Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich etwas zur Wohnsitzauflage sage, möchte ich zuerst ein paar Worte über die Flüchtlingsbürgen verlieren. – Ist Herr Wirth nicht mehr anwesend?
(Lars Herrmann [AfD]: Auf Toilette!)
Da Herr Wirth gesagt hat, dass die Bürgen im Fall des Falles auf ihren Kosten sitzen bleiben sollten, möchte ich der Ordnung halber darauf hinweisen, dass es gut ist, dass hier ein Kompromiss gefunden wurde und dass niemand auf ewig eine Bürgschaft eingehen soll. Wer hilfsbereit ist und sich um die Elendsten kümmert, darf den von Ihnen verwendeten Begriff „Gutmensch“ als einen Ehrentitel für sich in Anspruch nehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])
Weil Sie sich sichtlich darüber gefreut haben, dass Asyl Schutz auf Zeit ist und die Leute dann wieder gehen sollen, will ich sagen: Ich bin froh, dass Abgeordnetenmandate auf Zeit vergeben werden. Ich freue mich, wenn auch Sie dieses Parlament irgendwann verlassen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Lars Herrmann [AfD]: Die SPD! 9 Prozent!)
Zur Wohnsitzauflage möchte ich für die SPD-Fraktion klar sagen: Wir treten für die Freiheit und nicht für ihre Einschränkung ein. Dass wir die Freiheitsrechte der betreffenden Menschen einschränken müssen, fällt uns deshalb nicht leicht. Wir treten für die Freiheit von vielen ein, nicht von wenigen, für die Freiheit von Not, für die Freiheit von Furcht. So hat das Willy Brandt gesagt. Wenn wir also Eingriffe vornehmen, dann muss es dafür schon gute Gründe geben. Der zentrale, wichtige Grund ist: Wenn wir das nicht getan hätten, wenn wir nicht gesteuert und geordnet hätten, dann wären noch viel größere Eingriffe in die Freiheit nötig geworden, dann hätten wir die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung aufs Spiel gesetzt. Das durften wir nicht tun. Heute können wir sagen: Steuerung und Ordnung sind uns gelungen. Auch mit der in Rede stehenden Regelung haben wir die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung erhalten können. Deswegen war das eine sinnvolle Regelung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn ich mir ein Asylsystem wünschen dürfte, dann würde darin keine Wohnsitzauflage vorkommen. Dann würden wir vor Ort demokratisch entscheiden, wie viele Menschen wir aufnehmen wollen.
(Zuruf von der AfD: Bei dem, was Sie sich wünschen, würde in Deutschland keiner mehr ruhig schlafen können!)
Wir würden schauen, welche Sprachen die Betreffenden schon sprechen und welche Qualifikationen sie mitbringen. Wir würden schauen, wo sie schon jemanden kennen, wo sie gut ankommen und wo sie geschützt sind. Aber Politik ist kein Wunschkonzert, und auch das Leben ist kein Wunschkonzert. Wir müssen uns um die Realitäten kümmern, deswegen müssen auch solche Regelungen sein, wie wir sie getroffen haben. Als ich in der Erstaufnahmeeinrichtung in Mannheim war, habe ich Folgendes erlebt: Nachts kamen die Sonderzüge. Dann wurde mittels Bussen verteilt. Decken, Essen und Trinken wurden bereitgestellt, Plätze zugewiesen. Am nächsten Morgen war die Hälfte der Menschen, die in der Nacht angekommen waren, weg. Jetzt erklären uns Linke und Grüne einmal bitte, wie wir in einer solchen Situation Ordnung schaffen sollen, wie geklärt werden soll, wo die Unterkünfte sind, und wie wir für Integration sorgen können. Das ist aus meiner Sicht so nicht möglich. Deswegen sind Steuerung und Ordnung nötig. Man kann diesen Eingriff in die Freiheitsrechte durchaus rechtfertigen. Solange jemand von uns unterstützt wird und Hilfe bezieht, können wir auch die Spielregeln aufstellen, nach denen das geschieht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsident Thomas Oppermann: Herr Castellucci, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schauws?
