Deutschland hat einen leistungsstarken Sozialstaat, der versucht Armut abzufedern und sie zu verhindern. Aber der Sozialstaat braucht Reformenen. Er muss sich den Menschen wieder mehr zuwenden. Die Linke hat in ihrem Antrag keine ausreichenden Antworten auf die Herausforderungen der heutigen Zeit gefunden. Es reicht nicht, einfach viel mehr Geld in die Hand zu nehmen. Wir brauchen neue Konzepte für eine neue Sozialpolitik.   

 

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr wichtig, über Armut zu reden. Aber Sie gestatten mir, dass ich es etwas anders angehe als gerade eben gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Marianne Schieder (SPD): Ein bisschen seriöser!)

Ich habe mich gefreut, dass das Thema auf der Tagesordnung steht. Ich war allerdings enttäuscht beim Lesen des Antrages; denn ich finde, dass er leider sehr viele Klischees erfüllt, die man von einem Antrag der Linken erwarten würde. Es ist eine sehr holzschnittartige Analyse, die Sie hier vorbringen. Kurz gefasst: Alles ist schlecht. Man muss nur ganz viel Geld in die Hand nehmen, und dann ist das Problem gelöst. - Das passt dann zwar auf knapp zwei Seiten, aber das wird dem Problem kaum gerecht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Noch einmal: Wir haben ein Problem mit Armut in unserem Land, einem Land, dem es im Durchschnitt exzellent und sehr gut geht.

(Martin Sichert (AfD): Im Durchschnitt!)

Aber im Durchschnitt war der Teich einen halben Meter tief und der Gaul ist trotzdem ersoffen. Wer mit offenen Augen und mit offenem Herzen durch dieses Land geht, sieht die Probleme, und er sieht sie auch so stark, dass man sie eigentlich nicht ignorieren kann.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ja, wir haben einen sehr leistungsstarken Sozialstaat, der versucht, Armut abzufedern, Armut zu verhindern. Ihn müssen wir uns aber immer wieder anschauen und an ihn müssen wir immer wieder mit kleinen und großen Reformen herangehen. Ich will Ihnen einige Beispiele nennen - sie sind längst nicht abschließend -, bei denen wir als SPD Nachbesserungsbedarf sehen.

Wir haben ein Bildungs- und Teilhabepaket, damit Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten können, teilhaben können, etwa dass sie mit zur Klassenfahrt fahren können, dass sie Nachhilfe oder eben auch ein Mittagessen bekommen können. Wenn man sich die Zahlen anschaut - sie sind sehr schwer zu fassen -, dann sieht man, dass längst nicht jedes Kind, das berechtigt wäre, von diesen Leistungen profitiert. Das hat extrem viel damit zu tun, wo das Kind lebt und einen wie großen Zettelstapel man ausfüllen muss. Es scheint also damit zu tun zu haben, wie die Verwaltung das handhabt, also dass es viel zu oft sehr kompliziert ist, an diese Leistungen zu kommen. Ich finde es gut, dass wir als SPD ein Maßnahmenpaket gegen Kinderarmut auf den Weg bringen werden, das auch umfasst, dass wir das Bildungs- und Teilhabepaket vereinfachen, zum Beispiel beim Anspruch auf Mittagessen. Das tun wir dank der SPD.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben einen leistungsfähigen Sozialstaat. Wir zahlen Menschen Grundsicherung im Alter, wenn deren Rente nicht ausreicht. Aber ich zumindest kenne viele Menschen, die beantragen sie gar nicht, weil sie sich schämen oder weil sie Angst haben,

(Katja Kipping (DIE LINKE): Genau! Verdeckte Armut! - Weiterer Zuruf von der LINKEN: Darüber sollten wir auch einmal reden!)

dass sie dann Versicherungen wie ihre Sterbeversicherung auflösen müssen, sie aber ihren Kindern nicht zur Last fallen wollen, wenn sie versterben. Diese verdeckte Armut ist beschämend, ebenso wie der Fakt, dass es vielfach Menschen betrifft, die ihr Leben lang, die jahrzehntelang gearbeitet haben. Für uns muss doch gelten: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, muss mehr haben, als derjenige, der nie gearbeitet hat, und er muss in Würde leben können.

(Beifall bei der AfD - Dr. Götz Frömming (AfD): Das AfD-Wahlprogramm!)

Wir werden eine Grundrente einführen - dank der SPD -,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist keine Grundrente!)

auch wenn wir uns über die Ausgestaltung hier im Hohen Haus mit Sicherheit streiten werden und womöglich auch innerhalb der Koalition. Aber noch einmal: Dank der SPD werden wir eine solche Grundrente einführen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben einen leistungsfähigen Sozialstaat. Jeder Mensch hat einen Anspruch auf Existenzsicherung. Wir versuchen, die Menschen zu fördern, sie in Arbeit zu bringen. Aber wir sehen: Ganz viele bleiben in der Langzeiterwerbslosigkeit. Wir bekommen sie einfach nicht heraus. - Ich verwende das Wort „stolz“ selten, aber ich bin stolz darauf, dass wir als SPD vier Milliarden Euro zu Verfügung stellen

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Der Bund finanziert!)

und endlich den Passiv-Aktiv-Tausch ermöglichen werden, um diese Menschen zukünftig in Arbeit zu bringen und nicht in Maßnahmen.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben einen leistungsfähigen Sozialstaat mit ganz tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern, die aber manchmal Zuhause oder im Bekanntenkreis gar nicht verraten, wo sie arbeiten. Wir verschicken mittlerweile Bescheide teilweise als Päckchen, weil sie so dick und so kompliziert sind, dass sie wirklich keiner mehr versteht.

Das sind Debatten, die über die dreieinhalb Jahre hinausgehen, die vor uns liegen; diese wird die SPD aber führen, weil wir glauben, dass wir uns den Sozialstaat genau ansehen müssen und in Teilen mit den Prinzipien von Hartz IV brechen müssen. Wir werden diese Debatte als SPD führen. Dabei werden Konzepte herauskommen, die sicher länger als zwei Seiten sind, aber sie werden viel mehr Gutes tun als der Zwei-Seiten-Antrag der Linken, über den wir heute hier diskutieren.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)