Es genügen drei Zahlen, um den von der Bundeskanzlerin vorgelegten Haushalt zu bewerten:
Die erste Zahl ist die Summe neuer Schulden, die CDU/CSU und FDP im laufenden Jahr, 2011, aufgenommen haben. Sie beträgt nach Auskunft der Bundesregierung 22 Milliarden Euro.
Die zweite Zahl ist die Summe der Steuermehreinnahmen laut Steuerschätzung vom Herbst 2011 und die Summe der Zinsersparnisse im kommenden Jahr. Die beiden Summen ergeben im Saldo eine Entlastung im Jahr 2012 in Höhe von mindestens 4,3 Milliarden Euro.
Die dritte Zahl ist die Summe neuer Schulden, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, im kommenden Jahr, 2012, trotz dieser Entlastung um 4,3 Milliarden Euro, aufnehmen wollen. Die Zahl liegt nicht etwa um 4,3 Milliarden Euro niedriger als im Jahr 2011, sondern, im Gegenteil: Angela Merkel und ihr Finanzminister wollen im kommenden Jahr trotz steigender Steuereinnahmen, trotz geringerer Zinsbelastungen, trotz sinkender Arbeitslosigkeit, trotz sinkender Sozialabgaben nicht etwa weniger Schulden aufnehmen, sondern die Neuverschuldung um sage und schreibe 4 Milliarden Euro auf 26 Milliarden Euro erhöhen.
Es geht nicht um den Vergleich von Äpfeln und Birnen, wie sich angesichts dieser drei Zahlen der Herr Bundesfinanzminister gestern herauszureden versucht hat. Es geht vielmehr um die Umstände, unter denen die Schulden erhöht werden sollen. In einer Zeit sehr guten Wirtschaftswachstums, in einer Zeit stetig steigender Staatseinnahmen vergrößern Sie, vergrößert diese Koalition den Schuldenberg Deutschlands.
Die Schuldenbremse in unserer Verfassung will übrigens das genaue Gegenteil: in guten Zeiten sparen und in schlechten Zeiten investieren. Sie stellen diese Schuldenbremse in unserer Verfassung auf den Kopf, Frau Bundeskanzlerin. Das ist verheerend, und deshalb werfen Ihnen das auch alle vor.
Ihr Finanzminister hat gestern so gereizt reagiert, weil er sich dabei ertappt gefühlt hat. Denn Bundesrechnungshof, Bundesbank, Wirtschaftsweisen - alle kritisieren das. Wie sagte die Frau Bundeskanzlerin, wie sagten Sie, Frau Merkel, noch hier im Bundestag: Wir sparen, allerdings intelligent. - Das nennt man dann wohl Intelligenzbestie.
Ich zitiere sie nur. - Wenn Sie der Öffentlichkeit sagen: „Wir sparen, aber intelligent“, und die Schulden erhöhen, dann wollen Sie doch die Öffentlichkeit für dumm verkaufen und zum Narren halten. Das haben Sie doch vor.
Sie erklären landauf, landab, dass die Zeiten steigender Staatsverschuldung endlich zu Ende sein müssten. Sie verordnen Europa einen ganz harten Sparkurs. Was denken Sie eigentlich, wie glaubwürdig diese Politik in Europa ist, wenn Sie hier in Deutschland, unter weit besseren Bedingungen als in allen anderen Staaten Europas, die Schulden erhöhen? „Deutschland geht es so gut wie lange nicht.“
Man kann sich Ihre Reaktion ausrechnen; Sie sind wirklich ganz putzig. Wir haben darüber gewettet, ob Sie an der Stelle klatschen. Aber Sie haben den letzten Satz noch nicht gehört; es handelt sich um ein Zitat von Ihrer Kanzlerin. - Der letzte Satz lautet: Deshalb ist das zentrale Thema der Abbau von Schulden und die Haushaltskonsolidierung.
