Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist außerordentlich gut. Wir alle freuen uns über eine sehr stabile wirtschaftliche Situation, und auch der Arbeitsmarkt zeigt sich erstaunlich robust. Wir sehen gute Tarifsteigerungen, und wir haben einen gesetzlichen Mindestlohn, der sehr viele Menschen aus dem Hilfebezug holt.
Es gäbe also einige gute Argumente für Partylaune - zumindest theoretisch. Gleichzeitig sehen wir praktisch, dass sich in bestimmten Bereichen des Arbeitsmarktes, gerade im Bereich der Langzeitarbeitslosigkeit, seit einigen Jahren de facto nichts bewegt. Es ist offenkundig, dass die sehr gute konjunkturelle Lage Hunderttausenden Menschen in Deutschland nicht hilft, ebenjenen Menschen, die sehr lange arbeitslos sind; sie können auch unter diesen tollen Rahmenbedingungen nicht ohne Weiteres zurück auf den Arbeitsmarkt finden.
Jetzt gibt es verschiedene Strategien, damit umzugehen. Es gibt die Strategie der Vorgängerregierung, deren Fokus auf schönen Arbeitsmarktzahlen und guten Nachrichten lag. Man vertraute darauf, dass sich dadurch von alleine etwas bewegen würde, dass es dadurch leichter würde, die Arbeitslosen zu vermitteln, und dass in der Folge die aktive Arbeitsmarktförderung reduziert werden könnte.
Diese Bundesregierung mit Andrea Nahles als Ministerin für Arbeit und Soziales verfolgt eine ganz andere Strategie. Sie sagt: Uns ist es ganz besonders wichtig, hinzuschauen. Wir anerkennen, dass es eine große Herausforderung ist, die Menschen, die sehr lange aus dem Erwerbsleben heraus sind, zurückzuholen in die Gesellschaft, ihre Teilhabe zu organisieren und sie im besten Fall im ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Das ist Andrea Nahles und der SPD ein Herzensanliegen. Wir werden nicht zuschauen, wie 1 Million Menschen und ihre Familien zu Hause sitzen, hinter ihren Gardinen verschwinden und weitgehend vom sozialen Leben ausgeschlossen sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann muss man auch was tun!)
Das zeigt sich auch daran, dass Andrea Nahles eigentlich bei jeder Grundsatz- oder Haushaltsrede in diesem Hohen Hause das Thema Langzeitarbeitslosigkeit als eine ihrer Topprioritäten benennt und deutlich macht, was sie diesbezüglich plant.
Es gibt 1 Million gute Gründe und sehr viele objektive Fakten, die zeigen, dass wir mit Blick auf die Gesellschaft bei diesem Thema etwas unternehmen müssen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann macht doch mal endlich!)
Da ist natürlich die materielle Armut der Langzeiterwerbslosen. 84 Prozent der Langzeiterwerbslosen leben unter der Armutsrisikogrenze. Erwerbsarbeit ist in Deutschland Grundlage für soziale Teilhabe. Arbeit zu verlieren bedeutet den Verlust sozialer Beziehungen, den Verlust des sozialen Status, und für viele Menschen ist es auch subjektiv ein ganz massiver Schicksalsschlag.
Langzeitarbeitslosigkeit hat gesundheitliche Auswirkungen. Der Gesundheitszustand der Betroffenen ist objektiv und subjektiv schlechter. 64 Prozent der Betroffenen haben schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen. Das ist kein Henne-Ei-Problem, sondern das bedingt sich gegenseitig. Wer langzeiterwerbslos ist, wird kränker, und wer kränker wird, hat größere Probleme, aus der Langzeiterwerbslosigkeit herauszukommen.
Es gibt familiäre Probleme, seelische Probleme, körperliche Probleme. Die Menschen werden stigmatisiert. Langzeiterwerbslosigkeit hat auch schwerwiegende gesellschaftliche Folgen. Wir sehen, dass Kinder in Familien groß werden, in denen die Eltern langzeiterwerbslos sind. Wir erleben sozialräumliche Effekte. Ganze Stadtteile sind massiv von Langzeiterwerbslosigkeit betroffen und auch geprägt. Außerdem verursacht Langzeiterwerbslosigkeit massive gesellschaftliche Kosten: fehlende Steuereinnahmen, hohe Kosten der Arbeitslosigkeit, hohe Gesundheitskosten usw. Das sind genügend Gründe, dies anzugehen und auch mit dem Klischee aufzuräumen, dass Langzeiterwerbslose nicht arbeiten wollen. Ich kenne in meinem Wahlkreis sehr viele Betroffene. Sie sagen: Ich will raus. Ich will etwas Sinnvolles tun. Ich will wieder Sinn und Struktur in meinem Leben haben. Ich will nicht stigmatisierende, sondern würdevolle Beschäftigung. - Das ist es, was ich von den Betroffenen höre. Dabei müssen wir sie unterstützen.
