Sehr geehrter Herr Präsident,
Werte Kolleginnen und Kollegen,
am 26. März 2015 haben wir hier im Parlament über die Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Ländern Georgien, Moldau und Ukraine diskutiert. Mit einer großen Mehrheit haben wir diesen Abkommen zugestimmt und damit in einem seit Jahren laufenden Verhandlungs- und Diskussionsprozess einen weiteren wichtigen Schritt gemacht. Nun liegt es an den Vertragsstaaten, und nach endgültiger Ratifikation aller europäischen Mitgliedsländer, an der Europäischen Union das Vertragswerk erfolgreich umzusetzen.
Neben den vielen vereinbarten Regelungsbereichen gibt es darin auch mehrere Komplexe, die sich mit dem Thema der Inneren Sicherheit in den Vertragsländern, und damit auch in der Ukraine befassen.
So heißt es hier im Artikel 6 unter der Überschrift „Dialog und Zusammenarbeit bei internen Reformen“, dass die Vertragsparteien zusammen arbeiten, um zu gewährleisten, dass ihre Innenpolitik auf den gemeinsamen Grundsätzen der Vertragsstaaten, insbesondere der Stabilität und der Effizienz der demokratischen Institutionen und Rechtsstaatlichkeit, sowie auf der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten beruht, wie sie insbesondere im Artikel 14 genannt sind.
Im Artikel 14 wird die Festigung des Rechtsstaats beschrieben und die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten als Richtschnur der gesamten Zusammenarbeit im Bereich Handel, Freiheit und Sicherheit hervorgehoben. In den Artikeln 22 und 24 wird ausdrücklich die Bekämpfung von Kriminalität, Korruption sowie im Justizbereich betont.
Während der Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen und vor dem Hintergrund der zu vereinbarenden Regelungsbereiche hat der Rat für Außenbeziehungen der Europäischen Union am 22. Juli und 17. November 2014 völlig zurecht und den Herausforderungen entsprechend, die „EU Advisory Mission for Civilian and Securtity Sector Reform Ukraine“ (EUAM Ukraine) beschlossen.
Wir haben vielfach über die Entwicklung in der Ukraine, die teilweise von heftiger Gewalt begleitet war und teilweise auch noch ist, hier im Deutschen Bundestag diskutiert. Da sind die leider bis heute immer noch kriegerischen Auseinandersetzungen mit Separatisten sowie zeitweilig mit militärischen Akteuren aus Russland. Es wird Zeit, dass der Waffenstillstand von Minsk endlich von allen eingehalten wird und keine fremden Kampfeinheiten mehr auf ukrainischem Boden stehen.
Aber, es entspricht auch nicht unserem Verständnis eines demokratischen Rechtsstaates, dass ein Staatswesen von Korruption, direkten politischen Einflüssen von Oligarchen, illegalen Waffenträgern und illegalen, militärisch agierenden „Privatarmeen“ gekennzeichnet ist. Deshalb sind und waren wir uns auch einig über die vorrangige Notwendigkeit der Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols. Dazu bedarf es aber auch handlungsfähiger und wirksamer staatlicher Sicherheitsstrukturen.
Das Ziel von EUAM Ukraine ist die Unterstützung der Reform des zivilen Sicherheitssektors, einschließlich der Polizei und der Rechtsstaatlichkeit. Zu diesem Zweck soll EUAM Ukraine als nicht-exekutive Mission, Aufgaben wahrnehmen wie: Die Beratung bei der Reorganisation sowie Restrukturierung und die Anleitung bei der Ausarbeitung neuer Sicherheitsstrategien. Dazu gehört auch die entsprechende Umsetzung. Ziel ist die Erstellung eines konzeptionellen
Rahmens für die Reform des zivilen Sicherheitssektors, um diesen dauerhaft funktionsfähig, kontrollierbar und rechenschafspflichtig zu machen, seine Legitimität und das Vertrauen in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Die Bundesregierung hat in ihrer Kabinettssitzung am 17. September 2014 deshalb eine deutsche Beteiligung mit bis zu 10 – 20 Polizisten sowie zivilen Experten beschlossen.
Von den derzeit 56 Missionsmitgliedern vor Ort sind 8 aus Deutschland, 5 Politzisten sowie 3 zivile Experten. Mitbeteiligte Nationen sind Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien und Ungarn. Im Mittelpunkt der Arbeit der Mission steht die Reform des Innenministeriums und der ihm unterstehenden Sicherheitskräfte. Dabei wird die Mission beratend tätig und unterstützt die Ukraine auch bei entsprechenden Regionalprojekten.
