Dr. Sascha Raabe (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Daub, im Fachausschuss schätze ich Sie ja durchaus.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Zu Recht!)

Aber wenn Sie in einer Situation, in der Deutschland, was die Steuereinnahmen angeht, bedingt durch viele Faktoren so gut dasteht wie nie – wenn Sie heute Morgen die Generaldebatte verfolgt haben, konnten Sie das hören –, sagen: „Wir müssen aufpassen, dass Deutschland nicht irgendwann einmal zu einem Ent­wicklungsland wird“, und wenn ausgerechnet in einem Jahr, in dem wir eine so gute finanzielle Basis haben, der Entwicklungsetat gekürzt wird,

(Otto Fricke [FDP]: Ich denke, Sie wollen noch mehr sparen! Was denn nun?)

dann ist das ein Schlag ins Gesicht der 900 Millionen Menschen, die hungern. Das ist schäbig, und das weise ich hier in aller Schärfte zurück, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist nicht schäbig! – Otto Fricke [FDP]: Sie wollen doch noch mehr sparen!)

Deutschland ist ganz weit davon entfernt, ein Ent­wicklungsland zu werden. Aber in der Tat verspielen wir unsere Zukunft, wenn wir nicht über den eigenen Teller­rand blicken und nicht verstehen, dass wir in einer Welt leben, in der wir die bestehenden Herausforderungen nur gemeinsam mit anderen Ländern bewältigen können. Das gilt gerade im Hinblick auf das Bevölkerungswachs­tum. Bis zum Jahr 2050 werden 9 Milliarden Menschen auf der Welt leben. Mit all diesen Menschen sitzen wir sozusagen in einem Boot; wir müssen sie mitnehmen.

Wir können uns nicht ausklinken und so tun, als wür­den wir nicht wahrnehmen, was um uns herum ge­schieht. Wir erleben gerade in sehr vielen Staaten Kriege, Konflikte, Hunger, Armut, Chaos und Terror. In einer solchen Situation können wir doch nicht einfach den Entwicklungsetat kürzen und dann noch sagen: Das müssen wir machen, weil Deutschland sonst selbst ein Entwicklungsland wird. – So geht das nicht, liebe Kolle­ginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/(C)DIE GRÜNEN)

Die Probleme sind nicht erst seit heute bekannt, son­dern sie kamen schon in der ersten Debatte zu diesem Haushalt zur Sprache. Der Aufwuchs in Höhe von 37,5 Millionen Euro, der im Haushalt enthalten ist, hätte – das wissen wir doch alle – nie im Leben gereicht, um unserem internationalen Versprechen, bis 2015 eine ODA-Quote von 0,7 Prozent zu erreichen, auch nur an­satzweise nachzukommen. Spätestens jetzt werden Sie zu Vertragsbrechern. Wir haben heute schon mehrmals festgestellt: Dieser Koalitionsvertrag ist wirklich das Pa­pier nicht wert, auf dem er gedruckt ist; er ist genauso hinfällig wie Ihre gesamte Koalition.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Ergebnis der Bereinigungssitzung des Haushalts­ausschusses lag im Morgengrauen vor. Der Begriff „Grauen“ trifft es ziemlich genau. Das Geld, das drin­gend gebraucht wird für den Aufbau von sozialen Siche­rungssystemen, für Bildung, für Gesundheit, für Ernäh­rungssicherung, für Bewässerungsprojekte, all das Geld fehlt jetzt. Deswegen haben viele Organisationen der Zivilgesellschaft uns Abgeordnete heute noch einmal an­geschrieben und an uns appelliert, diese Kürzungen nicht hinzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, hören Sie die Signale! Haben Sie den Mut, auch einmal gegen Ihre Fraktionsoberen zu stim­men! Stimmen Sie diesen Kürzungen nachher nicht zu!

Textfeld: (D)(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])

Zu verantworten, Herr Minister Niebel, hat diese Kür­zungen keineswegs das Parlament, wie Sie es in einer Pressemitteilung und in der Haushaltssitzung behauptet haben. In diesem Haus gab es einen entwicklungspoliti­schen Konsens. Die Mehrheit der Abgeordneten hat ei­nem Aufwuchs um 1,2 Milliarden Euro pro Jahr zu­gestimmt. Sie haben daraus nie etwas gemacht. Wenn Sie auftreten, ob hier oder in aller Welt, dann tun Sie das breitbeinig und am liebsten mit Feldjägermütze.

