Swen Schulz (Spandau) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Situation derjenigen, die in der Wissenschaft arbeiten, hat uns alle im Ausschuss für Bildung und Forschung in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt. Vor allem am wissenschaftlichen Nachwuchs muss uns gelegen sein. Wir brauchen ihn für die Lehre an den Hochschulen. Immer mehr Leute wollen studieren – das ist wunderbar –; aber sie müssen natürlich auch gut und kompetent ausgebildet werden. Außerdem benötigen wir Forscherinnen und Forscher, die uns voranbringen, die uns in den verschiedenen Bereichen Problemlösungen anbieten.

(Beifall bei der SPD)

Tatsächlich hat gerade auch der Bund seit etwa 15 Jahren erheblich dazu beigetragen, dass in der Wissenschaft aufgebaut wurde. Trotzdem müssen wir uns Sorgen um den wissenschaftlichen Nachwuchs machen. Denn Wissenschaft als Beruf droht unattraktiv zu werden. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen durch schlechte Arbeitsbedingungen, durch einen Mangel an Perspektiven abgeschreckt werden.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider ja!)

Ich möchte etwas aus einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie zitieren – es handelt sich um die Aussage einer jungen Naturwissenschaftlerin, die an einer Universität beschäftigt war –:

Die Gefahr, nach jahrelangem „Durchschlagen“ auf befristeten Stellen und einem gewissen „Berufsnomadentum“ am Ende keine permanente Stelle zu bekommen, ist hoch. Das Risiko, diesen Weg zu gehen, ist mir persönlich zu hoch, auch wenn ich die Arbeit in der Wissenschaft mag.

 

An diesem Beispiel ist zu sehen, dass wir Menschen verlieren, dass wir ihre Kompetenzen verlieren. Das können wir nicht einfach hinnehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Gerade heute ist der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ veröffentlicht worden. Die Befunde sind eindeutig. Es gibt einige positive Entwicklungen. Doch die Sorge um die Zukunft zieht sich wie ein roter Faden durch den Bericht. Der Befristungsanteil bei den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist auf 90 Prozent – 90 Prozent! –

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hört! Hört!)

im Jahr 2010 angestiegen. Teilzeitbeschäftigung nimmt zu, ebenso die Drittmittelfinanzierung. Das ist eine Fehlentwicklung. Wir müssen den Menschen in der Wissenschaft Perspektiven geben.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum bringt die SPD-Bundestagsfraktion heute den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft ein, mehr oder weniger kurz: Wissenschaftszeitvertragsänderungsgesetz. Ziel ist, Missbrauch bei Befristungen von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft zu verhindern, die Situation der Beschäftigten zu verbessern und somit letztlich Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Mit diesem ausformulierten Gesetzentwurf wollen wir erreichen, dass nach langen, mehrfachen Debatten im Plenum des Bundestages und im Ausschuss endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden,

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!)

und zwar noch vor den Bundestagswahlen.

(Beifall bei der SPD)

Weil wir wissen, dass wir hier im Bundestag nicht die Mehrheit haben, jedenfalls noch nicht,

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr arbeitet ja auch nicht dran!)

ist dieser Gesetzentwurf ausdrücklich ein Angebot an die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP. Wir hoffen, dass sie in diesem Fall ausnahmsweise unsere Initiative nicht abtun, nicht in Bausch und Bogen ablehnen. Vielmehr setzen wir darauf, dass sie dieses Problem ebenfalls sehen und dass sie mit uns über unseren Vorschlag reden. Eine schnelle gemeinsame Verbesserung der Situation der Betroffenen würde uns freuen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Worum geht es im Einzelnen? 2007 hat die damalige Große Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz verabschiedet. Weil das ein schwieriges Feld ist, wie wir auch in der Zeit davor erfahren durften, haben wir gleichzeitig gesagt, dass die Auswirkungen des Gesetzes evaluiert werden sollen. 2008 wurde diese Evaluation von der Bundesregierung in Auftrag gegeben. 2011 lag sie dann vor. Aber leider wurden bis heute keine Konsequenzen daraus gezogen.

(Zuruf von der SPD: Leider! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schlecht recherchiert!)

Der Bericht stellte fest, dass sich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zwar insgesamt bewährt hat. Aber schon zu diesem Zeitpunkt war der Trend zu Befristungen unübersehbar:

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der war gewollt!)