Ich habe ja Humor. Aber dass Sie selber öffentlich erklären: „Wir wollen weniger Schulden machen“ und damit durch die Lande ziehen und dann im Bundestag für nächstes Jahr 4 Milliarden Euro mehr Schulden beschließen als für dieses Jahr, obwohl es Deutschland so gut geht, und gleichzeitig anderen Ländern empfehlen, sie sollen ihre Schulden senken, obwohl sie in der Krise stecken, das ist wirklich nicht zum Lachen. Das ist eine ziemlich finstere Angelegenheit, was Sie hier in Deutschland veranstalten.
Ich verstehe Sie: Sie haben sich an das Handeln der Kanzlerin nach dem Motto „Was stört mich mein Geschwätz von gestern?“ längst gewöhnt, wir noch nicht; das ist der einzige Unterschied in der heutigen Debatte.
Die öffentlichen Kommentare zu Ihrer Finanzpolitik sind entsprechend. Das Handelsblatt spricht von „deutscher Heuchelei“. Die Financial Times Deutschland titelt: „Bundesbank rechnet mit Schäuble ab“ und zitiert dann die Bundesbank - vielleicht klatschen Sie jetzt wieder -:
„Mit dem Bundeshaushalt 2012 ist eine merkliche Abkehr von den Konsolidierungsbeschlüssen vom Juni 2010 verbunden“ ...
Das kann man wohl sagen. Warum klatschen Sie jetzt eigentlich nicht? Das ist eine Beurteilung der Bundesbank.
- Bisschen nervös, oder? Es wird ja so unruhig bei Ihnen. Fühlen Sie sich ertappt, oder was ist der Grund?
Was hatten Sie der deutschen Öffentlichkeit nicht alles versprochen: 80 Milliarden Euro wollten CDU/CSU und FDP zwischen 2011 und 2014 einsparen. Wir - anders als Sie - erinnern uns noch ganz gut an die vollmundigen Versprechungen vor einem Jahr. Was sollte da alles passieren! Ein Jahrhundertsparpaket sollte es werden. Kleiner geht es bei Ihren Selbstinszenierungen ja meistens nicht.
Schauen wir uns einmal an, was aus Ihrem Jahrhundertsparpaket geworden ist: 4 Milliarden Euro sollte die Abschaffung der Wehrpflicht einsparen. Aufgrund der desaströsen Fehlleistung Ihres einstigen bayerischen Superstars fallen jetzt Mehrkosten an. 6 Milliarden Euro sollte die Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanzkrise bringen. Ergebnis: ersatzlos gestrichen. Weit mehr als 10 Milliarden Euro sollte die Streichung von Steuersubventionen und Steuervergünstigungen erbringen. Ergebnis: wieder Fehlanzeige.
Und was ist eigentlich aus der von Ihnen so lautstark angekündigten Mehrwertsteuerreform geworden? Nur weil es die Phrasendrescherei Ihrer Koalition so schön illustriert: Was ist mit den Milliardenbeträgen, die durch Bürokratie- und Personalabbau eingespart werden sollten? Das Gegenteil ist passiert.
Besonders auffällig sind die Versorgungsfälle in den FDP-Ministerien.
Sie reden vom Sparen, schaffen aber 480 neue Stellen alleine in den Bundesministerien. Beeindruckend das muss ich zugeben sind die 166 neuen Stellen, die alleine im Entwicklungsministerium von Herrn Niebel geschaffen wurden ein Ministerium, das er eigentlich einmal ganz abschaffen wollte. Ausgerechnet eine Partei, die so gerne über den schlanken Staat und Entbürokratisierung schwadroniert, bringt noch schnell die letzten Mitarbeiter aus der FDP-Parteizentrale in einem sicheren Job bei der Bundesregierung unter.
Das ist aus Ihren Versprechungen zum Personalabbau geworden.