(Beifall bei der SPD)
Die Mittel des Bundes für aktive Arbeitsmarktförderung sind von der Vorgängerregierung massiv gekürzt worden. Erst diese Regierung hat das Thema wieder ganz weit nach oben auf die Agenda gesetzt. Dafür gebührt Ministerin Andrea Nahles ein großes Lob.
(Beifall bei der SPD)
Andrea Nahles reagiert mit einem differenzierten Ansatz und hat damit dem Antrag der Linken, von wem auch immer er präsentiert wurde, einige Denkschritte voraus. Denn es gibt nicht die eine Gruppe Langzeiterwerbslose, die man mit öffentlich geförderter Beschäftigung beglückt, und dann ist das Problem gelöst. Wir können doch nicht den Anfang 20-Jährigen, der ein Drogenproblem hat und den Anfang seiner Berufskarriere verstolpert,
(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das steht da ausdrücklich drin!)
mit der Diplom-Ingenieurin vergleichen, die mit Mitte 50 durch eine Insolvenz des Unternehmens keine Arbeit mehr hat und keinen Fuß mehr in die Tür bekommt.
(Beifall bei der SPD - Abg. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also wirklich, lies mal den Antrag! Da steht ausdrücklich etwas anderes drin!)
- Ich komme gleich dazu, Brigitte, keine Sorge.
(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, ich muss jetzt schon die Linken verteidigen!)
Alleinerziehende mit kleinen Kindern und ohne soziales Umfeld haben doch ganz andere Probleme als jemand, der keine Berufsausbildung gemacht hat oder bei dem sie ewig lange her ist. Deswegen hat Andrea Nahles Ende letzten Jahres ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgestellt und eben nicht eine Lösung für alle. Diese Vielfalt der Maßnahmen wird auch der Vielfalt der Gruppe gerecht.
Es wird das ESF-Programm „Perspektive in Betrieben“ für Langzeitarbeitslose ohne verwertbaren Berufsabschluss geben. Es wird ein Bundesprogramm für sehr arbeitsmarktferne Langzeiterwerbslose geben.
(Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Zu wenig! Viel zu wenig! - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Was kommt dann?)
Darüber hinaus wird es eine viel bessere Betreuung in Aktivierungszentren geben. Darüber ist hier überhaupt noch nicht gesprochen worden.
(Beifall bei der SPD)
Wir wollen diejenigen 46 Prozent mit gesundheitlichen Einschränkungen in den Fokus nehmen und natürlich auch der Situation der Alleinerziehenden viel mehr gerecht werden. Dazu haben Sie schon einiges von dieser Regierung gehört.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
So sehr wir als Sozialdemokraten öffentlich geförderte Beschäftigung als wichtigen Aspekt sehen und uns da auch mehr vorstellen und mehr wünschen, an einem Punkt widersprechen wir den Aussagen im Antrag der Linken fundamental. Sie wollen den Zugang zu diesem Programm einfach so ohne Kriterien gewähren. Das ist ja schön und gut gemeint, kann aber im Zweifel mehr Schaden anrichten als nutzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Warum?)
Wir reden über eine sehr teure Maßnahme. Ohne Zugangskriterien würde es Creaming- und Lock-in-Effekte geben. Dadurch würden Personen in das Programm kommen, denen mit Weiterbildung, mit einer guten Vermittlung, mit einer guten Kinderbetreuung viel mehr geholfen wäre. Schlussendlich diskreditieren Sie mit dem gut gemeinten Ansatz, immer noch eine Schippe drauflegen zu wollen, ein wirklich sinnvolles Projekt.
Schauen Sie sich bitte Ihren Antrag und die Konzepte, die schon auf dem Tisch liegen, noch einmal an. Über Passiv-Aktiv-Tausch wollen wir als Sozialdemokraten natürlich sehr gerne reden. Das wollen wir gerne verfolgen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Machen!)
Aber dieser Gut-gemeint-Ansatz, den Sie hier in typischer Linken-Manier vorbringen, geht an der Zielgruppe vorbei,
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sagen Sie das mal den Betroffenen!)
die viel diverser ist, als Sie es hier darstellen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von der LINKEN)
Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Aber jetzt müssen Sie bitte zum Schluss kommen, Frau Kollegin Kolbe.
Daniela Kolbe (SPD): Das tue ich. Das Thema bleibt ja sowieso auf der Agenda. Jedenfalls werden wir Sozialdemokraten weiter dafür sorgen, dass Langzeiterwerbslose in unserem Land eine Chance bekommen.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die brauchen keine Chance, die brauchen einen Job!)
Bis zum nächsten Mal zu diesem Thema.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)