Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anlass für diese Debatte heute ist der Europäische Tag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Zahllose Ehrenamtliche haben diesen Tag in Deutschland zu einem Protesttag gemacht. Allein 1500 Menschen haben am Montag am Brandenburger Tor demonstriert. Deswegen steht am Beginn der Debatte mein Dank an alle Ehrenamtlichen, die mit ihren Aktivitäten, mit ihren Anregungen, aber auch mit ihren Ermahnungen diesen Protesttag gestaltet haben. Vielen Dank für dieses Engagement.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich freue mich, wenn ich das sagen darf, Herr Präsident, dass die Ansprechpartnerin für diese Aktivitäten, nämlich die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Frau Verena Bentele, heute hier der Debatte beiwohnt. Ich darf Ihnen sagen, dass Sie sicherlich die Unterstützung des gesamten Hauses bei Ihrer Amtsausübung hinter sich wissen dürfen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gestern gab es noch einen weiteren Aktionstag. Vor dem Bundestag hat die Globale Bildungskampagne uns eingeladen, symbolisch mit Schülern aus Berlin eine Mauer niederzureißen, eine Mauer, die dafür steht, Hindernisse zur inklusiven Gesellschaft zu überwinden. Verbunden damit war die Mahnung, dass 42 Millionen Kinder und Jugendliche mit Behinderung weltweit vom Besuch des Schulunterrichts ausgeschlossen sind. Das ist für uns Mahnung und Auftrag, nicht bei der Symbolik zu bleiben, sondern uns der Herausforderung zu stellen und daran zu arbeiten, das Menschenrecht auf inklusive Bildung weltweit zu verwirklichen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Kampagne fordert aber auch: Deutschland muss mit einem nationalen Beispiel vorangehen und Vorbild sein. In der Tat ist Deutschland bei der inklusiven Bildung immer noch am Anfang. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf steigt. Derzeit liegt er bei 6,6 Prozent. Gut 28 Prozent aller Schüler mit Förderbedarf sind an allgemeinbildenden Schulen im gemeinsamen Unterricht. Das ist gut. Schlecht ist, dass fast 72 Prozent es eben nicht sind. Nur ein Viertel aller Förderschüler macht überhaupt einen Schulabschluss. Deshalb: Der allgemeine und gleiche Zugang für Menschen mit Behinderung ist ein zentrales Versprechen der UN-Behindertenrechtskonvention. Das umzusetzen, ist auch eine nationale Aufgabe für die gesamte Politik in Deutschland.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich würde gerne drei Anmerkungen zu ganz konkreten Herausforderungen der inklusiven Bildung machen:
Erstens. Wenn uns inklusive Bildung gelingen soll, dann brauchen wir die Menschen, die das mit Leidenschaft, mit Überzeugung und mit Begeisterung umsetzen, die Profis für Inklusion. Vor Ort gibt es viele Ängste und auch Sorgen: Was passiert mit mir? Was passiert mit meiner Bildungseinrichtung? Was passiert mit meinem Kind? Diese Sorgen müssen wir ernst nehmen. Wir brauchen am Ende alle diese Akteure: Eltern, Schüler, Studierende, Lehrer, Auszubildende, Erzieher, Hochschullehrer, Sozialarbeiter – all diese Menschen sind Profis für Inklusion. Auf ihre Erfahrungen, ob im allgemeinbildenden System oder in den Sondersystemen, können wir nicht verzichten. Das ist das Herzstück einer gelungenen inklusiven Bildung: Menschen unterstützen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben – der Staatssekretär aus dem Bildungsministerium ist auch da – das Instrument der Qualitätsoffensive, das Hinweise darauf liefern soll, wie wir die Lehrerausbildung weiter gestalten können. Wir müssen alle gemeinsam dafür sorgen, dass die Finanzierung über eine Laufzeit von zehn Jahren gesichert ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zweite Anmerkung. Menschen mit Behinderung brauchen eine gute Arbeit, und zwar eine Arbeit, die ihre Talente und Fähigkeiten einbezieht, ihnen Sinn und Zufriedenheit gibt. Deshalb müssen wir am Übergang von der Schule in den Beruf arbeiten. Wir müssen diesen Übergang glätten. Im Koalitionsvertrag sind die richtigen Stichworte wie ausbildungsbegleitende Hilfen und assistierte Ausbildung aufgeführt. Wir brauchen an dieser Stelle auch die Werkstätten für Menschen mit Behinderung, und zwar nicht mehr als einzigen Arbeitsplatz – diese Einbahnstraße müssen wir aufheben –, sondern wir brauchen sie für die Berufsorientierung und für den geglätteten Übergang von der Schule in den Beruf. Das gilt auch für Menschen mit psychischer Erkrankung. Auch auf diese Erfahrung können wir nicht verzichten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Drittens. Wir müssen auch Studierende mit Behinderung unterstützen und diese Unterstützung, wo es notwendig ist, auch modernisieren. Die Eingliederungshilfe gewährt schon heute „Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule“. Wir müssen jetzt darauf achten, wenn wir an das Teilhabegesetz herangehen, dass die Standards gesichert und sie gegebenenfalls an ein modernes Studium angepasst werden. Bundeseinheitliche Regelungen wären für die freie Studienplatzwahl wünschenswert. Die Unterstützung für mehr als einen Ausbildungsabschnitt für beruflich Qualifizierte, die beispielsweise an die Hochschule gehen wollen, wäre sinnvoll. Das sind die Ziele, die wir uns für die Menschen mit Behinderung setzen müssen, die sich an den Hochschulen befinden.
Zum Schluss. Inklusive Bildung ist ein Kernbereich der UN-Behindertenrechtskonvention, ein Kernbereich der politischen Herausforderung, der sich alle staatlichen Ebenen stellen müssen. Das sollten wir als Bundestag sehr ernst nehmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)