So kann man die Liste weiter fortsetzen. Aus Ihrem Jahrhundertwerk, Frau Merkel, ist wohl eher eine Tagesbaustelle geworden. Wo Sie von anderen Staaten massive Einschnitte zum Abbau der Verschuldung fordern, muten Sie sich selber gar nichts zu im Gegenteil: Statt zu sparen, ziehen Sie auch noch die Spendierhosen an.
6 Milliarden Euro soll die Steuersenkung kosten, die den Geringverdienern in Deutschland gar nichts bringt.
Ich finde es auch interessant, sich mit dem Inhalt dieser Steuersenkung auseinanderzusetzen. Der Geringverdiener für den soll sie ja vorgenommen werden bekommt freundlicherweise 0 Cent; der zahlt nämlich keine Steuern. 40 Prozent der deutschen Haushalte haben nichts von dem, was Sie da planen. Der Durchschnittsverdiener mit einem Einkommen von 2 250 Euro hat eine monatliche Steuerersparnis von 4 Euro.
Glauben Sie eigentlich selber an Ihre Sprüche, dass das den Massenkonsum und die Binnenkonjunktur in Deutschland fördern soll?
Herr Kollege Fricke, Sie fragen: Ist das nichts? Ich will Ihnen einmal sagen, was die Folge ist. Die Folge ist nicht, dass der Durchschnittsverdiener 4 Euro mehr hat. Die Folge ist, dass Sie in diesem Zusammenhang 2 Milliarden Euro von den Städten und Gemeinden bezahlen lassen. In der Folge wird der, der von Ihnen 4 Euro im Monat geschenkt bekommt, mit höheren Kindergartengebühren und anderen städtischen Abgaben belastet werden. Das ist das Ergebnis, das dabei herauskommen wird.
Die Gemeinden kostet das Ganze 2 Milliarden Euro, und deswegen müssen wir darüber reden. Denn die Kommunen sind immer diejenigen, die bei Ihrer Steuerpolitik am Ende daran glauben müssen. Das war schon beim Hoteliergesetz so.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf unsere gestrige Debatte zum Kampf gegen Rechtsextremismus in Deutschland zurückkommen.
Denn zwischen dem Ausbluten der Städte und Gemeinden in Deutschland und dem Erstarken des Rechtsextremismus gibt es für mich einen ganz eindeutigen Zusammenhang: Dort, wo sich Gemeinden und Städte aufgrund ihrer Finanznot zurückziehen, dringen Neonazis ein. Wo Jugendeinrichtungen geschlossen werden, Vereine, Ehrenamt und Sport nicht mehr ausreichend gefördert werden und Freizeit- und Kulturangebote verschwinden, dort entstehen sozial entleerte Räume. In diese sozial entleerten Räume dringen Rechtsradikale ein.
Da Sie hier unruhig werden: Sie sind doch genau wie wir der Überzeugung, dass es uns nachdenklich machen muss und zum Handeln auffordert, wenn die NPD den Kommunen anbietet, den Betrieb von Jugendzentren und Kindergärten fortzuführen, wenn sie wegen der kommunalen Finanznot geschlossen werden sollen. Das sind doch praktische Beispiele, die wir in Deutschland präsentiert bekommen. Ich sage Ihnen: Mindestens so wichtig wie ein Verbot der NPD, mindestens so wichtig wie die sichtbare Präsenz der Polizei in den Stadtvierteln und Gemeinden, in denen die Rechtsradikalen die Herrschaft übernehmen wollen, ist es, die soziale und kulturelle Verwahrlosung in unseren Städten und Gemeinden zu bekämpfen.
So wichtig die Debatten im Bundestag auch sind: Der Kampf um Demokratie und gegen den Rechtsextremismus wird nicht hier im Parlament entschieden, sondern vor Ort. Die soziale und demokratische Gesellschaft beginnt in der sozialen und demokratischen Stadt und Gemeinde. Es ist deshalb ein Fehler, den Kommunen nochmals Geld zu entziehen, ob durch Steuersenkungen oder durch Kürzungen der Programme für die soziale Stadtentwicklung.
