Wladimir Putin praktiziere das Recht des Stärkeren, sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Er nutze seine militärische Übermacht für die Einverleibung eines fremden Staatsgebietes. Die Annexion sei eindeutig völkerrechtswidrig. Das sehe auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen so.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand zweifelt daran, dass sich dieser Gipfel neben den wichtigen wachstums- und wirtschaftspolitischen Fragen mit einer der schwersten Krisen befassen muss, die es in den letzten Jahrzehnten auf unserem Kontinent gegeben hat. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat in Europa ein Staat eigenmächtig seine Grenzen neu definiert und einen Teil des Gebietes eines anderen Staates unter Verstoß gegen das Völkerrecht annektiert. Das zeigt, dass die europäische Friedensordnung alles andere als selbstverständlich ist, und es zeigt, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass wir nicht in die Denkmuster und Handlungsstrukturen des Kalten Kriegs zurückfallen. Dieser Konflikt darf nicht weiter eskalieren.

Deshalb bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister so entschieden und so besonnen agieren. Ihrer Umsicht und ihrem klaren Kurs ist es zu verdanken, dass das Blutvergießen auf dem Maidan gestoppt werden konnte und dass die Gewalt in der Ukraine nicht weiter ausgeufert ist. Dafür möchte ich Ihnen im Namen der SPD-Fraktion ganz herzlich danken.

In seiner Rede am Dienstag hat Wladimir Putin die Russen als „das größte geteilte Volk der Welt“ bezeichnet. Damit bezieht er sich ganz offensichtlich auf die russischen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Wenn sich hinter diesen Worten aber eine neue Putin-Doktrin nach dem Motto „Überall wo Russen leben, ist auch Russland“ verbergen sollte, dann verhieße das nichts Gutes.

Denn das liefe auf ein automatisches Interventionsrecht hinaus, sobald Wladimir Putin die Interessen im Ausland lebender Russen bedroht sieht. Ein solches Recht gibt es nicht, meine Damen und Herren. Ein solches Recht kann es gar nicht geben.

Wladimir Putins Rede war aber auch ambivalent. Er sucht förmlich nach Argumenten, um das Referendum auf der Krim und die anschließende Annexion durch Russland zu rechtfertigen. Überzeugend war das nicht. Unsere Haltung ist eindeutig: Die faktische Besetzung, das eilige Referendum und die Annexion der Krim sind nach Auffassung der internationalen Staatengemeinschaft klar verfassungswidrig; sie sind völkerrechtswidrig, und sie sind politisch brandgefährlich.

Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung das Ergebnis des Referendums und die Annexion nicht anerkennt.

Das Referendum verstößt gegen ukrainisches Verfassungsrecht. Weder die alte noch die neue Verfassung erlauben ein Referendum in einem Landesteil ohne Berücksichtigung der Interessen des Zentralstaates. Im Übrigen hat das Referendum unter der Bedingung einer Besatzung und mit der klaren Absicht Russlands stattgefunden, sich die Krim einzuverleiben, und dies, obwohl Russland in Verträgen mehrfach die bestehenden Grenzen und die politische Unabhängigkeit der Ukraine zugesichert hat: im Budapester Memorandum von 1994 wie auch im bilateralen Vertrag von 1997.

Insbesondere der Bruch des Budapester Memorandums ist verheerend, weil es der Ukraine explizite Sicherheitsgarantien im Gegenzug für die Rückgabe ihrer Atomwaffen gab.

Russland war einer der Signatarstaaten. Wie wollen wir jemals wieder einen Staat zum Verzicht auf seine Nuklearwaffen bewegen, wenn solche Garantien das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben sind?

Wladimir Putin praktiziert das Recht des Stärkeren. Er nutzt seine militärische Übermacht für die Einverleibung eines fremden Staatsgebietes. Die Annexion ist eindeutig völkerrechtswidrig. Das sieht auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen so, und Sie ja auch, Herr Gysi. Aber wenn Sie dann den Völkerrechtsbruch, der dort begangen worden ist, mit Hinweis auf tatsächliche oder angebliche Völkerrechtsverstöße durch andere relativieren, dann finde ich das allerdings unerträglich. Das zeigt, dass Ihre Kritik nicht ernst gemeint ist.

Große Sorge bereitet auch Russlands Begründung für dieses Vorgehen. Es beruft sich auf den Willen der auf der Krim lebenden russischen Bevölkerung und geriert sich damit als deren Schutzmacht. Dass Grenzen unter Berufung auf den Schutz von Minderheitenrechten und auf ethnische Gesichtspunkte neu gezogen werden, ist nicht akzeptabel. Das internationale Recht stellt dafür angemessenere Mittel zur Verfügung. Eigentlich sollte gerade Russland wissen, welche Folgen sein bisheriges Vorgehen für einen Vielvölkerstaat haben kann. Die dortigen Ethnien werden die Entwicklung auf der Krim sehr genau beobachten und sich hierauf berufen. Wladimir Putin, spätestens aber sein Nachfolger, wird mit den Geistern, die er rief, fertig werden müssen.

Deshalb können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir können nicht sagen: Das Völkerrecht und die Souveränität der Ukraine sind uns egal.

