Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich bin sehr froh, dass wir heute in der Kernzeit über das Thema Berufsbildung diskutieren. Denn zu oft verlieren wir uns gerade in Debatten über die Bildungspolitik in Allgemeinplätze, ohne die Probleme einzelner Bereiche konkret zu erfassen. Erfreulicherweise ist das heute anders.

Wir brauchen diese zentrale Debatte, weil das duale System ein wesentlicher Garant dafür ist, Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften zu gewinnen. Viele Nationen beneiden uns um die Verbindung von Theorie und Praxis bei der beruflichen Ausbildung junger Menschen. Darüber besteht hier im Hause, so denke ich, Einigkeit. Durch die Ausbildung in Betrieben erlernen unsere Jugendlichen stets den Umgang mit Technik auf dem aktuellsten Stand. Sie werden somit optimal auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbereitet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Qualität der deutschen Berufsausbildung muss erhalten bleiben. Deshalb brauchen wir eine Debatte, bei der wir genau hinschauen, um die Situation, in der sich Zehntausende ausbildungswillige junge Menschen befinden, exakter zu analysieren. Dabei fällt auf, dass es in der Berufsbildung einige Baustellen gibt. An erster Stelle sind nach wie vor die fehlenden Ausbildungsplätze zu nennen. Noch stimmt es nicht, dass sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt aufgrund des demografischen Wandels entspannt, frei nach dem Motto: Nicht die Plätze sind knapp, sondern die Bewerber. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich auch im Ausbildungsmarkt niedergeschlagen. Auch wenn der DIHK sagt, die Trendwende sei da, so ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Jahr 2009 gesunken. Im Berufsbildungsbericht heißt es lapidar: Die Ausbildungsmarktsituation hat sich für die Jugendlichen nicht wesentlich verschlechtert.

Diese Formulierung ist bemerkenswert: Die Situation hat sich also auch nicht verbessert. Bedenkt man zudem die Unvollständigkeit der Statistik, in der Altbewerber und junge Menschen ohne Schulabschluss nicht auftauchen, wird klar, wie sehr der Schein trügt. Wir müssen die erweiterten Zahlen betrachten.

(Beifall bei der SPD)

Wer genauer hinsieht, wird mit einigen erschreckenden Zahlen konfrontiert. Wir haben hier heute schon öfter davon gehört. Besonders die schlechten Chancen sogenannter Altbewerber machen mir Sorgen. Sie stecken im Übergangssystem fest und drehen eine Schleife nach der anderen. Rund einem Drittel der Jugendlichen gelang es in einem Zeitraum von zwei Jahren nach Abschluss einer Maßnahme nicht, eine vollqualifizierende Das kann sich eine Gesellschaft, die laut CDU/CSU eine Bildungsrepublik sein will, nicht leisten.

(Beifall bei der SPD)

Wer Jahr um Jahr keine Chance sieht, für den Arbeitsmarkt ausgebildet zu werden, der verliert jegliche Lern und Arbeitsmotivation. Wer ohne Perspektive ist, der resigniert. Das kann sich eine Gesellschaft, die laut CDU/CSU eine Bildungsrepublik sein will, nicht leisten. Jeder Mensch braucht die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz. Deshalb fordern wir in unserem Antrag eine Berufsausbildungsgarantie. Ansonsten steigt die Quote der Ungelernten in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen weiter an. Diese Quote ist ohnehin sehr hoch.

(Beifall bei der SPD)

Sie liegt bei unglaublichen 15,2 Prozent. Das entspricht 1,5 Millionen Schicksalen. Frau Hinz hat schon darauf hingewiesen: Wir müssen auch denen helfen, die ohne Ausbildung bereits im Beruf stecken. Durch berufsbegleitende Ausbildung müssen wir es ihnen ermöglichen, sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Es ist doch paradox: Auf der einen Seite stehen Altbewerber und Ungelernte; auf der anderen Seite rufen wir den Fachkräftemangel aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jugendliche mit Migrationshintergrund sind von den Warteschleifen besonders häufig betroffen. „Berlins Wirtschaft braucht Dich“: So werben IHK und Unternehmen im Rahmen einer Ausbildungskampagne gegen den Fachkräftemangel in dieser Stadt um Jugendliche aus Zuwandererfamilien. Das ist keinesfalls nur ein Berliner Phänomen. Wir brauchen für den Arbeitsmarkt der Zukunft alle Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund; wir müssen alle Talente nutzen. Mir bereitet auch die immer lauter geführte Diskussion über die Ausbildungsreife unserer Jugendlichen Sorge. Wir alle kennen die Aussagen des DIHK: Neben schulischen Grundkenntnissen mangele es den Jugendlichen an Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft. – Es fehlen die Soft Skills, wie es auf Neudeutsch heißt. In den Medien sehen wir Berichte von Vorstellungsgesprächen, die mit dem Satz des einstellenden Meisters enden: Geeignet war keiner der Bewerber; ich vergebe den Ausbildungsplatz folglich nicht an den besten Kandidaten, sondern an denjenigen, der weniger Fehler gemacht hat als andere.

Die Beschreibung fehlender Bewerberqualifikationen ist sicherlich wichtig, vor allem mit Blick auf den drohenden Fachkräftemangel. Erstens sollten wir aber nicht unsere Ausbildungsuchenden stigmatisieren, sondern ausbildungsbegleitende Hilfen anbieten,

(Beifall bei der SPD)

damit das Ausbildungsziel erreicht wird. Zweitens müssen wir über die Ursachen sprechen und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Nicht unsere Jugendlichen haben versagt, sondern das Bildungssystem ist verbesserungswürdig.

(Beifall bei der SPD)

Es mangelt an Lehrkräften, Schulsozialarbeitern, Psychologen, individueller Förderung, rechtzeitigen Berufsorientierungsphasen, aber auch an Hilfestellungen während der Ausbildung. Schulen, Unternehmen und Eltern sind gefordert, wenn es um die frühzeitige Vernetzung von Lernalltag und Berufsvorbereitung geht. Wir brauchen eine qualifizierte Einstiegsvorbereitung auf den Beruf. Darum gehört eine individuelle Berufswegeplanung als fester Bestandteil in die Lehrpläne ab der 7. Klasse.

Wir haben in den letzten Tagen viel über den Rettungsschirm für den Euro diskutiert. Lassen Sie uns bei aller Wichtigkeit des Themas nicht vergessen, das Gold in den Köpfen unserer Kinder zu fördern. Die Zukunftschancen unseres Landes sind eng verbunden mit den Talenten, die in diesen Köpfen stecken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)