Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir entscheiden heute über das AWACS-Mandat für Afghanistan. Jedenfalls aus meiner Sicht hat es der Verlässlichkeit der deutschen Politik in der Vergangenheit ganz gut getan, dass solche Entscheidungen von einer breiten Mehrheit hier im Hause getragen wurden. Diejenigen, die in Afghanistan als Soldaten oder als zivile Helfer ihren Dienst tun, dürfen das jedenfalls erwarten.

Die SPD - das haben Sie in den letzten Monaten erfahren - hat sich auch in ihrer Rolle in der Opposition nicht aus der Verantwortung gestohlen.

Aber auch das sei ganz am Anfang meiner Rede in Richtung der Regierungsfraktionen gesagt: Diese Regierung unternimmt alles, um auch diese gute Tradition in der Außenpolitik zu gefährden. Man muss entweder auf der einen Seite verwegen oder auf der anderen Seite panisch sein, um drei Tage vor wichtigen Landtagswahlen wie Zieten aus dem Busch zu kommen und einen solchen Gegenstand in die Tagesordnung des Bundestages zu pressen.

Ich sage ganz ehrlich an Ihre Adresse: Viele von uns hatten den Eindruck, dass Sie im Grunde genommen gar nicht nach einer breiten parlamentarischen Mehrheit suchen, sondern dass Sie eine Ablehnung provozieren wollten. Meine Meinung ist anders: So viel Strategie traue ich Ihnen in diesen Tagen gar nicht zu.

Aber es ist mir in der Tat ernster. Es geht mir gar nicht um die Provokation von Konflikten mit der Opposition. Denn mir fällt in den letzten Monaten nicht nur bei der Diskussion in diesem Hause auf: Es geht eigentlich um etwas, was schlimmer ist. Es geht um die seit Monaten immer wieder deutlich werdende Missachtung des Parlaments. Heute werden wir einmal mehr gezwungen, weitreichende Entscheidungen in einem für das Parlament, finde ich, völlig unwürdigen Schweinsgalopp über die Bühne zu bringen.

Das Ganze scheint mittlerweile System zu haben. Das fällt nicht nur uns auf. Wenn Sie - das sage ich an die Damen und Herren der Regierung gerichtet - schon nicht auf uns hören, dann hören Sie zumindest auf den Bundestagspräsidenten. Er hat es Ihnen in der vorvergangenen Woche einmal mehr ins Stammbuch geschrieben.

Wenige Beispiele. Beim Euro-Rettungsschirm hat die Bundesregierung jede Auskunft, die wir verlangt haben, so lange verweigert, bis die wesentlichen Entscheidungen in Brüssel eingetütet waren. Bei der Wehrpflicht - sie hatte eine ausgezeichnete Tradition in dieser Republik - waren sich die großen Parteien über lange Zeit einig. Nun wird die gesetzliche Verankerung der Grundlagen der Bundeswehr mit einem politischen Ukas auf einmal ausgesetzt. Die gerade erst per Gesetz verlängerten Laufzeiten der Kernkraftwerke werden mit politischem Beschluss ohne Beteiligung des Parlamentes einfach so zurückgenommen.

Heute legen Sie auf die Schnelle einen Antrag zur Beteiligung an einem AWACS-Einsatz vor, nicht weil die Lage in Afghanistan das erfordert, nicht weil die Bedrohungslage in Deutschland über Nacht eine andere geworden wäre, nicht weil die NATO-Anforderung in den letzten Tagen dringlicher geworden wäre, sondern weil der Bundesregierung das Wasser bündnispolitisch bis zum Hals steht. Darum geht es und um nichts anderes.

Das wissen nicht nur die, die jetzt Beifall geklatscht haben; die Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen reden genauso darüber. Ich weiß, dass es Ihnen genauso wie uns auf die Nerven geht, dass ohne begründeten Ausnahmefall mit dauerndem, sich immer wiederholendem unzulässigem Druck auf die Beratungsmöglichkeiten hier in diesem Hohen Hause eingewirkt wird. Das geht allen auf die Nerven. Es geht nicht nur auf die Nerven, sondern rüttelt auch an den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie.

Ich darf an die Adresse der Regierung sagen: Die Regierung kann sich nicht beschweren, hier im Parlament würde das Verständnis für notwendige und zeitgerechte Entscheidungen fehlen. Aber der Umgang der Regierung mit dem Parlament wird mehr und mehr eine Frage der Selbstachtung. Auch das muss am Anfang dieser Debatte gesagt werden.

