Viele Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland gezogen sind, gehen hier beruflichen Tätigkeiten nach, die unter ihrer Qualifikation liegen - wenn sie überhaupt Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Schätzungen zufolge, leben fast drei Millionen Menschen in unserem Land, deren Qualifikationen bei uns nicht anerkannt werden. Betroffen sind vor allem viele Migrantinnen und Migranten, deren berufliche Ausbildung in Deutschland nicht als gleichwertig gilt, und auch rund eine halbe Million zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker.
Deshalb sind sich Fachleute schon lange einig: Ein Gesetz zur besseren Anerkennung ausländischer Berufs- und Hochschulabschlüsse ist überfällig. Die Anerkennung der Lebensleistung und Bildungsbiografien aller Migrantinnen und Migranten ist aber ein notwendiger Schritt für gelungene Integration und eine Willkommenskultur. Und Deutschland kann auf deren Potenziale nicht verzichten. Wir brauchen mehr und gut qualifizierte Fachkräfte.
Für die SPD hat der damalige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz bereits in der Großen Koalition 2009 Eckpunkte für ein Anerkennungsgesetz vorgelegt. Eine gemeinsame Initiative der damaligen Koalition kam aufgrund des Widerstands von CDU/CSU nicht zustande. Im Dezember 2009 legte Bildungsministerin Schavan Eckpunkte vor und versprach, spätestens bis Sommer 2010 einen Gesetzentwurf einzubringen. Es dauerte eineinhalb Jahre, bis Schavan im März 2011 einen schwarz-gelben Regierungsentwurf vorlegen konnte. Heute hat der Bundestag das Gesetz beschlossen.
SPD-Fraktion fordert Nachbesserungen und begleitende Fördermaßnahmen
Kern ist die Einführung eines Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes, das für alle Migrantinnen und Migranten einen allgemeinen Anspruch auf eine individuelle Gleichwertigkeitsprüfung nach einem einheitlichen Verfahren schafft. Schwarz-Gelb hat mit dem Rechtsanspruch für Alle eine zentrale Forderung der SPD-Fraktion umgesetzt, die sie schon Ende 2009 in den Bundestag einbracht hatte.
Die Sozialdemokraten haben die schwarz-gelbe Gesetzesvorlage deshalb als zwar späten, aber ersten Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Zugleich stießen die einzelnen Regelungen bei der SPD-Fraktion an mehreren Stellen auf Kritik. Der Gesetzentwurf bleibt an zentralen Stellen hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Um das Gesetz zu einem echten Erfolg zu bringen, sind Nachbesserungen am Gesetz sowie zusätzliche, begleitende Maßnahmen nötig:
- Recht auf Beratung: Ohne individuelle Beratung werden viele in dem Zuständigkeits- und Maßnahmendschungel auf dem Weg zur Anerkennung scheitern. Deshalb muss im Gesetz ein Rechtsanspruch auf Beratung und Begleitung im Verfahren verankert werden. Ein solcher Rechtsanspruch muss durch ein Netz an Beratungsstellen umgesetzt werden.
- Sozialverträgliche Gebührenregelung: Die Gebühren dürfen nicht zur sozialen Hürde werden. Das droht jedoch, wenn je nach Fallkonstellation hohe dreistellige oder sogar vierstellige Kosten anfallen. Deshalb muss mit einer Kostenobergrenze sowie mit Regelungen für Härtefälle Rücksicht auf die soziale Lage der Antragstellerinnen und Antragsteller genommen werden.
- Einheitliche Fristenregelung: Das schwarz-gelbe Gesetz sieht je nach Berufsgruppen unterschiedliche Fristen vor, innerhalb derer über die Gleichwertigkeit einer Qualifikation entschieden werden muss. Diese Ungleichbehandlung ist nicht akzeptabel. Es sollte in jedem Fall, unabhängig von Herkunft der Abschlüsse bzw. Beruf, die Frist von drei Monaten mit der Möglichkeit der Verlängerung in schwierigen Fällen um einen weiteren Monat gelten.
- Moderne Kompetenzfeststellung: Die neuen Regelungen konzentrieren sich auf die Papierlage von Abschlüssen, um vorhandene Kompetenzen und Qualifikationen fest-zustellen. Das reicht nicht aus, zumal Zeugnisse Jahrzehnte alt sein können. Stattdessen müssen moderne Wege stärker genutzt werden. Die nur in Ausnahmefällen vorgesehene Begutachtung der tatsächlichen Fähigkeiten durch ein praxisorientiertes Kompetenzfeststellungsverfahren muss zu einem Standardangebot gemacht werden.
- Angebot und Förderung von Ausgleichsmaßnahmen: Wenn keine volle Gleichwertigkeit festgestellt werden kann, sieht der Gesetzentwurf in bestimmten Berufsgruppen Ausgleichsmaßnahmen vor, wobei zwischen einem Anpassungslehrgang und einer Eignungsprüfung gewählt werden kann. In anderen Berufsgruppen soll das allerdings nicht möglich sein, das ist nicht nachvollziehbar. Außerdem kümmert sich Schwarz-Gelb nicht um ein entsprechendes Qualifizierungsangebot , wodurch die Betroffenen auf den Weiterbildungsmarkt angewiesen bleiben. Das reicht nicht aus. In das Gesetz muss für alle Berufe ein Anspruch auf Anpassungslehrgänge sowie auf Prüfungs-Vorbereitungsmaßnahmen, unter Einbezug von berufsspezifischen Sprachkursen, aufgenommen werden. Außerdem muss die Teilnahme an Ausgleichsmaßnahmen auch finanziell ermöglicht werden. Statt die Mittel zur Integration am Arbeitsmarkt zu beschneiden, wie es Union und FDP machen, fordert die SPD-Fraktion, diesen Menschen bei Bedarf ein klares Förderangebot im Sine eines „Einstiegs-BAföG“ zu machen, wenn keine andere Finanzierung greift.
Schließlich gelten die neuen Regelungen nur für Berufe im Zuständigkeitsbereich des Bundes, wie die der dualen Berufsausbildung oder auch u.a. Ärzte, Notare oder Krankenpfleger. Die SPD-Fraktion fordert deshalb, gemeinsam mit den Ländern sicherzustellen, dass auch für die nach Landesrecht geregelten Berufe schnell entsprechende Regelungen etabliert werden.