Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie im März bereits angekündigt, haben wir in der Zwischenzeit einen Entschließungsantrag erarbeitet, in dem wir uns kritisch mit der Dienstleistungskarte auseinander setzen.
Diese ist Teil der Vorschläge der Europäischen Kommission für ein Dienstleistungspaket, mit der sie den Marktzugang von Dienstleistern vereinfachen und den Wettbewerb beleben will.Die ebenfalls im Paket enthaltenen Richtlinienvorschläge zum Notifizierungsverfahren und zur Verhältnismäßigkeitsprüfung hatten wir im März bereits gegenüber der Kommission gerügt, weil wir das Subsidiaritätsprinzip der EU-Verträge verletzt sahen.

Die Idee der Dienstleistungskarte mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen. Sie soll Handwerkern aus der Baubranche sowie Architekten und Ingenieuren erlauben, überall in der EU ohne großen bürokratischen Aufwand tätig zu sein. So soll es im Herkunftsland eine Behörde geben, bei der ein Dienstleister seine Unterlagen digital und in seiner Landessprache einreichen kann. Diese prüft und gibt sie an das Aufnahmeland weiter. Hier wird erneut geprüft und das Einverständnis führt zur Ausstellung der Karte – Ausgabe wiederum im Herkunftsland.

Doch bei diesem Vorschlag gibt es gravierende Bedenken unsererseits. Der Prüfungszeitraum im Aufnahmeland beträgt lediglich vier Wochen bei vorübergehender und sechs Wochen bei dauerhafter Dienstleistungserbringung. Kann in dieser Zeit beispielsweise aufgrund von fehlenden Kapazitäten nicht widersprochen werden, gelten die Angaben der Karte dennoch als anerkannt und zwar dauerhaft. Eine so kurze Prüffrist für einen derart komplexen Vorgang käme daher einer Einführung des Herkunftslandprinzips gleich – laut dessen die gesetzlichen Bestimmungen des Heimatlandes auch für das Aufnahmeland gelten. Zumal keine weiteren Anforderungen im Nachhinein an den Besitzer einer Karte gestellt werden dürfen.

Ferner können die konkreten Unterlagen des Dienstleisters wie Ausbildungsabschlüsse, die nur der Behörde im Herkunftsland vorliegen, jenseits der Grenze nicht kontrolliert werden. Die nationalen Kontrollrechte des Aufnahmelandes werden so umgangen, denn dieses würde vielleicht zu einer anderen Einschätzung kommen. Auch kann mit falschen Angaben zur Branchenzugehörigkeit und zur Selbstständigkeit der branchenspezifische Mindestlohn umgangen werden.

Wir sehen zudem die Gefahr, dass die Karte an sich auch als Beleg für eine selbständige Tätigkeit herangezogen werden könnte, obwohl der Besitzer tatsächlich abhängig beschäftigt ist. Damit würde natürlich die Sozialversicherungspflicht umgangen und die Scheinselbständig-keit gefördert werden.

Tief in die Souveränität der Mitgliedsstaaten greift der Vorschlag ein, eine koordinierende Stelle einzurichten. Ihre Aufgabe wäre es, die Unterlagen für die Karte zu sichten, zu vergleichen und zu prüfen. Diese Behörde müsste in Deutschland auf Bundesebene entstehen und widerspricht somit unserer föderalen Struktur – zumal wir auf Länderebene Berufskammern haben, die im Gegensatz zu der neuen Behörde über das notwendige Know-how verfügen. Darüber hinaus würden hier unnötige Doppelstrukturen entstehen.

Deshalb bekräftigen wir mit dem vorliegenden Antrag unsere Forderung, den Vorschlag zur Dienstleistungskarte grundsätzlich zu überarbeiten. Auch drängen wir erneut darauf, dass die Vorschläge zum Notifizierungsverfahren sowie zur Verhältnismäßigkeitsprüfung abgeändert werden. Ein Gutachten aus dem BMWi bestätigt, dass die EU mit dem Vorschlag zum Notifizierungsverfahren ihre Kompetenzen überschreitet. Deswegen wissen wir auch unsere Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries hinter uns. Sie hat ebenfalls Widerstand bei der Dienstleistungskarte angekündigt und wird die Interessen des Parlaments gegenüber der Europäischen Kommission vertreten.

Es kann nicht sein, dass Wettbewerb vor Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechte geht. Aber das scheint der EU in diesem Punkt wichtiger zu sein. Deregulierung kann offenbar nur erreicht werden, wenn Anforderungen an Qualifikation des Dienstleisters sowie Qualität der Dienstleistung gesenkt werden. Aber ist das wirklich das, was wir wollen? Zumal das dann bedeuten würde, dass der Meisterbrief und somit unsere duale Ausbildung grundsätzlich auch in Gefahr ist. Da sagen wir eindeutig nein, da gehen wir nicht mit.

Wir bleiben dabei: Berufsausübungsregeln und Honorarordnungen sind sinnvoll, wenn sie für Qualität, Verbraucherschutz und für den Schutz der Beschäftigten sorgen. Deswegen bleiben wir hier hart und werden unsere Zuständigkeit und unsere Standards weiter verteidigen. 

Vielen Dank!