Die 6 Milliarden Euro für die Steuersenkung als Kaufpreis für das Stillhalten der FDP bei der Euro-Achterbahn waren noch nicht genug. Frau Bundeskanzlerin, Sie mussten auch noch die CSU bedienen. Da haben Sie dann zulasten der Verschuldung unseres Landes eine wahrlich abenteuerliche Verabredung getroffen: 150 Euro im Monat - Milliardenbeträge - sollen Eltern jetzt bekommen, wenn sie ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken. Ich muss wirklich fragen: Wie verrückt oder - besser – wie verantwortungslos muss man eigentlich sein, um auf diese Idee zu kommen?
Selbst die Bild-Zeitung ist fassungslos, Frau Bundeskanzlerin. Dort steht:
Statt Milliarden für ein unsinniges Betreuungsgeld zu verpulvern, sollte die Regierung jeden Cent in die Kinderbetreuung investieren!
Wo die Bild-Zeitung recht hat, hat sie recht: Das wäre ein angemessener Umgang mit dem Thema gewesen.
Es ist übrigens - ich sage das an die CSU gerichtet - keineswegs so, dass Eltern, die ihre Kinder in die Kindertagesstätte bringen, Rabeneltern sind.
Viele von denen müssen das übrigens, weil ihre Löhne so niedrig sind, dass beide arbeiten gehen müssen. Da wäre ein echter Mindestlohn eine richtige Hilfe für die Eltern von Kindern; auch da wäre der Mindestlohn richtig, aber nicht so ein Papiertiger, wie Sie ihn auf Ihrem Parteitag beschlossen haben. Fast 1,5 Millionen Menschen in Deutschland stocken ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II auf; 320 000 von ihnen sind sogar sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt. Stundenlöhne von 3,18 Euro, 5,33 Euro und 6,19 Euro sind eine Schande für unser Land.
Die FDP, die hier jahrelang eine Politik zur Bekämpfung der Tariffähigkeit der deutschen Gewerkschaften gemacht hat, wirft jetzt den Gewerkschaften vor, dass sie das nicht durch Tariflöhne verhindern können.
Das halte ich für eine Unverschämtheit den Gewerkschaften gegenüber, wie ich sie selten gehört habe.
Das alles kostet den Staat viel Geld: Mindestens 7 Milliarden Euro geben wir für Lohnzuschüsse aus. Übrigens: Wenn sich die Sozialministerin jetzt Sorgen um die Altersarmut macht, ist das berechtigt. Aber irgendwer muss ihr einmal erklären, dass es Altersarmut nicht ohne Erwerbsarmut gibt. Ich finde, das muss doch irgendwann einmal bei Ihnen ankommen.
Das eigentliche Problem ist aber, dass Sie nicht verstanden haben, was die CDU-Arbeitnehmer wirklich wollten. Sie wussten, dass zwei Dinge wichtig sind:
Erstens. Mindestlohn bedeutet: Einer, der Vollzeit arbeiten geht, muss hinterher nicht zum Sozialamt, um sich den Rest zu holen, damit er die Miete bezahlen kann; denn das ist unwürdig. Ein Mindestlohn ist nur dann ein guter Mindestlohn, wenn er von Hartz IV und Sozialhilfe unabhängig macht.
Zweitens. Ihre CDU-Arbeitnehmer wussten, dass es um die Würde der Arbeit geht und es demütigend ist, Menschen, die Vollzeit arbeiten, hinterher zum Sozialamt zu schicken. Deshalb wollten die CDU-Arbeitnehmer einen gesetzlichen Mindestlohn für alle, der von Sozialhilfe unabhängig macht. Daher ist es eine Schande, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie Ihren Arbeitnehmern in den Rücken gefallen sind; denn das ist gerade nicht das Ergebnis der Mindestlohndebatte auf Ihrem Parteitag.
