Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir die Nachrichten über die Toten, die Verletzten, die Verwundeten in der Ukraine betrachten, dann dürfen wir eines nicht vergessen: Diese Tragödie betrifft auch uns, weil das, was dort passiert, in unserer unmittelbaren Nachbarschaft stattfindet. Deshalb ist es gut, dass während dieser Debatte die Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands in Kiew bei Präsident Janukowitsch sind und dort den erneuten Versuch unternehmen, zu einer politischen Lösung des Konfliktes beizutragen und für eine Atempause zu sorgen. Ich danke Außenminister Steinmeier für diese Initiative; denn es ist vielleicht der vorerst letzte Versuch, eine weitere Eskalation zu verhindern.
Die Nachricht von einem Gewaltverzicht, die uns gestern am späten Abend erreicht hat, gibt Hoffnung, dass der heutige Besuch tatsächlich etwas bewirken kann. Aber Sie alle haben in den letzten Stunden und Minuten vielleicht die Nachrichten von weiteren Schusswechseln auf dem Maidan gehört. Es ist wirklich eine angespannte Situation, und die Lage steht auf der Kippe. Es ist völlig klar: Bei einem weiteren Rückschlag werden die EU-Außenminister in Brüssel gar nicht umhinkommen, Sanktionen zu beschließen.
Ich bin mir sehr bewusst darüber, dass Sanktionen natürlich nicht die Lösung des Problems darstellen. Unsere Politik der Östlichen Partnerschaft steht am Scheideweg. Wir dürfen in der Ukraine nicht wieder den Eindruck erwecken, das Land müsse sich quasi zwischen Russland und Europa entscheiden. Diese Nullsummenlogik müssen wir überwinden. Aber damit gar kein Missverständnis aufkommt: Die Hauptverantwortung für die Eskalation tragen Präsident Janukowitsch und seine Entourage.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Er hat es seit Wochen in der Hand, den Weg für umfassende Reformen freizumachen. Die Vorschläge dafür liegen seit langem auf dem Tisch. Seiner Hinhaltetaktik haben wir es letztlich zu verdanken - das ist auch ein Teil der Wahrheit -, dass die extremistischen Kräfte innerhalb der Opposition immer mehr Zulauf bekommen haben.
Die Gewalt der letzten Tage ist ganz besonders bitter, weil wir doch ein wenig Anlass zur Hoffnung hatten. Nach Vermittlung durch die OSZE haben die Demonstranten das Kiewer Rathaus geräumt. Die Voraussetzungen für eine Amnestie sind geschaffen worden. Vielleicht ist es auch die Furcht vor einer in Sichtweite kommenden politischen Lösung, die extremistische Kräfte auf beiden Seiten angestachelt hat, jetzt eine Lösung zu verhindern. Wir kennen das von anderen Konflikten. Auch die gewaltbereiten extremistischen Kräfte innerhalb der Opposition tragen somit Verantwortung für die Lage.
Die Leidtragenden dieser Eskalation sind wieder einmal die Menschen, junge Menschen, alte Menschen, zum Teil ganze Familien - wir alle haben die Bilder noch im Kopf -, die seit Wochen und Monaten auf der Straße für etwas kämpfen, das wir für selbstverständlich halten. Sie wollen Teil dieses Europas sein, und das ist auch ihr gutes Recht. Deshalb müssen wir hier im Hohen Hause unterstreichen: Wir stehen an ihrer Seite.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn es jetzt keine Lösung gibt, werden sie zerrieben zwischen dem brutalen, rücksichtslosen Vorgehen der ukrainischen Sicherheitskräfte auf der einen Seite und dem martialisch auftretenden sogenannten Rechten Block auf der anderen Seite. Präsident Janukowitsch hat es in der Hand, die Gewaltspirale zu stoppen. Aber dafür muss er Schluss machen mit seiner Politik des Hinhaltens und Täuschens und endlich wie der Präsident des ganzen Landes handeln.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dem Gewaltverzicht müssen eine Rückkehr zur Verfassung von 2004 und vorgezogene Neuwahlen noch in diesem Jahr folgen.
Mein Appell richtet sich an Präsident Janukowitsch: Nutzen Sie die Atempause der gestrigen Vereinbarung! Setzen Sie eine Verfassungskommission ein, und bilden Sie unverzüglich eine repräsentative Übergangsregierung! Ziehen Sie Ihre Sicherheitskräfte zurück, und stoppen Sie die Offensive Ihres Geheimdienstes!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident, schaffen Sie endlich die Voraussetzung für eine Wiederaufnahme des politischen Prozesses.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Video zur Rede finden Sie hier.