(Zurufe von der FDP)

Letztes Mal, bei der ersten Debatte, haben Sie – groß­spurig, wie Sie sind – etwas von einem Rekordhaushalt erzählt. Und jetzt lassen Sie sich von Ihrem eigenen Haushälter, von Herrn Koppelin, am Nasenring durch die Manege ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der FDP)

Das ist doch lächerlich. Kein Wunder, dass Sie am Kabi­nettstisch nicht einen einzigen Tagesordnungspunkt durchgesetzt haben. Wie wollen Sie gegenüber der Bun­deskanzlerin 1 Milliarde Euro durchsetzen, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, 37 Millionen Euro gegen­über Ihrem eigenen Haushälter durchzusetzen? Das ist eine Lachnummer.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Sie sollten einmal Ihr Verhältnis zu den Kollegen Ihrer eigenen Partei überprüfen. Auch als Sie damals einen Sonderfonds für Haiti forderten, hat Ihnen Herr Koppelin den herausgestrichen. Es kann doch nicht sein, dass jedes Mal, wenn Herr Koppelin „Sitz!“ sagt, der Bundesminister für Entwicklung, der Wuffi Dirk, wie ein kleiner Hund mit dem Schwänzchen wackelt.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Das ist doch ein wichtiges Thema, Herr Minister. Da reicht es nicht, sich aufzuplustern. Sie müssen wenigs­tens Ihren eigenen Haushälter mit Autorität von Ihrer Sache überzeugen. Sonst werden Sie mit Ihren Anliegen im Kabinett keine Glaubwürdigkeit haben.

Herr Minister, ich habe schon mehrmals Ihre Vettern­wirtschaft kritisiert. Das mache ich jetzt nicht noch ein­mal. Bemerkenswert ist aber, dass die Personalpolitik im BMZ – das spiegelt sich im Haushalt wider – immer mehr in Richtung Wahlkampf geht. Die Abteilung „Pla­nung und Kommunikation“ wird mit Stellen aufgebläht. Der Personalrat spricht davon, dass – ich zitiere – „in den operativen Kernbereichen des Hauses Schmalhans Küchenmeister ist“, weil immer mehr gute Leute aus den Fachabteilungen abgezogen werden, sodass letztlich nur noch Propaganda gemacht wird.

Man muss sich dann schon die Frage stellen, ob mit diesem Haushalt für das Jahr 2013 nicht eher das Ziel verfolgt wird, den Bundestagswahlkampf statt im Dehler-Haus im BMZ mit dem Geld der deutschen Steu­erzahler planen zu können. Nachdem Sie die Service­stelle „Engagement Global“ gegründet haben, werden Sie demnächst wahrscheinlich auch noch eine Service­stelle „Engagement Liberal“ gründen. Wenn es um Ihre Partei geht, Herr Minister, ist Ihnen nichts zu teuer. Das trifft aber auf die Menschen, die es nötig hätten, leider nicht zu.

Herr Minister, Sie haben in Ihrem Haus seit 2010, wenn ich richtig gezählt habe, mehr als 20 Strategie­papiere schreiben lassen. Selbst wir als Fachpolitiker haben Mühe, da die Übersicht zu behalten.

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das kann ich mir bei Ihnen vorstellen! – Weiterer Zuruf von der FDP: Strengt euch mal an!)

Ständig werden uns neue Konzepte präsentiert. In der Chefetage des BMZ wird so viel heiße Luft produziert, dass man schon Angst vor Wüstenbildung haben muss. Dazu passt, dass Sie uns neulich ein entwicklungspoliti­sches Weißbuch vorgelegt haben, in dessen zehn Haupt­botschaften auf der ersten Seite Sie eigentlich nur sich selbst feiern. Die Begriffe „Hunger“ und „Armut“ tau­chen in dieser Gliederung kein einziges Mal auf.

Ich kann nur sagen: Wir Sozialdemokraten haben eine Strategie vorgelegt, in der die Bekämpfung von Hunger und Armut an allererster Stelle steht. Sie hingegen ma­chen in erster Linie Außenwirtschaftsförderung. Sie ha­ben eine Ressortvereinbarung mit dem Auswärtigen Amt geschlossen, die angeblich zu einer besseren Abstimmung und mehr Effizienz – Sie nehmen ja immer das Wort „Ef­fizienz“ in den Mund – führten sollte. Dann werfen Sie Ih- (C)rem ehemaligen besten Freund Westerwelle aber vor:

Es kann nicht sein, dass Menschen in der von Kri­sen geschüttelten Region am Horn von Afrika unter der Untätigkeit des Auswärtigen Amtes leiden.

Das kommt dabei heraus, wenn man die Kernzuständig­keit des BMZ, nämlich humanitäre Hilfe zu leisten, aus­lagert, um einen Kuhhandel zu machen. Anschließend klagen Sie öffentlich in der Presse Westerwelles Untätig­keit an. Da kann natürlich eine Männerfreundschaft schon einmal auf der Strecke bleiben. Noch schlimmer ist aber, dass Zehntausende Flüchtlinge in der Krisen­region am Horn von Afrika darunter leiden.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Raabe!

Dr. Sascha Raabe (SPD):

Ich komme zum Schluss. – Ich kann Ihnen nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition: Wenn Sie heute so abstimmen, wie Sie abstimmen wol­len, dann müssen Sie den Menschen erklären, warum Sie an diesem trüben Novembertag das 0,7-Prozent-Ziel zu Grabe getragen haben. Ich appelliere an Ihr Gewissen: Stimmen Sie dem nicht zu!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)