Rede von Lars Klingbeil, MdB zum Wehrrechtsänderungsgesetz im Deutschen Bundestag am 24. März 2011

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Aussetzung der Wehrpflicht ist ein großer politischer, aber auch gesellschaftlicher Schritt in Deutschland. Er markiert das Ende einer langen Tradition.

Die Aussetzung der Wehrpflicht ist richtig. Die Verpflichtung junger Männer zum Grundwehrdienst ist heute sicherheitspolitisch nicht mehr gerechtfertigt. Mittlerweile besteht hierüber im Parlament Konsens über die Parteigrenzen hinweg. Ich denke, es ist gut, dass wir uns im Grundsatz gemeinsam auf diesen Weg machen.

(Rainer Erdel [FDP]: Dann stimmt doch zu!)

 

 

Link zum Video für Apple-Anwendungen

 

Die Aussetzung der Wehrpflicht stellt uns aber auch vor eine neue, vor eine gravierende Herausforderung. Eine Institution wie die Bundeswehr, die sich bisher darauf verlassen konnte, einen Großteil des geeigneten Nachwuchses aus den eigenen Reihen zu rekrutieren, muss sich nun dem freien Wettbewerb stellen. Jede Schulabgängerin und jeder Schulabgänger steht vor der Frage: Wie geht es weiter? In diesem Moment muss die Bundeswehr eine ernsthafte Alternative sein, eine Alternative, die Möglichkeiten bietet und Chancen eröffnet.

Sehr geehrte Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich will es Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Hier haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht.

(Beifall bei der SPD – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Doch!)

Sie haben die Wehrpflicht verkürzt, und nun setzen Sie sie aus – und das alles in einem unwahrscheinlichen Tempo. Dabei haben Sie es schlichtweg verpasst, die Bundeswehr attraktiver zu machen und so aufzustellen, dass sie auf dem freien Markt ausreichend geeigneten Nachwuchs finden kann.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie sind erst seit wenigen Wochen im Amt. Sie persönlich können nichts für den Scherbenhaufen, den man Ihnen hinterlassen hat; andere nennen es ein „gut bestelltes Haus“. Aber die Zeit drängt. Wir müssen den Themenkomplex Nachwuchsgewinnung und Attraktivitätssteigerung jetzt zügig angehen. Sie haben eine enorme Kraftanstrengung vor sich. Ich will Ihnen ausdrücklich danken für die ersten Gespräche, die die SPD gemeinsam mit Ihnen führen konnte, und will Ihnen unsere ehrliche Unterstützung anbieten, wenn es in den kommenden Wochen darum geht, das Versäumte nachzuholen und die Attraktivität der Bundeswehr zu steigern.

(Beifall bei der SPD – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was haben wir denn versäumt?)

Es sollte in unser aller Interesse sein, dass wir diese Reform zustande bekommen. Die Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee ist ein zentraler Pfeiler dieser Reform. Er wird maßgeblich über ihren Erfolg entscheiden. Die Erhöhung der Attraktivität, die Intensivierung der Nachwuchsgewinnung und die konzeptionelle Planung, wie wir die besten Hände und die besten Köpfe in unsere Armee bekommen können, muss integraler Bestandteil jeglicher Reformbemühungen in den kommenden Wochen sein. Um es klar zu sagen: Es kann keine Reform der Bundeswehr ohne eine signifikante Erhöhung der Attraktivität geben.

Herr Minister, Sie haben recht, wenn Sie sagen, die Steigerung der Attraktivität ist keine reine Frage des Haushalts. Es geht hier auch um Ansehen, es geht um gesellschaftlichen Stellenwert, und es geht auch um Überzeugungen und Idealismus. Aber Attraktivität ist auch eine monetäre Frage. Deshalb wird es uns nur mit schönen Slogans, mit schönen Bildern und mit Anzeigenkampagnen nicht gelingen, ausreichend Nachwuchs für die Bundeswehr zu gewinnen. Eine Bundeswehrreform, die getrieben ist vom strategischen Parameter der Haushaltskonsolidierung, wird nicht gelingen. Die Abschaffung der Wehrpflicht wird gerade am Anfang – das haben die Experten bestätigt – nicht kostenneutral sein. Es muss also darum gehen, neue Anreize zu setzen. Herr Minister, ich habe die Hoffnung, dass Sie Ihre guten Beziehungen zum Finanzminister im Sinne der Truppe nutzen werden.

Bei der Frage der Attraktivität dürfen wir aber nicht außer Acht lassen, dass sie ebenso wichtig ist für unsere Soldatinnen und Soldaten, die heute schon als Berufsund Zeitsoldaten tätig sind. Sie sind wichtige Multiplikatoren für die Gewinnung von Nachwuchs. Sie berichten von ihren Erfahrungen in der Truppe und von der Wertschätzung, die ihnen entgegengebracht wird. Lassen Sie es mich auch an dieser Stelle anmerken: Die weitere Kürzung des Weihnachtsgeldes war im Übrigen kein Zeichen der Wertschätzung und auch kein positives Signal für die Nachwuchsgewinnung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es uns nicht gelingt, bessere Perspektiven zu schaffen, etwa indem wir Angebote zur Ausbildung, Weiterbildung und zum Studium erhöhen, indem wir auch die Bundeswehruniversitäten öffnen, dann wird die Bundeswehr nicht attraktiver werden. Wenn es uns nicht gelingt, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, etwa durch ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder auch durch eine Neuregelung beim Trennungsgeld und der Umzugskostenvergütung, zu erreichen, dann wird die Bundeswehr nicht attraktiver werden. Wenn es uns nicht gelingt, Laufbahnen anders zu planen und Beförderungsstaus abzubauen, wird die Bundeswehr nicht attraktiver werden.

Ich bin mir sicher, Sie werden genauso wie wir bei Truppenbesuchen auf diese Punkte angesprochen. Die Soldaten und Soldatinnen haben sehr konkrete Vorstellungen, wie man den Dienst attraktiver gestalten kann. Ich finde, an der Stelle sollten wir als Parlamentarier einfach einmal genauer zuhören und die Sorgen und Wünsche der Soldaten auch ernst nehmen.

Bei allem haushaltspolitischen Spagat, den wir zu bewältigen haben, ist festzuhalten: Soldatinnen und Soldaten und auch die Zivilbeschäftigten verdienen unsere besondere Aufmerksamkeit. Gerade die letzten Wochen haben uns doch gelehrt, wie schnell sich die weltpolitische Lage verändern kann. Ich hoffe, uns allen ist noch einmal bewusst geworden, dass es gut ist, zu wissen, dass wir uns auf eine gut aufgestellte, eine hochmotivierte und gut ausgebildete Bundeswehr in jedem Fall verlassen können.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Aussetzung der Wehrpflicht verändert die Bundeswehr maßgeblich. Wir alle tragen Verantwortung, dass diese Reform gelingt.
Als die Kanzlerin auf der Kommandeurstagung in Dresden im letzten Jahr den Soldaten euphorisch zurief, sie wünsche gemäß dem Motto „No risk, no fun“ viel Spaß bei der Veränderung, da war ich schon verwundert. Ich wünsche uns allen in den kommenden Monaten den notwendigen Ernst, wenn wir die Herausforderungen, die vor uns liegen, gemeinsam angehen.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie doch mit! – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Dann können Sie doch mitmachen!)