Das kostet uns 7 Milliarden Euro, die bei der Senkung der Verschuldung oder bei unseren Schulen besser aufgehoben wären. Wir müssen Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen. Frau Bundeskanzlerin, gut 10 Milliarden Euro haben Sie insgesamt nächtens in Ihrer Koalitionsrunde verteilt, um das Stillhalten Ihrer Koalitionspartner zu erkaufen. Die 10 Milliarden Euro zulasten der Verschuldung sind so etwas wie eine Stillhalteprämie in Ihrer Koalition gewesen. Wo sind allerdings, Frau Kanzlerin, die Sparvorschläge für diese 10 Milliarden Euro? Nichts zu sehen! Stattdessen machen Sie Politik auf Pump. Das ist genau die alte Politik, die wir nicht mehr gebrauchen können - weder in Griechenland noch in Italien noch in Deutschland, Frau Dr. Merkel, weder dort noch hier.
Denn wann, wenn nicht jetzt, wo die Steuerquellen sprudeln, wollen wir eigentlich Schulden abbauen? Wann, wenn nicht im wirtschaftlichen Aufschwung, wollen wir Vorsorge treffen für die mit Sicherheit wieder kommenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten?
Frau Bundeskanzlerin, irritiert Sie eigentlich gar nicht, dass Sie inzwischen einhellig Ihr eigener Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen, der Bundesrechnungshof und sogar Ihr ehemaliger Kanzleramtsberater kritisieren? Ich weiß nicht, Frau Kanzlerin, was Sie unter einer Schuldenbremse verstehen. Wir verstehen darunter, dass man weniger neue Schulden macht - und nicht mehr.- Sie scheinen das eher mit dem Gaspedal zu verwechseln. Sie haben offenbar bei der Verfassungsänderung nicht ganz aufgepasst.
Ich kann verstehen, dass Sie das von mir nicht hören wollen. Aber unangenehmer wird es - warten Sie ab -, wenn Sie hören, wer noch alles Ihnen das sagt.
Dass Ihr Finanzminister den Ausgangswert der Verschuldung bewusst manipuliert und zu hoch angesetzt hat, um Ihre viel zu geringe Absenkung der Verschuldung optisch zu verkleistern, schreibt Ihnen die Bundesbank ins Stammbuch. Dort heißt es ich zitiere:
Nach Artikel 143 d GG wäre eine entsprechende Absenkung des Ausgangswertes und damit auch des Anpassungspfades allerdings letztlich geboten.
Damit keine Missverständnisse aufkommen, was die Bundesbank damit meint, erklärt der Bundesbankpräsident ich zitiere: Deutschland darf keine Zeit verlieren, seinen Haushalt auszugleichen. - Aber Sie erhöhen die Schulden. Das kritisiert Herr Weidmann in seinem Bericht der Bundesbank.
Manchmal, Frau Dr. Merkel, habe ich den Eindruck, Sie halten das alles für Ratschläge an die Adresse Griechenlands, Italiens oder Portugals. Aber, ehrlich gesagt, Herr Weidmann meint Sie ganz persönlich. Er ermahnt Sie in diesem Bericht, keinen Verfassungsbruch zu begehen. Sie sind aber drauf und dran, genau das zu tun, nur weil Sie Ruhe in der Koalition haben wollen und sich eine Kriegskasse für den Wahlkampf anlegen wollen. Denn um nichts anderes geht es hier.
Das eigentlich Besorgniserregende an dieser Kritik der Bundesbank ist allerdings nicht einmal die kurzfristige Wirkung Ihrer Schuldenpolitik, sondern die Bundesbank sorgt sich um das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte auch in die Schuldentragfähigkeit Deutschlands. Ich zitiere noch einmal die Bundesbank:
Bei weiteren Belastungen geht das Vertrauen in die Tragfähigkeit auch der deutschen Staatsfinanzen verloren.
