Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zunächst einmal möchte ich den Antragstellern danken, dass sie dieses Thema hier aufgerufen haben, weil es ein wichtiges Thema ist und hier im Moment auf europäischer Ebene sehr viel passiert. Es ist wichtig, dass wir dazu unsere Stimme erheben. Gleichzeitig habe ich ein gewisses Störgefühl. Das haben die Rednerinnen und Redner der SPD schon heute Morgen angeführt. Wenn wir und mit uns Millionen andere heute Abend wieder die „Tagesschau“ sehen, dann wird es wieder einer dieser Tage sein, an denen die Hauptthemen Geflüchtete und Migration sind. Ich glaube, schon seit einigen Monaten, vielleicht schon seit zwei Jahren fühlen sich viele in unserem Land nicht mehr wahrgenommen und haben das Gefühl, die Politik in Berlin kümmere sich nicht mehr um sie, sondern habe irgendwelche anderen Dinge zu tun. Das halte ich für sehr gefährlich.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das sagen wir die ganze Zeit!)
Dem müssen wir hier entgegentreten, indem wir Debatten über die Zukunft unseres Landes führen, die angemessen sind. Die Menschen wollen wissen, ob es wirtschaftlich für dieses Land in eine gute Zukunft geht. Sie wollen wissen, ob und wie die Teilhabe am medizinischen Fortschritt auch in Zukunft gewährleistet ist. Sie wollen wissen, wie es beim Thema Wohnen weitergeht,
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bringt Anträge ein, und wir diskutieren das!)
was in einer Nullzinsphase mit den Lebensversicherungen passiert etc. Wir müssen aufpassen, dass wir die Diskussion im Parlament nicht immer so verengen und draußen in Nachrichten der Eindruck erweckt wird, die Menschen würden mehr und mehr abgehängt. Es gibt Stimmen, die nach weniger Europa rufen. Jetzt wende ich mich an Sie, die AfD, weil wir hier die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems beraten. Meine Damen und Herren, wir haben globale Phänomene. Dazu gehört der Klimawandel, dazu gehört auch die Migration. Dazu gehört auch die wirtschaftliche Entwicklung, der Kapitalismus, der global agiert. Wir müssen dafür sorgen, dass die Politik im Führerhäuschen bleibt. Angesichts dieser globalen Entwicklungen wäre es fatal, wenn wir uns in nationale Schneckenhäuser zurückziehen würden. Wir brauchen gemeinsame Antworten, um mitzuhalten. Wir brauchen diese europäische Zusammenarbeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen aber noch mehr als diese europäische Zusammenarbeit. Wir haben uns in New York im Rahmen der Erarbeitung der globalen Entwicklungsziele vorgenommen, uns weltweit um die Fragen von Migration und einer besseren Steuerung von Migration zu kümmern. Der Global Compact for Migration, der derzeit verhandelt wird, adressiert diese Fragen auch. Es ist nicht nur eine europäische Herausforderung, sondern eine Herausforderung, die sich an die gesamte Staatengemeinschaft der Welt wendet. Wenn man zusammenarbeitet, kann man dadurch auch schlicht Vorteile haben, weil man gemeinsam stärker ist als alleine. Ich nenne dieses eine Beispiel, das Ihnen auch immer so besonders wichtig ist: 60 000 Menschen sind derzeit in Deutschland, die keinen Aufenthaltsstatus haben und eigentlich zurückgeführt werden müssten. Wir alle kennen die Gründe, warum dies nicht so passiert, wie wir uns das wünschen. Das liegt unter anderem daran, dass die Menschen, die hier nicht anerkannt sind und eigentlich zurückmüssten, von den Ländern, aus denen sie kommen, wieder aufgenommen werden müssten. Unser geschäftsführender Innenminister rennt nun in Nordafrika oder sonst wo herum und versucht, mit den einzelnen Ländern Verabredungen zu treffen, damit das mit den Rückführungen besser funktioniert. Ich bin der Meinung: Wenn Europa an dieser Stelle geschlossen auftritt, dann können wir auch mehr Druck ausüben und bei diesen Verhandlungen mehr erreichen. Europäische Zusammenarbeit in der Asylpolitik ist dringend notwendig und muss intensiviert werden.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])
Durch eine Zusammenarbeit hätte man vielleicht die Chance, zu besseren Lösungen zu kommen. Aber an dieser Stelle ist Europa in den letzten Jahren leider ausgestiegen. Das müssen wir verändern. Wir müssen es hinbekommen, dass Europa endlich wieder liefert. Der neue österreichische Bundeskanzler hat sich in der „Bild am Sonntag“ an wen auch immer gewandt und dort gesagt, man könne den Staaten Europas nicht aufzwingen, Geflüchtete aufzunehmen.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das stimmt! Da hat er recht!)