83 Prozent war der Befristungsanteil damals; in gut der Hälfte der Befristungen lag die Vertragslaufzeit unter einem Jahr; Probleme bei der Familienkomponente, also bei der Anrechnung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten; uneinheitlicher Umgang mit studentischen Arbeitszeiten. In der Studie kommt neben den nackten Zahlen auch sehr deutlich zum Ausdruck, dass die Leute Perspektiven haben wollen, dass sie schon im Interesse der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Planbarkeit des Berufsweges wünschen.
Diese Ergebnisse der Evaluierung, aber auch viele Diskussionsrunden, Beratungen, Gespräche mit Betroffenen haben uns dazu geführt, konkrete Vorschläge zur Gesetzesänderung zu machen. Dass der „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013“ uns heute so eindrücklich bestätigt, ist zwar in der zeitlichen Parallelität Zufall, doch in der Sache war das leider absehbar.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Genau!)

Unsere Gesetzesnovelle hat zum Ziel, die arbeitsrechtliche Position der Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb zu stärken, Mindestlaufzeiten bei Befristungen zu definieren und den Tarifpartnern Handlungsmöglichkeiten zu geben. Damit sollen insbesondere unbegründete kleinteilige Befristungen an Hochschulen sowie außeruniversitären Einrichtungen verhindert werden. Auch der Schutz der Promovierenden vor einer Ausnutzung muss verbessert werden.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!)

Die wichtigsten Regelungsinhalte will ich kurz benennen:
In der Promotionsphase wollen wir Befristungen nur dann erlauben, wenn entsprechende Betreuungsvereinbarungen abgeschlossen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darin sind die Rechte und Pflichten der Promovierenden festzulegen, und es ist insbesondere das Qualifizierungsziel zu gewährleisten.
In der Phase nach der Promotion sollen die Vertragslaufzeiten regelmäßig mindestens zwei Jahre betragen.
Bei Drittmittelbefristungen schlagen wir vor, die Laufzeiten an die Dauer der Mittelbewilligung anzugleichen. Bei Bewilligungen von über zwei Jahren müssen die Verträge mindestens 24 Monate laufen. Das ist im Übrigen ein Punkt, über den wir gern noch diskutieren können. Einige Bundesländer wollen da sogar noch weiter gehen. Das überlassen wir dann den Ausschussberatungen.
Wir wollen darüber hinaus auch das nichtwissenschaftliche Personal, also etwa technische Mitarbeiter, schützen. Das ist eine Gruppe, die wir nicht vergessen dürfen, Kolleginnen und Kollegen.
Die bisher unterschiedliche Auslegungspraxis bei den studentischen Arbeitszeiten wollen wir studierendenfreundlich vereinheitlichen.
Bei der Anrechnung von Eltern-, Betreuungs- oder Pflegezeiten wollen wir ebenfalls Verbesserungen erreichen.
Schließlich wollen wir die Tarifsperre abschaffen, Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die gesetzliche Festlegung, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber hier nichts zu sagen haben, ist falsch und gehört abgeschafft.
Unser Entwurf schafft einen neuen, tragfähigen Ausgleich zwischen den Befristungsbedarfen im Wissenschaftsbetrieb auf der einen und den Interessen der Beschäftigten auf der anderen Seite. Er leitet die Arbeitgeber an, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen beschäftigtenfreundlicher einzusetzen. Es muss eben auch hier der sozialdemokratische Grundsatz der guten Arbeit gelten. Nur mit Perspektiven und nur mit guten Arbeitsbedingungen können wir die Leute gewinnen, und nur so können diese auch die exzellenten Leistungen abliefern, die wir von ihnen sehen wollen. Das wollen wir erreichen: gute Arbeit, auch in der Wissenschaft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss möchte ich noch einmal ausdrücklich die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Loben! – Zurufe von der FDP: Loben!)

ansprechen. In der gestrigen Ausschusssitzung hatten wir Professor Strohschneider zu Gast; Sie erinnern sich natürlich: früher Wissenschaftsrat, jetzt DFG.

(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Genau!)

Er hat unter anderem das Thema „Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ angesprochen. Kollege Rupprecht, ich fand, dass Sie in der Ausschussdiskussion sehr vernünftig auf dieses Thema eingegangen sind.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Weil wir einen sehr guten Antrag dazu haben!)

Das nehme ich einmal durchaus als Ermutigung.
Unsere Initiative kann ein Beitrag zur Verbesserung der Situation sein. Darum meine Bitte: Treten Sie in ein konstruktives Gespräch über unseren Gesetzentwurf ein!
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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