirtschaftszweige ihre Umsätze machen. Mit der Gaspreisbremse dämpfen wir diesen Abschwung also ab.

Fraktion intern: Manche sagen, der Markt wird das schon regeln, der Staat sollte sich möglichst raus halten, so werden Unternehmen nur künstlich am Leben erhalten.

Verena Hubertz: Ich bin sehr froh, dass wir eingreifen, helfen und niemanden alleine lassen. Zu sagen: Dann gibt es halt keine Stahlindustrie mehr in Deutschland, wenn die nicht in der Lage ist, wettbewerbsfähig mit den Preisen parat zu kommen, ist als Sozialdemokratin nicht meine Antwort. Wir müssen jetzt gerade unseren energieintensiven Unternehmen wie in der Stahl- und Chemieindustrie eine Brücke bauen, damit wir es schaffen, Arbeitsplätze im Land zu halten, aber auch, damit wir in der Zukunft innovativ, klimaneutral und fortschrittlich produzieren und uns unabhängig machen können von eben diesem Gas aus Russland. Wenn wir jetzt nichts tun würden, die Unternehmen würden hopsgehen und wären schlicht weg. Jetzt zu helfen, macht in doppelter Hinsicht Sinn. Zum Erhalt der Arbeitsplätze und zum Bauen der Zukunft.

Fraktion intern: Wie stark stehen wir im internationalen Standortwettbewerb unter Druck was die Energiepreise angeht?

Verena Hubertz: US-Präsident Biden hat Milliarden-Hilfsprogramme geschnürt, da kostet der Gaspreis ein Zehntel von dem, was wir hier haben. Wir stehen in einem riesigen internationalen Wettbewerb, auch europäisch. Frankreich etwa hat einen günstigeren Industrie-Strompreis. Damit die Konzerne bei uns bleiben, müssen wir ihnen helfen, die Krise abzufedern. Deshalb wird auch die Großindustrie eine Gaspreisbremse bekommen. Bedingung dafür ist aber der Standort-Erhalt. Wir müssen aber großen Unternehmen auch helfen, dass sie schnell unabhängig werden können vom Gas.

Fraktion intern: Wie denn?

„Wir müssen unseren energieintensiven Unternehmen eine Brücke bauen“

Verena Hubertz: Zum Beispiel durch die sogenannten Klimaschutz-Differenz-Verträge. Wenn Unternehmen in CO2-neutrale Produktionsanlagen investieren, dann übernehmen wir das Delta, was es kosten würde, jetzt diese Maschine direkt zukunftsfit zu machen, bis sie sich von selbst trägt. Und das ist nur ein Beispiel von vielen Maßnahmen. Dafür haben wir 200 Milliarden Euro in einem Klima- und Transformationsfonds vorgesehen.

Fraktion intern: Das sind ja riesige Summen. 200 Milliarden Klimafonds, 200 Milliarden Abwehrschirm, 100 Milliarden für drei Entlastungspakete innerhalb von nur neun Monaten. Wann kommt das nächste Paket?

Verena Hubertz: Natürlich müssen wir schauen, dass wir niemanden verlieren. Deswegen ist ja auch bei der Ausarbeitung der Gaspreisbremse ein Härtefall-Fonds ein wichtiges Thema, um Mittelständlern oder Privathaushalten zusätzlich bis zum Eintreten der Gaspreisbremse im März helfen zu können. Auch für weitere Energieträger wie Ölheizungen und Holzpellets wird an Lösungen gearbeitet.

„Wir haben eine Kriegssituation, aber wir sorgen dafür, dass es keine wirtschaftliche und keine soziale Krise wird“

Fraktion intern: Bevor die Gaspreisbremse im März greifen soll, gibt es im Dezember schon mal eine Einmalzahlung. Die bekommen alle – auch Reiche, die sie gar nicht brauchen. Warum?