Die Bundesbank befürchtet also auf gut Deutsch: Ein zu geringer Schuldenabbaupfad jetzt kann dazu führen, dass bei einem wirtschaftlich schlechteren Klima die deutschen Staatsschulden so stark steigen, dass auch unser Land in die Schwierigkeiten gerät, in die inzwischen Frankreich gekommen ist. Sie befürchtet also, dass die Zinsen für deutsche Staatsanleihen steigen und wir in einen ähnlichen Teufelskreis geraten könnten wie unsere europäischen Nachbarn.
Der Spiegel bezieht sich in einem Artikel auf diesen Bericht der Bundesbank und nennt Sie deshalb zu Recht einen „Scheinriesen“, Frau Bundeskanzlerin. Fest steht: Der Bundesfinanzminister kann beim Schuldendienst enorm sparen, weil immer mehr Anleger die deutschen Staatsanleihen suchen und das Zinsniveau deshalb sinkt. Ganz nebenbei kassiert er auch noch Zinsen für die Kredite an Griechenland.
Wenn wir diese Krisengewinne stillschweigend kassieren, selbst keine Schulden abbauen, gleichzeitig aber andere Länder lautstark für ihr Schuldengebaren kritisieren, obwohl deren Lage weitaus schlechter ist, gibt es viele in Europa, die wegen dieser arroganten Haltung Ihrer Regierung, Frau Merkel, zu Recht die Faust in der Tasche ballen.
Sie haben in den letzten 24 Monaten Ihre Position zur Euro-Krise ständig gewechselt. Sehr lange wollten Sie die Krise im europäischen Währungsraum den betroffenen Nachbarn selbst überlassen. Ich halte es für den größten Fehler Ihrer Amtszeit, dass Sie der europäischen Herausforderung sehr lange nur mit nationalen Antworten und nur mit dem Eigeninteresse Ihrer Regierung begegnet sind. Erst als nacheinander ein Land nach dem anderen zum Spielball der Finanzmärkte wurde, haben Sie gemerkt, dass Ihre nationalen Antworten nicht reichen. Nun ist die Verunsicherung so groß, dass selbst der gigantische Rettungsschirm mit 1 Billion Euro nicht mehr ausreicht. Im Gegenteil: Die Finanzmärkte misstrauen uns nicht nur, sie wetten sogar auf das Auseinanderbrechen der Euro-Zone.
Nichts von dem, was Sie jeweils in Ihren Regierungserklärungen zum Euro im Bundestag erklärt haben, hat Wirkung gezeigt. Das meiste ist hinterher sowieso wieder verändert worden. Die Zinsen für die Krisenstaaten steigen. Stattdessen erhalten die Staaten der Euro-Zone auf den internationalen Kapitalmärkten selbst dann kein Geld zu erträglichen Zinsen, wenn sie massive Sparprogramme auflegen. Im Kern geht es jetzt darum, dass wir endlich die entscheidende Frage beantworten: Stehen wir in Europa füreinander ein, und kann ein Investor in der Euro-Zone sicher sein, dass er sein geliehenes Geld zurückerhält, ja oder nein? Diese Frage werden wir, so unangenehm das ist, endlich beantworten müssen.
Natürlich gehört dazu Klarheit über den Abbaupfad hinsichtlich der Schulden in Europa, aber auch in Deutschland, und eine gemeinsame Finanz , Wirtschafts- und Steuerpolitik. Statt dies klar zu beantworten, zwingen Sie, Frau Bundeskanzlerin, die Europäische Zentralbank immer weiter dazu, Staatsanleihen aufzukaufen. 200 Milliarden Euro beträgt inzwischen das Risiko der Europäischen Zentralbank, für das wir gemeinschaftlich haften.