Die jetzt verhängten Sanktionen sind eindeutig und angemessen. Wir reden nicht über Sanktionen, wie sie vor 20 Jahren in Form umfassender Handelsembargos verhängt worden sind, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung leiden musste; das kann nicht unser Ziel sein. Wir reden heute über sogenannte Smart Sanctions, die sich ganz gezielt gegen einzelne Entscheidungsträger richten. Die jetzigen Sanktionen auf der Stufe zwei nehmen die russische Bevölkerung nicht in Mithaftung für das Handeln ihrer politischen Führung. Aber sie können ein sehr wirkungsvolles Instrument sein, wenn sie sich gegen politische Entscheidungsträger und oligarchische Eliten dieses Landes richten. Deshalb begrüßen wir diese Schritte.

Ich will zu den Sanktionen Folgendes sagen: Es muss klar sein, dass dann, wenn Russland nicht einlenkt und weitere Teile der Ukraine bedroht, weitere Maßnahmen unausweichlich sind. Wir sind uns bewusst, dass Sanktionen auch eine Gefahr für die eigene Wirtschaft darstellen können. Niemand wünscht sich das. Dennoch ist es richtig, dass die Option schärferer Sanktionen auf dem Tisch bleibt. Ich bin dem BDI-Präsidenten, Ulrich Grillo, für seine klaren Worte vom vergangenen Freitag dankbar. Er hat zwar seine Vorbehalte gegen Wirtschaftssanktionen offen angesprochen, aber zugleich klargemacht, dass das Völkerrecht über allem steht und dass Wirtschaftssanktionen eine Frage der Politik sind. Dass führende Vertreter der deutschen Wirtschaft so verantwortungsvoll argumentieren und die Einhaltung und Durchsetzung internationalen Rechts über ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen stellen, ist sehr gut und ein verantwortungsvolles Zeichen.

Gerade deshalb kommt der Politik an dieser Stelle eine besondere Verantwortung zu. Staatliche Sanktionen, seien sie wirtschaftlicher Natur oder nicht, müssen so ausgestaltet sein, dass sie diplomatische Lösungen nicht behindern. Es darf keinen Automatismus zu einer Sanktionsspirale geben. Für eine politische Bearbeitung des Konflikts mit Russland darf es niemals zu spät sein.

Im Übrigen müssen wir selbstverständlich bedenken, dass Russland auch in Zukunft als internationaler Verhandlungspartner gebraucht wird. Es gibt Konfliktherde wie den anhaltenden Bürgerkrieg in Syrien oder die Atomverhandlungen mit dem Iran, die ohne Mitwirkung Russlands kaum zu lösen sind.

Das vorrangige Ziel muss es jetzt sein, die weitere Destabilisierung der Ukraine im Osten und im Süden zu verhindern. Die Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften besteht nach wie vor. Gestern hat es die ersten Toten gegeben. Wladimir Putin hat am Dienstag erklärt: Wir wollen keine Teilung der Ukraine; wir brauchen das nicht.

Wir werden ihn beim Wort nehmen. Deshalb ist es richtig, dass jetzt auf Vorschlag der Bundesregierung eine OSZE-Beobachtermission prüfen soll, ob es Aktivitäten im Süden und Osten der Ukraine gibt, die zu einer Destabilisierung führen können. Eine solche Mission könnte einen Wiedereinstieg in einen politischen Prozess ermöglichen. Ich hoffe sehr, dass das gelingt.

Wir haben aber auch klare Forderungen an die ukrainische Regierung, auch wenn sie es im Augenblick sehr schwer hat. Sie muss die Rechte aller nationalen Minderheiten achten und aktiv schützen. Niemand darf sich in der Ukraine als Bürger zweiter Klasse fühlen. Ich bin deshalb froh, dass das geplante Sprachengesetz gestoppt wurde. Es hat unnötig Ängste geschürt und die Spannungen verschärft.

Weiterhin muss die Regierung die militanten Gruppen entwaffnen und das staatliche Gewaltmonopol durchsetzen. Antisemitismus und Rechtsextremismus dürfen in der neuen Ordnung der Ukraine keinen Platz haben.

Rechtsextremes und nationalistisches Denken wollen wir nicht in Europa, nicht in Deutschland und auch nicht in der Ukraine.

Schließlich muss die ukrainische Regierung die Arbeit an einer neuen Verfassung, wie das in der Verständigung vom Februar vorgesehen war, vorantreiben, und sie muss die Verbrechen auf dem Maidan lückenlos aufklären.

Ich will zum Schluss noch etwas zu den angekündigten Hilfen der EU und des IWF sagen. Ich begrüße sehr, dass diese Hilfen jetzt auf den Weg gebracht werden. Aber die Programme haben eine ganz entscheidende Voraussetzung: Das Geld muss für den Aufbau des Landes und für öffentliche Aufgaben eingesetzt werden.

Es darf nicht in den privaten Taschen korrupter Machteliten verschwinden. Die Menschen in der Ukraine wollen, dass die Korruption endlich aufhört in diesem Land.

Wenn die Ukraine am Freitag den politischen Teil des EU-Assoziierungsabkommens unterschreibt, dann verpflichtet sie sich zur Einhaltung von mehr Rechtsstaatlichkeit. Das ist richtig; denn nur eine rechtsstaatliche und demokratische Ukraine wird stark genug sein, die Herausforderungen der nächsten Tage, Wochen und Monate zu bewältigen.

Die Vorschläge zur Regelung des Konflikts liegen auf dem Tisch. Jetzt ist es an Russland, auf diese Vorschläge einzugehen. Jetzt geht es darum, den politischen Dialog wieder in Gang zu bringen. Ich wünsche der Bundeskanzlerin und dem Außenminister auf dem jetzt anstehenden Gipfel eine glückliche Hand für die ganz sicher nicht einfachen Verhandlungen.

Vielen Dank.