Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Das ist kein ganz gewöhnlicher Tag für das Parlament, und das ist keine ganz einfache Entscheidung auch und gerade für die SPD-Fraktion hier im Deutschen Bundestag. Wenn ich gleichwohl meiner Fraktion die Zustimmung zum Mandat empfohlen habe, dann tue ich dies in der Verantwortung für die Menschen in Afghanistan; wir stimmen zu, weil wir nach acht Jahren des Aufenthalts deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan die Weichen für die Beendigung dieses Einsatzes stellen müssen und auch weil die Beendigung eines solchen Einsatzes vorbereitet werden muss, damit ‑ auch das ist eine Frage der Sicherheit deutscher Soldaten ‑ kein kopfloser Wettbewerb der Streitkräfte einsetzt, die gegenwärtig ihren Dienst in Afghanistan tun.

Es geht heute um einen Perspektivenwechsel. Es geht einerseits um die Sicherung des Erreichten, andererseits um die Ertüchtigung der afghanischen Staatlichkeit, aber auch ‑ darauf kommt es mir an ‑ um die Vorbereitung der Beendigung unserer militärischen Präsenz dort. Weil es darum geht, missverstehen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung, die Haltung der SPD nicht. Das ist kein Vertrauensvorschuss für diese Regierung. Den haben Sie sich leider in den ersten 120 Tagen Ihrer Amtszeit nicht verdient.

Gerade weil wir unsere Haltung nicht von Ihren Vorschlägen abhängig machen wollten, haben wir an unseren eigenen Vorstellungen gearbeitet, fußend auf einem Zehnpunkteplan vom September des vergangenen Jahres, die im Verlaufe der ersten zwei Monate dieses Jahres mit nationalen und internationalen Experten, mit NGOs, mit Kirchen und mit vielen anderen diskutiert wurden. Der Weg, den wir danach beschrieben haben, ist klar: keine zusätzlichen Kampftruppen, Verdoppelung der finanziellen Mittel für den zivilen Wiederaufbau, deutlich mehr Anstrengung für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte, Übergabe von beruhigten Regionen an die afghanische Staatlichkeit und parallel dazu ab 2011 Beginn des Abzugs deutscher Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan. Und wir haben hinzugefügt: In einem Korridor zwischen 2013 und 2015 soll der militärische Teil dieses Engagements zu Ende kommen.

Wir haben gesehen ‑ das begrüßen wir ‑, dass viele dieser Forderungen in dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandatsantrag enthalten sind. Entscheidend ist für uns, dass der Perspektivenwechsel vom Daueraufenthalt deutscher Streitkräfte in Afghanistan hin zur Beendigung des Militäreinsatzes im Mandatsantrag aufgenommen ist. Das sind die entscheidenden Gründe, weshalb wir nach gründlicher Prüfung diesen Antrag unterstützen können.

Es bleiben ‑ das will ich nicht verhehlen ‑ viele kritische Fragen. Wir haben sie in der Partei und der Fraktion diskutiert, und wir haben hart gerungen, bevor wir uns abschließend entschieden haben. Wenn es kritische Stimmen gab ‑ auch das will ich nicht verhehlen ‑, dann betrafen sie nicht Zweifel an denjenigen, die in Afghanistan unter schwierigen Bedingungen ihren Dienst tun: Polizisten, zivile Wiederaufbauhelfer, Soldaten und Diplomaten. An denen zweifeln wir nicht. Deshalb danken wir ihnen zunächst einmal an dieser Stelle.

Die Kritik und die Zweifel, die es gegeben hat und über die wir diskutiert haben, haben einen anderen Grund. Es sind Zweifel an der Führungsfähigkeit der Bundesregierung nach einem Dauerstreit, den wir seit 120 Tagen erleben, auch nach Vorgängen, die hier im Parlament eine Rolle gespielt haben, Herr zu Guttenberg, bei denen es um völlig unterschiedliche Bewertungen über einen Einsatz am Kunduz-Fluss ging, und nach manchem leichtfertigen Gerede, das hier über Krieg oder Nichtkrieg in Afghanistan stattgefunden hat.

Deshalb ‑ ich wiederhole es ‑ ist dies keine leichte Entscheidung, gerade für uns nicht. Es geht hier nicht um Leistungen oder Fehlleistungen der Bundesregierung, sondern um die Menschen in Afghanistan und um unsere Sicherheit. Weil Sie im Kern den Weg eingeschlagen haben, den wir beschrieben haben und für richtig halten, haben Sie in diesem Falle heute unsere Unterstützung. Aber gleichzeitig ist klar: Das ist kein Freibrief. Das ist ein Mandat für zwölf Monate. Wir werden sehr genau verfolgen, ob Sie die heute gemachten Zusagen einhalten und im nächsten Jahr, in den nächsten zwölf Monaten, die Weichen für einen schrittweise erfolgenden Abzug ab 2011 und dann anschließend für eine Vorbereitung auf die Beendigung des militärischen Einsatzes, wie im Mandat beschrieben, stellen. Diese Abzugsperspektive ist für uns entscheidend. Wir sind nicht von allem überzeugt. Wir sagen: Die Abzugsperspektive ist das Zentrale; deshalb tragen wir die Erhöhung des Kontingentes mit.

Wir sind aber nicht restlos überzeugt ‑ das haben Sie in den Gesprächen gespürt ‑ von der Größenordnung der flexiblen Reserve. Deshalb erwarten wir, dass in den Ausschüssen in jedem Fall eines Einsatzes aus der Reserve ausführlich dargelegt wird, dass er, zeitlich begrenzt und zu vorübergehenden Zwecken stattfindet und nur unter diesen Voraussetzungen Soldaten in Richtung Afghanistan geschickt werden.

Herr zu Guttenberg, Herr Westerwelle, wir werden Sie an Ihren Taten messen, wenn wir in zwölf Monaten über eine Verlängerung dieses Einsatzes zu entscheiden haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Parlamentarier sollten es dabei für heute nicht bewenden lassen, sondern das, was in diesem Mandat beschrieben ist und sich mit unseren Vorstellungen von der Weiterführung und Beendigung unseres Einsatzes dort verbindet, in den nächsten zwölf Monaten und darüber hinaus gründlich und kritisch unter die Lupe nehmen.

Deshalb ist mein Vorschlag, dass wir aus der Mitte des Parlaments den Auftrag erteilen, den Afghanistan-Einsatz einer systematischen und regelmäßigen Untersuchung zu unterziehen. Wir von der SPD-Fraktion werden Ihnen allen dazu einen Vorschlag unterbreiten. Ich würde mich freuen ‑ das darf ich Ihnen zum Abschluss sagen ‑, wenn wir einen solchen Vorschlag der SPD zu einer Untersuchung mit einem gemeinsamen parlamentarischen Antrag aller Fraktionen im Deutschen Bundestag unterstützen könnten.

Herzlichen Dank Ihnen allen.