Wollten Sie, Frau Merkel, nicht genau das verhindern? Wollten Sie nicht ebenso, Frau Bundeskanzlerin, verhindern, dass die Europäische Zentralbank zur Notenbank wird, die Staaten durch das Anwerfen der Notenpresse bedient? Wir wollten doch keine Schulden- und Transferunion in Europa zulassen. Aber genau das passiert gerade durch die Hintertür der Europäischen Zentralbank.
Das sind Euro-Bonds durch die Hintertür, aber ohne jeden Einfluss darauf, wie sich die Staaten hinterher benehmen. Das ist das, was Sie derzeit zu verantworten haben.
Die „Merkel-Bonds“, die die EZB ausgibt, sind superbequem für die Regierungschefin in Deutschland. Sie kann sich nämlich öffentlich hinstellen und sagen: Ich will das alles nicht, aber leider sind die unabhängig, deswegen dürfen die das weiterhin machen. Vor allen Dingen hat das den Vorteil: Wenn die EZB diese Arbeit macht, braucht sie Ihre seltsame Koalition nicht zu fragen, weil sie natürlich nicht weiß, welches Chaos entstehen würde, wenn Sie sich mit den Realitäten der Europäischen Zentralbank auseinandersetzen müssten.
Frau Bundeskanzlerin, Sie spielen mit dem Feuer. Sie zwingen Europa in einen Zweifrontenkrieg. Sie zwingen die Staaten, die schon in der Rezession sind, zu immer weiteren Sparmaßnahmen, sodass sie nicht weniger, sondern höhere Schulden produzieren. Sie verhindern, dass sie sich zu einigermaßen fairen Zinsen auf dem Kapitalmarkt refinanzieren können. Beides zusammen führt zu einer von Ihrer Politik zu verantwortenden und organisierten Rezessionsgefahr. Sie können den Staaten und Europa nicht beide Hände fesseln: die Zinsschraube auf der einen Seite und die Schuldenschraube auf der anderen. Wenn beide Hände gefesselt sind, dann werden die Leute in Europa und am Ende auch in Deutschland arbeitslos! Das ist das, was Sie gerade vorbereiten.
Sie müssen Ihre Politik ändern. Sie wollen keine Euro-Bonds, wie sie die Wirtschaftsweisen vorschlagen.
Es ist doch gar nicht so schlimm, wenn Sie gegen uns sind. Seien Sie aber wenigstens für das, was Ihre eigenen Sachverständigen sagen.
Ihre Sachverständigen schlagen einen Schuldentilgungsfonds für Europa vor, und Ihre Kanzlerin ist nicht einmal bereit, darüber öffentlich zu beraten. So gehen Sie mit denen um, die Sie auf dem Weg zu einer besseren Politik beraten sollen.
Wir brauchen deutlich mehr als diese beiden Mühlsteine der europäischen Politik. Europa braucht mehr als ein reines Sparprogramm. Wir brauchen auch gezielte Wachstumsprogramme in den Ländern, damit es wieder Entwicklungsperspektiven gibt.
Ich will, dass die Finanzmärkte endlich einen Teil des Geldes zurückgeben, das wir wegen ihnen haben versenken müssen. Und Sie - Sie schützen die Finanzmärkte vor dieser Steuer.
Ja, wir wollen Geld ausgeben für Wachstum, wir wollen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen. Wenn 48 Prozent der jungen Menschen in Griechenland, 40 Prozent in Spanien und fast 30 Prozent in Frankreich arbeitslos sind, wer soll denn dann die Zukunft Europas aufbauen? Die Leute dürfen nicht in ihrer Existenz gefährdet werden. Wir können das nicht sich selbst überlassen. Sie überlassen die Finanzmärkte lieber sich selbst.
Ja, wir wollen sie besteuern, auch in der Euro-Zone, und wir wollen das Geld in den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Europa investieren. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden.