Ja, bitte sehr.
Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade darüber gesprochen, dass Sie für die Freiheit eintreten und dass Sie sich auch wünschen, das anders zu regeln. Aber ich frage Sie jetzt: Wir stehen am Anfang dieses Verfahrens und der Beratungen. Sie haben gerade sehr deutlich von meiner Kollegin Filiz Polat und auch von Ulla Jelpke gehört, dass die Wohnsitzauflage eine so hohe Hürde für die Frauen, die in den Unterkünften von häuslicher Gewalt betroffen sind, darstellt, dass sie die Schutzeinrichtungen, die normalerweise Frauen bei häuslicher Gewalt aufsuchen können, nicht nutzen können. Aufgrund der Wohnsitzauflage und der bürokratischen Hürden wird es wahrscheinlich nie dazu kommen, dass eine Frau, die in einer Unterkunft von Gewalt – insbesondere von sexualisierter – betroffen ist, den Schutz erhält, den normalerweise jede Frau haben müsste. Ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Chance sehen, dass Ihre Fraktion im Laufe des Verfahrens mit darauf hinwirkt, dass der entsprechende Passus gestrichen wird, wie es der Bundesrat empfohlen hat? Das haben wir Grüne die ganze Zeit schon bei den AnKER-Zentren gefordert. Es kann nicht sein, dass eine Frau wegen Bedrohung und sexualisierter Gewalt, die ihr angetan wird, eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat begeht. Ich bitte um Ihre Antwort.
Vielen Dank für diese Frage. – Auf solche vulnerablen Gruppen müssen wir an jedem Ort, an dem sie sich in Deutschland befinden, achten. Bei dieser Aufgabe läuft bislang nicht alles perfekt; das ist uns bewusst. Ich signalisiere Ihnen gerne Gesprächsbereitschaft im Hinblick auf das, was Sie vorgetragen haben. Da die Evaluation angesprochen wurde: Wir müssen zuerst entfristen, damit diese Regelung weiterläuft und damit dann eine sinnvolle Evaluation stattfinden kann. In dieser Evaluation werden wir auch den Schutz besonders bedürftiger Gruppen untersuchen lassen. So haben wir uns das vorgenommen.
(Beifall bei der SPD)
Ich will Ihrer Fraktion noch einmal sagen: Linke und Grüne haben ihre Vorlagen bei Gesine Schwan entlehnt. Bestimmte Kommunen, die aufnehmen wollen, sollen das tun können und dafür besonders unterstützt werden. Das ist mir im Grunde sehr sympathisch. Wenn die Menschen den Kommunen zugewiesen sind und zusätzliche Gelder fließen, aber die Menschen dann eine Woche später nicht mehr dort sind, weil sie weitergezogen sind, stellt sich doch die Frage, ob dieses System funktioniert. Sie werden also ständig mit der Frage konfrontiert sein, wie das zu schaffen ist. Wir müssen daran arbeiten, damit wir für Verlässlichkeit und Planbarkeit sorgen. Dafür braucht es in diesem Fall auch einmal solche Instrumente.
(Beifall bei der SPD)
Nun steht die Entfristung des Integrationsgesetzes auf der Agenda. Das hört sich so an, als ob wir noch nicht fertig wären. Ich bin tatsächlich gefragt worden, als die Geflüchteten kamen: Herr Castellucci, wie lange wird es dauern, bis alle integriert sind? – Die Wahrheit ist: Integration ist eine Daueraufgabe jeder Gesellschaft. Dazu braucht es keine Geflüchteten und keine Migration; denn Integration bedeutet, dass es einen gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt, dass das Zusammenleben funktioniert und dass niemand verloren geht. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, an der wir uns weiter abarbeiten müssen. Dabei können wir uns von dem vielen inspirieren lassen, was in diesem Land auch gelingt. Zum Schluss – etwas abgewandelt – Ernst Bloch: Je mehr wir in das Gelingen verliebt sind statt in das Scheitern, umso eher wird es uns auch gelingen. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)