Dies ist nur zu begrüßen. Genauso wie die Beratung des ukrainischen Innenministeriums zu den Aspekten der Menschenrechte und Gender. Es ist ebenso darauf zu verweisen, dass die Mission ihre Aktivitäten eng mit den übrigen internationalen Akteuren sowie insbesondere mit der Organisationen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) koordiniert. Positiv sind gleichfalls die Unterstützung des Pilotprojektes „Community Policing“ des ukrainischen Innenministeriums in Lviv sowie der damit verbundene Austausch mit lokalen Akteuren und Vertretern der Zivilgesellschaft. Der enge Austausch mit dem ukrainischen Parlament, der Zivilgesellschaft sowie lokalen Think Tanks trägt zur Offenheit und Transparenz und damit auch zu einer „öffentlichen Kontrolle“ der europäischen Mission bei.
Mit dem heute hier zu beratenden Antrag fordert die Fraktion DIE LINKE, die eingesetzten deutschen Polizeikräfte abzuziehen, jegliche weitere Unterstützung der Mission einzustellen und sich innerhalb der EU für ihre Beendigung einzusetzen. Begründet wird dies mit einer der Bundesregierung unterstellten einseitigen Parteinahme in einem Bürgerkrieg und die angebliche Einbeziehung deutscher Polizistinnen und Polizisten auf die Seite einer Bürgerkriegspartei. Das ist fadenscheinig und würde unsere Bemühungen um die Stärkung einer rechtsstaatlichen Entwicklung in der Ukraine torpedieren.
Innen- und Auswärtiger Ausschuss des Deutschen Bundestages haben sich in ihren Sitzungen am 4. Februar 2015 damit befasst und mit übergroßer Mehrheit der Regierungsparteien sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Antrag abgelehnt. Und dies zu Recht! Deshalb bitte ich den Deutschen Bundestag, auch nach dieser Debatte, der Entscheidung des Auswärtigen Ausschusses sowie des mitberatenden Innenausschusses zu folgen und den Antrag der Fraktion „DIE LINKE“ ebenfalls abzulehnen.
Die Bunderegierung hat in zwei Antworten - auf den Drucksachen 18/2327 sowie 18/4084 - klar und deutlich zu den zwei das Thema behandelnden Kleinen Anfragen Stellung genommen. Die von den Antragsstellern vorgetragenen Begründungen für den von ihnen geforderten Abzug der eingesetzten Angehörigen der Bundespolizei, wie: Einseitige Unterstützung einer Bürgerkriegspartei, die pauschale Verdächtigung, dass die neue ukrainischen Regierung und die Behörden kein ernsthaftes Interesse am Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates hätten, sowie die angebliche Stützung der ukrainischen Regierung auf faschistische Politiker und Politikerinnen, sind unzutreffend und gehen fehl.
Die Ukraine befindet sich in einer rasanten Veränderung. An der ein oder anderen Stelle sind am politischen Prozess durchaus noch Personen beteiligt, die extrem rechtes Gedankengut vertreten haben oder es noch vertreten, doch ist deren Anzahl und Einfluss durch die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger deutlich zurückgedrängt worden. Auch dass in einigen Einheiten rechtsextreme Tendenzen vorhanden sind, ist bekannt. Doch haben sowohl Bundesregierung, wie auch die Fraktionen dieses Hauses sich gegenüber der ukrainischen Regierung sowie Parlamentariern der Werchowna Rada immer wieder klar gegen Rechtsextremismus eingesetzt und deutlich gemacht, dass man die Entwicklung aufmerksam beobachtet.
Freiwilligenverbände, dazu in dem einen oder anderen Fall auch noch politisch ausgerichtet - auch rechtsextremistisch - neben der ukrainischen Armee, der Nationalgarde oder anderer unter staatlicher Hoheit und staatlichem Befehl stehende Einheiten sind keine Perspektive für die Zukunft der Ukraine. Schon gar nicht „Privatarmeen“. So ist es gut, dass die ukrainische Regierung aktiv daran arbeitet, die Freiwilligenverbände vollständig in die Struktur der Streitkräfte oder der Nationalgarde zu integrieren. Die Absetzung und die Auseinandersetzungen mit dem ehemaligen Gouverneur Kolomojski aus Dnjepropetrowsk und seinen Bataillons durch Präsident Petro Poroschenko gehen in die richtige Richtung.