Ich habe leider nicht mit, womit ich gut auf Leute wie Sie, die mich „Westentaschenkommunist“ nennen, reagieren könnte. Es ist zwar schon viel behauptet worden, aber dass einer behauptet, ich würde in eine Westentasche passen, ist noch nicht passiert.
Wissen Sie, wenn ich das schon höre: Das nächste Mal lesen wir Ihnen einmal wir suchen eine nette Rede heraus, mit der das geht Karl-Hermann Flach vor. Das war mal Ihr Generalsekretär. Wissen Sie, was der sagt? Wir müssen endlich die Vermögenden und die Erbschaften stärker besteuern, damit der Staat Einfluss hat und Wachstum kreieren kann. Er, der bei Ihnen früher Generalsekretär war, würde heute wahrscheinlich wegen Linksabweichung aus der FDP ausgeschlossen; das nehme ich stark an.
Wenn Sie wissen wollen, warum Sie da stehen, wo Sie heute stehen: weil solche Leute bei Ihnen heute keine Chance mehr hätten. Das ist der Grund, warum Sie bei 2 Prozent gelandet sind.
Frau Bundeskanzlerin, natürlich müssen wir an die Veränderung der europäischen Verträge herangehen. Das gilt aber nicht nur für die Stabilitätskriterien, sondern auch für eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik in der Euro-Zone; denn sonst bleibt die Währungsunion ein Torso. Wenn Sie auf diesem Weg auch das Thema einer Fiskalunion mit angehen wollen, haben Sie uns an Ihrer Seite. Wenn Sie allerdings nichts von dem tun, dann zahlen in absehbarer Zeit auch die Deutschen die Zeche für Ihren verfehlten Kurs.
In Deutschland zeichnet sich gerade ab, dass die Exportindustrie bereits den Preis für Ihre doppelte Rezessionsstrategie in Europa zu zahlen hat. Statt nun beherzt zu sparen und damit Risikovorsorge für eine schwierige Wirtschaftslage zu treffen, geben Sie das Geld aus. Wir sagen Ihnen: Lassen Sie die nutzlosen Ausgaben! Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern schon jetzt, die Kurzarbeiterregelung zu verlängern. Die ahnen doch, dass es da losgeht. Das hat ein sozialdemokratischer Arbeitsminister durchgesetzt, und Sie wollen das jetzt auslaufen lassen. Wir werden die Kurzarbeiterregelung wieder brauchen, um Jobs in Deutschland zu sichern. Wissen Sie, wie viel diese Regelung kostet? In der Krise hat sie 6 Milliarden Euro gekostet. Das sind die 6 Milliarden Euro, die Sie gerade für Ministeuersenkungen verplempern. Für die Leute wird es wichtiger sein, ihren Job und damit ihren Lohn zu behalten, als 4 Euro Steuersenkung durch den Unfug zu bekommen, den Sie hier verbreiten.
Nein, ich wehre mich nicht dagegen, dass die Leute 4 Euro bekommen. Ich glaube nur, dass sie dieses Geld gar nicht bekommen werden, weil die Gebühren bei den Kommunen steigen. Außerdem brauchen wir das Geld, um die Jobs zu erhalten. Die Leute sind doch nicht dumm! Die wissen doch, dass die Wirtschaftskrise naht, und sie wollen, dass der Staat handlungsfähig ist und notfalls wieder eine Kurzarbeiterregelung bezahlen kann. Das sind die Forderungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern - und nicht der Blödsinn, den Sie da mit den Steuersenkungen verbreiten.
Dieser Haushalt entlarvt alle Sprechblasen, auch die der Kanzlerin, aus den letzten zwei Jahren. Wie hieß es noch am 31. Januar dieses Jahres, Frau Merkel, aus Ihrem Munde?
Die Regierung hat einen klaren Kompass für den Abbau der Schulden.
Diesen Kompass sollten Sie zur Reparatur bringen. In See stechen würde ich damit jedenfalls nicht.