Die Koalition hat einige sehr wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus auf den Weg gebracht. Bisher haben jedoch die meisten Regelungen hauptsächlich repressiven Charakter. "Repression ist für uns aber nur ein Aspekt der Thematik: Wir setzen gleichermaßen auf die vier Stellschrauben Prävention, Integration, Intervention und Repression", sagen Burkhard Lischka und Uli Grötsch, Innenpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion.
Die Zahl der Salafisten habe sich in Deutschland vervierfacht. Es gehe darum, "den Kampf um die Herzen und Köpfe dieser jungen Menschen zu gewinnen", betont Lischka.
An diesem Freitag haben die beiden Experten ein gemeinsames Strategiepapier vorgestellt, in dem es darum geht, gegen die islambezogene Radikalisierung vorzugehen. Begleitet wurden sie dabei von Thomas Krüger, dem Chef der Bundeszentrale für Politische Bildung, und Chalid Durmosch, einem interreligiösen Trainer mit Imamausbildung vom Verein "Violence Prevention Network".
Als einen der Gründe für die Zunahme islamistischer Gewaltbereitschaft machen Lischka und Grötsch schlechte soziale Integration und mangelnde Zukunftsperspektiven aus. Wörtlich heißt es in dem Papier: "Das gilt nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund, sondern in gleichem Maße für deutsche Konvertiten. Sie suchen nach Anerkennung und Identität. In salafistischen Gemeinden glauben sie diese Anerkennung zu finden."
Anhand von vier Punkten zeigen Lischka und Grötsch auf, wie religiöser Fanatismus frühzeitiger verhindert werden kann.
- Aufklärung, Bildung, Teilhabe
Bei der Vermittlung von Werten fällt den Schulen eine wichtige Rolle zu. Schülerinnen und Schüler, die sich intensiv mit ihrem Glauben auseinandersetzen und sich mit Lehrern, Mitschülern und Eltern darüber austauschen, laufen weniger Gefahr, sich zu radikalisieren. Diesen Ansatz gilt es zu unterstützen und weiter zu verfolgen.
In sozialen Netzwerken und Videoportalen verbreitet sich Propagandamaterial besonders schnell. Salafisten nutzen diesen Weg um möglichst viele junge Menschen zu erreichen. Jugendlichen fehlt häufig aber die Kompetenz, zwischen sachlichem Informationsmaterial und Propaganda zu unterscheiden. Diese Kompetenz müssen sie erlernen. Ein wichtiger Partner ist hierbei die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb). Deren finanzielle Ausstattung muss daher in jedem Falle auf dem bisherigen Niveau verstetigt werden.
Eine nachhaltige Präventionsstrategie kann nur unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft umgesetzt werden. Projektarbeit von Organisationen, Vereinen und Verbänden vor Ort ist ein wesentlicher Bestandteil. Programme wie „Wegweiser“ und „Violence Prevention Network“ müssen in allen Bundesländern aufgebaut und auf Bundesebene ein regelmäßiger Erfahrungsautausch zu den „best practices“ stattfinden.
Zu diesem Zweck soll eine Beratungsstelle auf Bundesebene eingerichtet werden. "Wir wollen den Bundesländern damit nicht in ihre Kompetenzen reinreden, sondern den Austausch fördern", erklärt Grötsch. Beim Bund fehle bis dato solch ein Vernetzungsstelle.
Die nach dem Beispiel von „Wegweiser“ ins Leben gerufenen Länderprogramme sollen aus dem Etat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend / Mitteln des Programms „Demokratie leben!“ unterstützt werden.
- Aussteigerprogramme
Für diejenigen, die bereits Kontakt zu salafistischen Organisationen hatten oder Mitglieder sind und aussteigen wollen, muss mehr Unterstützung angeboten werden. Ebenso müssen desillusionierte Rückkehrer aus Kampfgebieten wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden. Sie dürfen nicht alleine gelassen werden und brauchen professionelle Hilfestellung. Aber nicht nur die betroffenen Personen selbst, sondern auch ihre Angehörigen und Freunde brauchen eine Anlaufstelle.
- Verfassungsschutzbehörden einbinden
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz müssen in die Präventionsarbeit eingebunden werden. Aufgabe der Verfassungsschutzämter soll es dabei sein, fachliche und wissenschaftliche Expertise für die in den Bereichen Prävention und Intervention tätigen Organisationen bereitzustellen und damit in die Präventionsarbeit einfließen zu lassen.
- Prävention in Justizvollzugsanstalten
Häftlinge brauchen in einer JVA genauso wie in Freiheit ein soziales Netzwerk und Vertrauenspersonen. Ein Imam kann diesen Personen Halt geben. Christliche Seelsorger gibt es bereits in Gefängnissen. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen werden inzwischen auch Imame als Seelsorger berufen. Die Sozialdemokraten wollen flächendeckend Imame in JVAen hauptamtlich einbinden.
Sie müssen besonders geschult werden und gemeinsam von den zuständigen Behörden und muslimischen Verbänden und Vereinen für diese Arbeit ausgewählt werden. Es muss sichergestellt sein, dass kein Hassprediger unter dem Deckmantel der Seelsorge in Gefängnissen tätig werden kann. "Die Justizvollzugsanstalten dürfen nicht zu Brutstätten für Radikalisierung werden", warnt Lischka.
Lischka und Grötsch betonen ausdrücklich: "Wir sehen den Islam als friedliche Religion, die Teil unseres Landes und unserer Gesellschaft ist. Wir wollen Verantwortung übernehmen und ein breites Netzwerk in allen Schichten und Sparten unserer Gesellschaft knüpfen. Wir stellen uns der Verantwortung, als politische Akteure Vermittler und Motor in der Präventions- und Interventionsarbeit zu sein." Das Papier solle nun Denkanstöße geben.
Alexander Linden