Im Übrigen entspricht ein derartiges Vorgehen auch den vereinbarten Maßnahmen von Minsk, wonach alle illegalen Gruppen zu entwaffnen sind. Vollends ins Leere geht der Vorwurf der Fraktion „DIE LINKE“, die Bundesregierung habe im bisherigen Konfliktverlauf nicht ein Mindestmaß an Neutralität gezeigt und damit zur Eskalation beigetragen. Von Anfang an, von
den Bemühungen das Blutvergießen auf dem Maidan am 20. Februar 2014 zu beenden, über die Vielzahl von Verhandlungen in den unterschiedlichsten Formaten und unzähligen Telefonaten, über die ersten Verhandlungen in Minsk bis zu den Vereinbarungen dort am 12. Februar 2015 haben Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel die Linie einer friedlichen Lösung des Konfliktes nachhaltig verfolgt. Eine militärische Lösung schied von Anfang an aus!
Im Übrigen wurde ebenso intensiv darauf hingewiesen, dass die Todesschüsse auf dem Maidan genauso zügig aufzuklären sind, wie der schreckliche Tod der Brandopfer von Odessa.
Inzwischen wurden über 1.150 Untersuchungsverfahren zu den Tötungen rund um den Maidan eröffnet. Eine Benachrichtigung hierüber konnte jedoch nur gegenüber ca. 45 Personen bis Mitte November des letzten Jahres erfolgen. Eine detaillierte Aufarbeitung wird wohl dadurch erschwert, dass in einem erheblichen Umfang Beweismaterial durch ehemalige Amtsträger vernichtet wurde. Kritisch hat sich das vom Europarat eingerichtete internationale Beratergremium, das sich um die Sicherstellung internationaler Rechtsgrundsätze bei den Ermittlungen kümmern soll, in einem Bericht vom 31. März 2015 zu den Maidan-Ermittlungen geäußert. Die ukrainische Regierung hat hier die Aufgabe, die geäußerte Kritik einer mangelnden Aufklärungsbereitschaft im Innenministerium und im Geheimdienst sowie die nicht ausreichenden Ressourcen bei der Generalstaatsanwalt auszuräumen bzw. ihre Ursachen zu beseitigen und für eine nachdrückliche Aufklärung zu sorgen.
Gleiches gilt für die Ermittlungen infolge des Brandes in Odessa mit 42 Toten. Obwohl inzwischen Strafverfahren gegenüber 120 Personen eingeleitet worden sind und ein Prozess gegenüber 20 Verdächtigen begonnen hat, sind leider, was den eigentlichen Brand angeht, wohl bislang keine Verdächtigen ermittelt worden. Der erste Prozess gegen 20 Verdächtige hat Ende November 2014 begonnen. Das internationale Beratergremium des Europarates soll auch die Aufarbeitung dieses gesamten Vorfalles begleiten, und ich erwarte auch hier, dass seitens der ukrainischen Behörden konsequent an einer Aufklärung und Strafverfolgung gearbeitet wird.
Der Pauschalvorwurf des Nichttuns läuft jedoch ebenfalls ins Leere, wobei durchaus die Erwartung da ist, dass die ukrainische Regierung hier noch nachdrücklicher aktiv wird. Doch ist dies allemal kein Anlass zum Rückzug aus der EU-Polizeimission, sondern eher ein Grund, die Unterstützung und die Beratung der ukrainischen Sicherheitseinrichtungen zu intensivieren und weiter auszubauen.
Wenn die Minsker Vereinbarungen vom 12. Februar 2015 zu einem Erfolg werden sollen, was alle Fraktionen im Deutschen Bundestag in Redebeiträgen unterstrichen haben, um der Ukraine und der Region eine Perspektive für einen friedlichen Weg in die Zukunft zu ermöglichen, dann wäre es gerade jetzt angesichts der großen Herausforderungen falsch und kontraproduktiv deutsche Beratungskompetenz und die aus anderen europäischen Ländern, abzuziehen.
Abzuziehen sind vielmehr alle ausländischen bewaffneten Formationen, Militärtechnik und Söldner vom Territorium der Ukraine, wie die Minsker Vereinbarungen es vorsehen. Es wäre besser und zielgerichteter gewesen, wenn die Fraktion „DIE LINKE hierzu aktiv geworden wäre. Ihr Antrag sollte damit vor diesem Hintergrund abgelehnt werden, in dem das Parlament der Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses folgt, damit die zivilorientierte EU-Polizeimission zur Beratung beim Aufbau eines staatlichen, demokratisch-legitimierten Gewaltmonopols in der Ukraine mit deutscher Unterstützung fortgesetzt werden kann.
Danke für die Aufmerksamkeit!