Verena Hubertz: Das Problem ist, dass die Auszahlung über die Gas-Anschlüsse läuft. Wir wissen nicht, ob es sich um ein Mehrfamilienhaus, eine WG oder eine Villa handelt. Es wäre technisch gar nicht möglich gewesen, so schnell ein Matching zu machen mit Gas-Anschluss, Haushaltseinkommen, Haushaltsgröße. Und deswegen ist das jetzt ein prag-matischer, aber eben auch sehr schneller Weg, über den diejenigen, die die Hilfe jetzt brauchen, sie auch bekommen. Aber uns ist natürlich klar, dass wir den geringen Einkommen noch einmal über andere Wege helfen müssen. Zum Beispiel mit der großen Wohngeldreform, die gerade auf den Weg gebracht wurde, zum Beispiel mit der Kindergrundsicherung, die nächstes Jahr kommt. Familien, die weniger Geld haben, sollen eben auch mehr Kindergeld kriegen.

Fraktion intern: Wann kommt denn eigentlich die Strompreisbremse?

Verena Hubertz: Die ist gar nicht mal so unkompliziert, weil wir uns ja da auch auf einen europäischen Weg begeben haben und gesagt haben, wir wollen die sogenannten Übergewinne abschöpfen, und damit eben auch diese Bremse refinanzieren. Das muss jetzt schnell gehen, und wir machen da auch Druck.

Fraktion intern: Wenn die Wirtschaft ums Überleben kämpft, wie wichtig ist da noch der Klimaschutz?

Verena Hubertz: In der Krise liegt die Chance immer nah, das hat uns auch die Pandemie gezeigt. Sie hat uns mit dem Thema Digitalisierung vorpreschen lassen – zum Beispiel, indem die Unternehmen zum ersten Mal richtig Home Office angeboten haben, weil sie mussten. Viele Unternehmen fragen sich erst jetzt: Wo kommt eigentlich unser Gas her? Welche Heizung haben wir? Was ist eigentlich unsere Energiebilanz? Das Gas floss jahrzehntelang aus Russland, daran hatten sich alle gewöhnt. Die Zukunft, die braucht vielleicht auch manchmal einen Bruch.

Fraktion intern: Wenn uns das wirklich gelingen sollte, in relativ kurzer Zeit dieses Land mit Windrädern und Solarpanels zuzupflastern, wird Energie dann eigentlich jemals wieder so günstig wie vorher?

Verena Hubertz: Die Erneuerbaren sind die günstigste Form. Aber die Wahrheit ist auch: Wir brauchen nicht nur Wind- und Solarkraft, sondern auch Wasserstoff. Nur mit Strom lässt sich kein Stahlwerk betreiben, und deswegen brauchen wir auch ein schnelles Hochlaufen der Wasserstoffindustrie. Und Wasserstoff ist teuer. Aber wenn wir nicht anfangen, das richtig zu skalieren, dann wird er auch nie günstiger. Beim Wasserstoff müssen wir noch auf die Tube drücken und ihn subventionieren, damit der im großen Umfang dann auch industriell wettbewerbsfähig werden kann. Wir müssen unbedingt unabhängig von russischem Gas werden und am besten auch unabhängig von Gaslieferungen aus anderen Regionen dieser Welt, wo auch Diktatoren an der Macht sitzen.

Fraktion intern: Drei Atomkraftwerke sollen jetzt weiterlaufen bis Mitte April, falls es zu Engpässen kommen sollte. Viele sind aber der Meinung, wir sollten die Atomindustrie wieder auferstehen lassen, sie auch darüber hinaus wieder ausbauen.

Verena Hubertz: Es geht nicht um einen Wiedereinstieg in die Atomenergie. Sie ist teuer, gefährlich und generationenungerecht. Ich habe meinen Wahlkreis gegenüber der französischen Grenze und da steht das Cattenom-Kraftwerk, und das ist eines der anfälligsten Kraftwerke. Und wenn das in die Luft geht, dann wäre das auf beiden Seiten der Grenze eine Katastrophe. Die Zukunft ist erneuerbar, die Zukunft ist nicht Atom.

Fraktion intern: Blickst du insgesamt trotz dieser ernsten Situation optimistisch in die Zukunft?

Verena Hubertz: Wir haben eine Kriegssituation, aber wir sorgen dafür, dass es keine soziale und keine wirtschaftliche Krise wird – und dass wir miteinander gut aus dieser Krise wieder herauskommen.

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