Antrag der SPD-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung zum Thema "Tourismus in ländlichen Räumen durch schlüssiges Gesamtkonzept stärken"

Aus Anlass der Debatte über den Tourismus in ländlichen Räumen sprach Willi Brase MdB am 25.05.2012 im Plenum des Bundestages:

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über den Tourismus, aber auch über den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Entwicklung ländlicher Räume. Dieser Bericht enthält viele Bilder, Modelle, Projekte, Best-Practice-Beispiele. Wenn wir uns Teilbereiche der ländlichen Regionen anschauen, dann finden wir diese nicht wieder.

(Heinz Paula [SPD]: Das ist das Problem!)

Für das Minimodellprojekt „LandZukunft“ werden ins­gesamt 9 Millionen Euro für den Zeitraum 2011 bis 2014 angesetzt. Auf der anderen Seite werden die Haushalts­mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um 100 Millio­nen Euro gekürzt.

(Heinz Paula [SPD]: Unerhört!)

– Nicht nur unerhört, Herr Kollege. So kann man keine vernünftige Entwicklung der ländlichen Räume voran­bringen.

Wir erfahren von der EU, dass die unterschiedlichen Fördertöpfe nebeneinander herlaufen und dass es keine integrierte, aufeinander abgestimmte Politik gibt. Das muss man kritisieren. Auch die Perspektive „Europa 2020“ sieht als Ziel vor, die Weiterentwicklung einer in­tegrierten gemeinsamen regionalen Politik auf den Weg zu bringen. Das halte ich für richtig und notwendig.

(Beifall bei der SPD)

In meiner Fraktion hatten wir kürzlich eine Debatte über die Situation im Bereich der Intensivtierhaltung. Mittlerweile muss man in Deutschland von Schlachttou­rismus reden. Dänische Unternehmen bringen ihre Schweine nach Deutschland, weil Deutschland in diesem Bereich ein absolutes Billiglohnland ist.

(Heinz Paula [SPD]: Skandal!)

Ich sage deutlich: Es ist eine Schande, dass in unserem Land rumänische Werkvertragsarbeitnehmer für 2,78 Euro in der Stunde arbeiten müssen. Sie bekommen 3 Euro Auslöse pro Tag und müssen davon Ernährung, Klei­dung und Unterkunft bezahlen. Es ist eine Schande für dieses Land. Das gehört endlich geändert, liebe Kolle­ginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wird Sie nicht verwundern, wenn ich sage, dass dort der Mindestlohn notwendig und richtig wäre; das brau­che ich gar nicht zu erklären. Er würde den Menschen helfen, und wir könnten tatsächlich von einer sozialen Marktwirtschaft reden.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])

Gehen wir zum Tourismus im Hotel- und Gaststätten­bereich über. Es klang eben ein bisschen an: Alle Statis­tiken weisen heute aus, dass die Hälfte aller Beschäftig­ten im DEHOGA-Bereich auf der Basis von Minijobs arbeiten. Was sind das für Zukunftsperspektiven? Diese Menschen kommen später an und brauchen die Grund­sicherung, die wir alle bezahlen müssen. Das ist der fal­sche Weg. Hier müssen dringend Änderungen her.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])

Gehen wir weiter: Im Fortschrittsbericht wurde auch ausgeführt, dass es einen Nationalen Pakt für Ausbil­dung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland gibt. Das ist richtig. Die Ausbildungsplatzzahlen – das kann ich als Berichterstatter eindeutig bewerten – haben sich verbessert. Aber in den ländlichen Regionen sind immer noch gut 300 000 junge Leute in Übergangsmaßnahmen. Wo ist eigentlich das Konzept der Bundesregierung für die jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren, die keinen Berufsabschluss haben? Sie haben das Problem im Pakt selber beschrieben und schreiben: Wir wollen diesen Pakt weiterentwickeln. Wo ist das Konzept, damit diese jungen Leute endlich qualifiziert werden, damit wir im Fachkräftebereich auch im ländlichen Raum end­lich nach vorne kommen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])

Der Bund der Deutschen Landjugend ist mittlerweile auf dem Weg und sagt: Wir stehen im ländlichen Bereich in Konkurrenz zu industriellen gewerblichen Strukturen, und wir möchten, dass ein Qualifizierungsfonds aufge­legt wird; wir wollen also Angebote für junge Menschen auf hohem qualifikatorischem Niveau auf den Weg brin­gen. – Das halten wir für gut. Es gibt das schon in Schleswig-Holstein, im Baubereich – das ist bekannt – und im Gerüstbaubereich. Es wäre gut, wenn die Bun­desregierung dies ein Stück weit aufgreifen würde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns die Situation der jungen Frauen im ländlichen Bereich an. Da gibt es drei Aspekte, die man beachten muss:
Erstens. Die Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen beträgt grundsätzlich im Durchschnitt immer noch 23 Prozent zulasten der Frauen. Im ländlichen Be­reich ist die Lücke teilweise um 10 Prozentpunkte grö­ßer.

Zweitens. Wir wissen, dass wir auch im ländlichen Bereich Kinderbetreuungseinrichtungen brauchen; dort haben wir Defizite. Ich kann es Ihnen heute hier nicht er­sparen: Es ist der völlig falsche Weg, dann das Betreu­ungsgeld auf den Weg zu bringen, um Partikularinteres­sen der CSU zu befriedigen; er führt in die Irre.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist die direkte Be­ziehung zum Tourismus!)

Die jungen Frauen haben etwas anderes, etwas Besseres verdient.

Drittens. Wir haben die Abwanderung der jungen Menschen aus den ländlichen Räumen. Teilweise ist diese sehr groß. Nur noch 80 junge Frauen kommen auf 100 junge Männer: Vor allem in Ostdeutschland erleben wir solche Verwerfungen. Auch hier entdecke ich wenig bis gar nichts Konzeptionelles.

Was ist zu tun? Ich glaube, dass wir Entwicklungs­konzepte entwickeln und auf den Weg bringen müssen. Wir haben dazu in Nordrhein-Westfalen gesagt, dass wir so etwas wie regionale Strukturpolitik brauchen. Es gibt ländliche Räume, die sehr stark industrialisiert sind, in denen es sowohl Landwirtschaft – Grünland – und Tou­rismus als auch starke industrielle mittelständische Un­ternehmen gibt. Ich verweise auf Südwestfalen. Der Hinweis im Fortschrittsbericht, dass das überwiegend in Süddeutschland der Fall ist, ist nicht ganz richtig. Schauen Sie sich die deutsche Landkarte an: Die Situa­tion hat sich verbessert; das Phänomen hat sich verbrei­tert. Es hat sich deshalb verbessert und verbreitert, weil wir mit der regionalen Strukturpolitik alle Aspekte länd­licher Entwicklung ins Visier nehmen. Es fängt an bei Tourismusprojekten; es hört auf bei der Qualifizierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist gut, dass es immer wieder Bundesländer gibt, die neue Fach­oberschulen gründen, um einen vernünftigen Wissens­transfer auf den Weg zu bringen.

Es gibt also eine Menge zu tun. Die Daseinsvorsorge und die Infrastruktur sind angesprochen worden. Das ist wichtig; da müssen wir den Kommunen helfen. Ich sage hier: Es ist gut, dass die Gemeindefinanzreform schei­terte, dass die Gewerbesteuer bleibt. Gerade jetzt, in wirtschaftlich guten Zeiten, erweist sie sich als eine gute Sache.

(Beifall bei der SPD)

Also: Weniger Hochglanz, mehr tun!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

 

 

 

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