Wir haben aber Verträge geschlossen, und in den Verträgen steht, dass wir in Europa solidarisch miteinander umgehen wollen, dass wir eine gemeinsame europäische Asylpolitik und sogar eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik gestalten wollen. Es kann also für die Staaten in Europa nicht darum gehen, ob wir bei diesen Fragen zusammenarbeiten, sondern höchstens darum, wie wir zusammenarbeiten. Ich möchte einen Vorschlag unterbreiten, der vielleicht dabei helfen könnte, bei dieser Blockade in den nächsten Monaten zu Lösungen zu kommen: Die Bedingungen sind unterschiedlich, und diesen unterschiedlichen Bedingungen in den Ländern Europas müssen wir stärker Rechnung tragen. Länder, die sich bereits an Einwanderung gewöhnt haben, haben eine andere Ausgangssituation als Länder, die sich an Zuwanderung und Einwanderung noch nicht gewöhnt haben. Als mein Vater in den 60er-Jahren aus Italien kam, hat hier auch niemand auf ihn gewartet – außer seiner Frau. Mittlerweile sind Italiener, glaube ich, okay.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Die einen sagen so, die anderen so!)
Es hat aber Zeit gebraucht. Integration braucht Zeit. Integrationsbereitschaft muss wachsen können. Ich würde die osteuropäischen Länder gerne mitnehmen, damit sie langsam anfangen, sich an globale Phänomene zu gewöhnen, nachdem sie über Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang verbarrikadiert waren. Wir sollten zu einer Arbeitsteilung in Europa kommen. So wie wir im Parlament Arbeitsteilung haben und es in der Schule Lehrer für unterschiedliche Fächer gibt, so sollte es auch in Europa Arbeitsteilung geben. Nicht alle sollten immer das Gleiche machen. Ein Beispiel: Derzeit heißt es: Wir müssen die Grenzen gemeinsam schützen und bekommen dafür Listen, die besagen, wie viele Beamte jedes Land gemessen an seiner Bevölkerungszahl schicken muss. – Das Gleiche gilt, wenn wir den Griechen bei den Asylverfahren helfen wollen. Das Gesamtpaket Migration sollte aber bedeuten, dass wir schauen, wo die jeweiligen Stärken liegen und wo die Bereitschaft vorhanden ist, in Europa mitzuwirken. Wir sollten uns gemeinsam ehrgeizige Ziele setzen und an diesen Zielen gemeinsam arbeiten, aber eben nicht so, dass immer alle alles – wenn auch nach ihren Kräften – machen müssen, sondern so, dass man dabei auch etwas flexibler ist. Ich glaube, mit einem arbeitsteiligeren Ansatz in Europa können die, die bereit sind, Geflüchtete nach ihren Kräften aufzunehmen, vorangehen, unabhängig davon, ob andere sagen: Für uns kommt das überhaupt nicht infrage. – Diese Länder will ich dann aber woanders in die Pflicht nehmen. Sie müssen uns etwa beim Grenzschutz und bei anderen Fragen stärker unterstützen, als sie das in der Vergangenheit getan haben.
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das machen die Ungarn schon ordentlich!)
Ich komme zu dem konkreten Feld des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und dazu, was wir dort hinbekommen müssen. Wir brauchen unbedingt in Europa gemeinsame Standards. Wir haben Länder, die 25 Prozent derjenigen, die bei ihnen Anträge erstellen, als Asylberechtigte anerkennen; wir haben Länder, die 75 Prozent anerkennen. Das kann so nicht bleiben. Wir müssen hier zu einheitlichen Verfahren kommen. Das ist ein wichtiges Anliegen des vorliegenden Vorhabens.
Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von einem Kollegen der AfD?
Nein, ich komme jetzt ohnehin gleich zum Ende. Danke schön. Wir müssen die Aufnahmebedingungen verbessern. Es kann nicht so bleiben, dass wir Menschen nach unserer Rechtslage eigentlich zurückführen müssten, aber dann gesagt wird, die Bedingungen in Bulgarien und auch in Italien und Griechenland seien weiterhin so menschenunwürdig, dass die Rückführung gar nicht stattfinden könne. Ein dritter Punkt ist das, was auf dem Mittelmeer weiterhin passiert. Es gab dort im letzten Jahr 3 000 Tote. Das ist weniger als zuvor. In der Ägäis ist es auch schon besser geworden; aber die zentrale Mittelmeerroute ist weiterhin eine Route, auf der Menschen sterben. Wir sind der Auffassung, dass es hier ein europäisches Seenotrettungsprogramm geben muss, weil die Militäraktionen nicht geeignet sind, dem Anspruch gerecht zu werden, dass Europa im Mittelmeer kein Massengrab verursacht. Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass wir das Asylsystem weiter europäisieren, dass wir zu gemeinsamen europäischen Verfahren und Aufnahmebedingungen kommen. Wir müssen das so tun, dass es im Einklang mit unseren Werten und den internationalen Verträgen steht, die wir unterzeichnet haben und die Europa ausmachen. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)