Mit den gesetzlichen Neuregelungen erhalten Beschäftigte, die nahe Angehörige pflegen, mehr zeitliche Flexibilität und mehr Rechte. Damit unterstützt die Große Koalition sie vor allem dabei, Familie, Pflege und Beruf besser miteinander zu verbinden. Durch die Möglichkeit sich bis zu zwei Jahre von der Arbeit freistellen zu lassen, sorgt die SPD-Fraktion dafür, dass die Berufstätigkeit während der Pflege von nahen Angehörigen nicht aufgegeben werden muss. Das hilft auch den Arbeitgebern, denn ihnen bleiben wichtige Fachkräfte erhalten.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir verabschieden heute ein Gesetz für Menschen, die in der Mitte ihres Lebens stehen, für Männer und Frauen, die viel Verantwortung übernehmen: im Job, für Kinder und für ihre pflegebedürftigen Angehörigen. Wir sorgen jetzt dafür, dass sie diesen Spagat besser bewältigen können. Wir wollen ihnen helfen, ihre große Verantwortung ein bisschen leichter zu tragen. Wir verbessern heute das bereits bestehende Familienpflegezeitgesetz, das ist richtig, und das ist dringend erforderlich; denn das Gesetz, noch von der alten Regierung verabschiedet, war sicher gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Es kam bei den Menschen nicht an. Mit 135 Beschäftigten im Jahr, die die Familienpflegezeit in Anspruch genommen haben, war es nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind gespannt, ob sich das ändern wird!)
- Ich bin sicher, Kollegin Scharfenberg, das wird sich verbessern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir werden sehen!)
Dass es nur 135 Beschäftigte waren, hat uns in der Tat nicht überrascht; denn das alte Gesetz hatte ja gravierende Mängel, und wir verbessern es an diesen Stellen.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber gespannt!)
Wir führen erstens eine zehntägige bezahlte Familienpflegezeit ein. Dafür haben wir schon seit vielen Jahren gekämpft und gerungen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir geben zweitens Beschäftigten einen Rechtsanspruch. Auch das ist seit vielen Jahren hier in diesem Parlament in der Diskussion. Wir erleichtern drittens die Inanspruchnahme mit einem zinslosen Darlehen. Wir machen das Gesetz besser, damit es wirkt.
Vizepräsidentin Ulla Schmidt:
Frau Kollegin Reimann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann, Fraktion Die Linke?
Dr. Carola Reimann (SPD):
Ja, sehr gern.
Pia Zimmermann (DIE LINKE):
Vielen Dank, Frau Reimann, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. - Ich hatte eine schriftliche Anfrage gestellt, und zwar ging es darin speziell um die zehn Tage zum Organisieren der Pflege. Ich habe danach gefragt, wie hoch der durchschnittliche Zeitbedarf ist, um eine Pflege zu organisieren. Die Antwort war, dass es keine statistischen Angaben gibt. Im letzten Satz heißt es, zehn Tage dürften nach allgemeiner Erfahrung für die Organisation der Pflege ausreichen. Da frage ich mich: Was sind das denn für allgemeine Erfahrungen? Ist es nicht vielmehr so, dass die zehn Tage nach allgemeiner Erfahrung nicht ausreichen?
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Carola Reimann (SPD):
Ich gehe davon aus, dass Sie die Frage an die Regierung gerichtet hatten. Meine Haltung dazu ist: Dazu, ob diese zehn Tage ausreichen, kann es natürlich keine Statistik geben, weil wir alle wussten: Zehn Tage ohne Lohnersatzanspruch werden erstens sehr viele Menschen gar nicht in Anspruch nehmen können. Zweitens wird das, wenn sie das tun und einfach unbezahlten Urlaub nehmen, ja nirgendwo registriert. Wir haben uns jetzt damit durchgesetzt, dass man diese zehn Tage so flexibel wie möglich nehmen kann. Was meine ich damit? Man kann dieses Kontingent tageweise nehmen und es auf verschiedene Angehörige aufteilen. Es ist ja für die Situation gedacht, dass eine akute Krise auftritt, eine Pflegesituation erstmalig auftritt oder sich eine bestehende Pflegesituation noch einmal akut verschlechtert. Da ist es uns wichtig - ich glaube, da haben wir jetzt eine lebensnahe Lösung gefunden -, dass das eben flexibel genutzt werden kann, dass also, wenn meine Mutter krank wird, ich die ersten zwei Tage übernehme, aber zu meiner Schwester sagen kann: Sollte das noch einmal vorkommen, bist du diejenige, die diese Tage nehmen und kurz aus dem Job rausgehen muss, um das für unsere Mutter zu organisieren. - Das ist etwas, was, glaube ich, in Zukunft ganz viele in Anspruch nehmen werden, weil es wie das Kinderkrankengeld - das ist ja die Blaupause für dieses Instrument - gut exekutiert werden kann. Das Kinderkrankengeld wird sehr gut angenommen. Das funktioniert wunderbar. Ich glaube, dass sich das auch übertragen lässt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit diesem Gesetzentwurf die Pflegebedürftigen, die pflegenden Angehörigen und auch die Wirtschaft im Blick. Wem die Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und die Angehörigen - das klang vorhin schon einmal an - nicht Grund genug sind, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, dem sei gesagt: Die bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf macht auch wirtschaftlich Sinn.
