Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Kaum ein Land steht aus der europäischen Perspektive so sehr für das staatliche Scheitern wie Somalia. Seit 25 Jahren beherrschen Bürgerkrieg und Konflikte das Land am Horn von Afrika. Seitdem gibt es keine funktionierende Regierung mehr, die das Land kontrollieren könnte. Für die Menschen in Somalia fehlt es an lebensnotwendiger Infrastruktur. Kinder brauchen Schulen. Es gibt nicht genug Krankenhäuser und zu wenige Straßen. Doch der somalische Staat ist nach fast zweieinhalb Jahrzehnten Bürgerkrieg kaum handlungsfähig. Vertreter der somalischen Verwaltung sagen offen, dass sie nicht in der Lage sind, flächendeckend Steuern zu erheben, geschweige denn für Sicherheit zu sorgen.
Entsprechend schlecht steht es auch um die somalische Politik. Das Mandat der aktuellen Regierung endet im August. Voraussichtlich wird auch die Nachfolgeregierung wiederholt eine international eingesetzte Übergangsregierung sein. Echte freie Wahlen sind nicht in Sicht. Währenddessen regieren im somalischen Alltag Korruption und Kriminalität. Bei all dem ist die Sicherheitslage frappierend. Journalisten werden verfolgt. Terror findet statt und findet nicht ausreichend Gegenwehr. Die europäisch-amerikanisch finanzierten AMISOM-Truppen der Afrikanischen Union, die gegen die islamistische al-Schabab-Miliz kämpfen, werden von der somalischen Bevölkerung eher als Besatzer wahrgenommen. Gleichzeitig greift al-Schabab immer wieder AMISOM-Truppen an und verursacht hohe Verluste. Die Folge ist klar: Hundertausende fliehen.
Zur ganzen Wahrheit gehört zum Glück aber auch ein Hoffnungsschimmer mit positiver Perspektive. Es war in Somalia früher noch schlimmer und geht nun langsam aufwärts. Immer mehr Somalier kehren zurück. Sie versuchen ihr Glück in funktionierenden Wirtschaftsbereichen – sei es Telekommunikation oder Gastronomie – und bauen ihr Land wieder auf. Ich habe einen Artikel über Ahmed Jama, einen dieser Rückkehrer, gelesen. Dieser Artikel macht Hoffnung:
Es gibt wieder Straßenbeleuchtung, es gibt überhaupt Straßen, eine Müllabfuhr, Strom, Internet. Es gibt Geschäftsstraßen, Telekommunikationskonzerne, eine Bank, und bald soll das erste Mal ein somalisches Fußballspiel live im Fernsehen gezeigt werden.
Auch die internationalen Akteure tragen dazu bei, dass es vorwärtsgeht. Die Internationale Organisation für Migration finanziert und leitet das Aussteigerprogramm für al-Schabab-Mitglieder. Oft genug machen junge Männer aus reiner wirtschaftlicher Verzweiflung bei Terroristen mit. Sie kann man wieder für den friedlichen Weg gewinnen. Im nördlichen Teil Somalias, wo al-Schabab nicht herrscht, ist die Situation besser als im Süden. Hier kann man sich recht sicher bewegen, und das kulturelle und soziale Leben entwickelt sich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwar gibt es Pflänzchen der Hoffnung, aber sie sind sehr zart und zerbrechlich. Deswegen ist es noch immer notwendig, im Zusammenhang mit Somalia über ausländische Unterstützung – auch in Form militärischer Einsätze – zu sprechen. Deutschland – gemeinsam mit der Europäischen Union – bemüht sich, im Rahmen der Mission EUTM Somalia das somalische Militär durch Training schlagkräftiger zu machen. Ebenso engagieren wir uns in der zivilen Mission EUCAP NESTOR beim Aufbau regionalen Wissens im Bereich der Sicherheit und des Managements der Küstenregion. Leider gibt es dabei Ernüchterung; denn der innere Zusammenhalt der nationalen Armee ist schwach, die Kooperation mit den Nachbarländern ebenso.
Dennoch ist für mich klar: Deutschland – in Gestalt der Bundeswehr – soll sich am langen Weg der Ausbildung und des Aufbaus beteiligen. Ausbildungsmissionen für Militär, Polizei und Behörden im Land sind wichtige und notwendige Unterstützung für Somalia. Aber genauso gilt: Solange Somalia nicht selbst für Sicherheit sorgen kann, solange die Gefahr der Piraterie nicht vorüber ist, darf die Bundeswehr zur Sicherheit der Seewege vor Somalias Küste beitragen. Im Rahmen der EU-Mission Atalanta schützen europäische Soldatinnen und Soldaten die Sicherheitsinteressen Somalias und die Sicherheitsinteressen Europas.
An dieser Stelle möchte ich allen ein Kompliment aussprechen, die auf hoher See gegen Piraterie vorgehen. Seit 2015 gab es keine Piratenangriffe mehr. Für alle noch einmal zur Erinnerung: 2011 waren es noch 237 Angriffe. Unser Dank gilt daher den Soldatinnen und Soldaten für ihren erfolgreichen Einsatz.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Gleichzeitig sende ich meine besten Wünsche für die kommende Mandatszeit an die Missionsleitung; denn seit März steht die Mission Atalanta unter deutscher Führung.
Wenn wir über Somalia reden, müssen wir vorausschauend und umfassend denken und handeln. Es geht gleichzeitig um langfristigen zivilen und militärischen Aufbau und mittelfristig um die Herstellung und Wahrung der Sicherheit. Ohne Sicherheit ist Aufbau nicht möglich. Wir engagieren uns einerseits in der Mission EUTM Somalia und EUCAP NESTOR für den Aufbau, und solange es notwendig ist, engagieren wir uns in der Mission Atalanta auch direkt für die Sicherheit. Eben weil die Mission erfolgreich handelt, können wir die maximale Truppenstärke für die nächsten zwölf Monate von 990 auf 600 Personen reduzieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Wohle der Menschen Somalias und im Sinne der Sicherheit der internationalen Schifffahrt vor den Küsten Somalias werde ich der Verlängerung der Mission Atalanta zustimmen. Ich werbe dabei auch um Ihre Unterstützung.
Dankeschön für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)