Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute schon viel über die Folgen von überhöhten Dispozinsen gehört. Ich glaube allerdings, dass wir mehr und intensiv auch über die Kernproblema­tik dahinter sprechen sollten; denn zur Wahrheit gehört: Es gibt nicht den einen Grund, warum jemand unter die Dispolinie fällt. Da gibt es die einen, die am Ende des Monats für zwei bis drei Tage in die roten Zahlen rut­schen, und dann gibt es diejenigen, die ein strukturelles Problem haben, diejenigen, die sich in einer Schulden­spirale befinden, diejenigen, bei denen rote Zahlen nicht nur ein kurzzeitiges Phänomen sind, sondern wie selbst­verständlich zum Leben dazugehören, diejenigen, bei denen der Schuldenturm immer höher und der Berg an Verbindlichkeiten immer erdrückender wird, diejenigen, die nicht nur verschuldet, sondern überschuldet sind.

Wenn man sich die einschlägigen Statistiken ansieht – ich weiß das aus meiner Tätigkeit in einer Schuldner­beratungsstelle –, erkennt man: Am Anfang dieser Spi­rale stehen oft Schicksalsschläge, Dinge, auf die man wenig Einfluss hat. Da ist zum Beispiel der Verlust des Arbeitsplatzes, der gestern noch sicher schien, insbeson­dere im Niedriglohnsektor, wo man sich keine Reserven aufbauen konnte. Da ist der unerwartete Tod des Lebenspartners, der keine Lebensversicherung hatte, und plötzlich steht man ohne sein Einkommen da. Da ist der Ausbruch einer Krankheit, die einem die Existenzgrund­lage entzieht. Aber da sind auch falsche Finanzprodukte, die im Endeffekt nicht halten, was im Vorfeld verspro­chen wurde.

Wenn sich die Menschen dann – oftmals nach Jahren in der Schuldenfalle – in eine Beratung begeben, hört man zu Beginn des Gespräches fast immer dieselben Sätze: Das war ein unheimlich schwerer Schritt für mich. Ich habe lange mit mir gerungen. Oder: Ich schäme mich. – Obwohl das Gros der Menschen wenig dafür kann, dass sie in die Schuldenfalle geraten sind, findet in unserer Gesellschaft oftmals eine starke Stig­matisierung statt: Überschuldung wird gleichgesetzt mit Schuld daran haben. Gerade dieses gesellschaftliche Problem darf in dieser Debatte nicht unerwähnt bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen also gerade diejenigen schützen, bei denen aus Verschuldung schnell Überschuldung wird. Gerade ihnen müssen wir die Gelegenheit geben, ihren Lebens­unterhalt ohne Rückgriff auf riskante Kredite zu bestrei­ten, die ihnen schaden, anstatt ihnen zu helfen.

Teure Kredite werden überdies häufig von Menschen genutzt, die über ein unzureichendes Maß an finanzieller Bildung verfügen. Der Begriff „Informationslücke“ er­scheint mir in diesem Zusammenhang reichlich vernied­lichend.

(Beifall des Abg. Uwe Kekeritz [BÜND­NIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Wahrheit ist doch: Viele Produkte im Kredit- und Bankensystem sind so unübersichtlich geworden, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sie selbst kaum verstehen, geschweige denn das Risiko kalkulieren kön­nen. Ein Beispiel aus den Vertragsbedingungen einer Bank für einen Ratenkredit:

Die Bank ist verpflichtet, auf Verlangen des Kun­den den zuletzt fällig werdenden Teil der abgetrete­nen Ansprüche insoweit auf ihn zu übertragen, als der Umfang der abgetretenen Ansprüche die Höhe der bestehenden Forderung der Bank um mehr als 20 % übersteigt und sich die Forderung um mindes­tens 20 % seit Vertragsabschluss bzw. seit der letz­ten teilweisen Rückübertragung verringert hat.

Ich frage, ob Sie alles verstanden haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Carsten Sieling [SPD]: Wunderbar! Alles klar!)

Ja, so etwas unterschreiben wir alle, zum Beispiel, wenn wir per Ratenzahlung einen neuen Fernseher, eine Couch oder ein Fahrrad kaufen – ganz normale Dinge, die dank attraktiver Finanzierungsangebote immer öfter finanziert statt bar bezahlt werden. Wir in der SPD-Bun­destagsfraktion sind der Ansicht, dass hier dringend et­was passieren muss, wenn wir es mit dem Schutz vor Überschuldung ernst meinen.

(Beifall bei der SPD)

In Zukunft soll niemand mehr die Risiken eines für ihn falschen Finanzproduktes gutgläubig in Kauf neh­men müssen. Es muss verhindert werden, dass der Stru­del aus ständiger Disponutzung und hohen anfallenden Zinsen überhaupt erst beginnt. Im Laufe der Legislatur werden wir deshalb klug durchdachte Lösungen in den parlamentarischen Prozess einbringen, um faire Bedin­gungen für Finanzprodukte zu schaffen und sie für alle Beteiligten so auszugestalten, dass das geliehene Geld eine echte Hilfe und nicht der Beginn eines finanziellen und privaten Desasters ist. Den Rahmen dafür haben die Bundesminister Maas und Schäuble heute vorgestellt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)