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
Das muss kein Widerspruch sein, Kollegin Scharfenberg. Es ist wirtschaftlich sinnvoll, zum einen volkswirtschaftlich, weil wir ohne die Familien die Pflege in unserem Land gar nicht bewältigen könnten. 3,5 Millionen Menschen in Deutschland pflegen informell. Müssten wir diese Angehörigenpflege von jetzt auf sofort durch professionelle soziale Dienstleistungen ersetzen, würde unser Pflegesystem zusammenbrechen. Deshalb ist es auch volkswirtschaftlich sinnvoll, Beschäftigten die Pflege ihrer Angehörigen zu ermöglichen. Auch betriebswirtschaftlich macht es Sinn; denn nur der Weg über eine gute Vereinbarkeit von Pflege und Beruf führt zu mehr Fachkräften.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Kluge Unternehmenschefs wissen das auch schon. Kluge Unternehmenschefs wissen, dass sie die Zeitkonflikte ihrer Beschäftigten ernst nehmen und gemeinsam mit ihnen Lösungen erarbeiten müssen. Ich finde, diesem Beispiel müssen wir folgen, anstatt in alte Denkmuster zurückzufallen und reflexartig von Belastungen für die Wirtschaft zu sprechen. Moderne Wirtschaftspolitik sucht nach Wegen, wie wir Fachkräfte halten, sichern und gewinnen können. Genau das machen wir jetzt mit diesem Gesetzentwurf.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Kolleginnen und Kollegen, schauen wir einmal auf die guten Erfahrungen beim Elterngeld und beim Kitaausbau. Mit beiden Leistungen haben wir anerkannt, dass die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf kein privates Luxusproblem ist, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Das Signal, das vom Elterngeld wie vom Kitaausbau ausgeht, ist doch: Frauen, kommt nach einem Jahr Babypause wieder zurück in den Beruf, bleibt nicht dauerhaft zu Hause! - Die Mütter haben das Signal gehört und ihr Verhalten geändert. Sie haben es verstanden. Immer mehr Frauen kehren früh in den Beruf zurück; immer mehr, mit immer mehr Stunden.
So wird es auch jetzt sein, wenn wir Pflege und Beruf immer besser in Einklang bringen können. Mit diesem Gesetzentwurf senden wir auch ein Signal: Gib deinen Job nicht auf wegen der Pflege der Angehörigen, behalte deinen Job wenigstens in Teilzeit bei, das ist besser für deine Gesundheit und übrigens auch für deinen Geldbeutel! - Ich bin sicher, dass auch dieses Signal wieder richtig verstanden wird. Dann wird das neue Gesetz den Unternehmen nicht weniger, sondern mehr Arbeitskraft bescheren. Eine weibliche Fachkraft, die wegen der Pflege ihrer Mutter auf 20 Stunden reduziert, bleibt und steht dem Arbeitgeber natürlich noch zur Verfügung, und zwar deutlich mehr, als wenn sie unter dem Spagat von Pflege und Vollzeit zusammenbricht und den Job ganz hinschmeißt.
Kolleginnen und Kollegen, wir machen heute einen weiteren wichtigen Schritt zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Mit dem Gesetzentwurf helfen wir Frauen und Männern, die ganz viel Verantwortung tragen. Wir helfen aber auch den Pflegebedürftigen, die mehrheitlich den Wunsch haben, zu Hause gepflegt zu werden. Wir tun auch etwas für unsere Unternehmen, indem wir einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Wir kommen also einen guten Schritt voran. Das wird aber nicht der letzte Schritt sein. Das verspreche ich hier; denn Zeitpolitik werden wir weiter auf der Tagesordnung haben und dann vielleicht mit noch mehr Zeit, Kollegin Scharfenberg.
Danke für das Zuhören.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)