Aus meiner Sicht hat die Geringschätzung parlamentarischer Gepflogenheiten, Usancen und Verfahren in der Frage der AWACS einen ganz einfachen Grund. Der Grund heißt nicht Afghanistan, der Grund heißt Libyen. Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie in den Regierungsfraktionen über die Wertung eines Militäreinsatzes nachdenken, gegebenenfalls auch streiten. Das tun auch wir; ich verschweige das nicht. Aber Sie sind in der Regierung. Sie konnten sich zwischen Friedensfürst auf der einen Seite und Bündnistreue auf der anderen Seite nicht entscheiden. Sie haben es fahrlässig zu dieser engen Alternative kommen lassen. Nachdem Fehler gemacht worden sind, nachdem Wunden geschlagen worden sind, wird das Parlament jetzt über Nacht zur Wundheilung verdonnert und soll die Trostpflaster für die Verbündeten kleben. Das ist unsere Aufgabe in dieser Stunde.

Jetzt auf einmal werden wir als Parlament gebraucht, weil die Bündnistreue der Deutschen in Zweifel steht, und das drei Tage vor wichtigen Wahlen. Herr Westerwelle - Sie haben eben etwas kritisch dazwischengemurmelt -, ich kann mich, vielleicht besser als jeder andere hier in diesem Hause, an manchen hämischen, manchen unverschämten Kommentar aus dem Jahre 2003 erinnern, zum Beispiel „Ruin der transatlantischen Beziehungen“. Frau Merkel gab damals den Hinweis Richtung USA, dass der Bundeskanzler nicht für alle Deutschen sprechen könne. Das vergesse ich zwar nicht, aber es beeinflusst auch nicht mein Abstimmungsverhalten; das will ich Ihnen sagen.

Würde ich es danach ausrichten, wäre das nicht die Verantwortung, wie ich sie und wie ich sie auch für die SPD-Fraktion verstehe. Glaubwürdigkeit   das ist meine Überzeugung   haben wir als Deutsche nur, wenn wir in den langen Linien denken, an denen wir uns orientieren.

Trotz der ganzen Chaotisiererei in den letzten Tagen lassen wir uns nicht auf einen Pfad führen, der die Entscheidung von wechselnden innenpolitischen Stimmungen abhängig macht. Mit einer solchen Politik   das ist meine Überzeugung   gewinnt man kein Vertrauen. Wenn man das Vertrauen kurzfristig zerstört   das haben wir in den letzten Tagen bei Herrn Brüderle in Fragen der Energiepolitik gemerkt   und wenn ein Minister dieser Bundesregierung gegenüber den Verbänden mal eben erklärt, dass man das mit den Lehren, die aus der Reaktorkatastrophe gezogen werden sollen, nicht so ernst nehmen soll, dann hat man dieses Vertrauen nicht verdient. Ich glaube, das werden Sie am Sonntag spüren.

Heute geht es um Afghanistan, und es geht um grundsätzliche Prinzipien, nämlich Verlässlichkeit, Verantwortung und Gradlinigkeit. Wir haben uns in der Vergangenheit nicht populistisch vom Acker gemacht. Auch wenn es heute aufgrund dieser Vorwahlsituation verlockend wäre, auf Konfrontation zur Regierung zu gehen, gebe jedenfalls ich dieser Versuchung nicht nach, weil ich davon überzeugt bin, dass der Einsatz, über den wir reden, vernünftig ist. Wer sich in der Vergangenheit darauf vorbereitet hat, der weiß: Die Entscheidung darüber wäre in wenigen Monaten ohnehin auf uns, auf dieses Parlament zugekommen, nämlich dann, wenn die dreimonatige Phase endet, in der AWACS in Afghanistan ohne deutsche Beteiligung läuft.

Ich sage: Auch wenn die Bundesregierung schlingern mag, kommen jedenfalls wir nach nüchterner Erwägung zu der Auffassung, dass wir diesem Einsatz mehrheitlich zustimmen können und dass wir ihn mittragen werden. Wir werden nicht etwas ablehnen, dem wir 2009 zugestimmt haben, und nicht etwas ablehnen, dem wir in zwei Monaten zugestimmt hätten. Das wäre keine Politik der Gradlinigkeit. Wir wollen sie. Daran, ob sie die Regierung will, habe ich allerdings meine Zweifel.

Darum unterstützen wir diesen Einsatz.

Mein letzter Satz. Herr Westerwelle und meine Damen und Herren der Regierung, klar muss auch sein: Wenn die Bundesregierung jetzt mit diesem Mandat und der Entsendung von Soldaten für den Einsatz von AWACS nah an die Gesamtobergrenze für das Einsatzkontingent in Afghanistan heranrückt, dann wird sie das nicht von der Zusage entbinden, noch in diesem Jahr substanzielle erste Schritte beim Rückzug aus Afghanistan einzuleiten. Es bleibt dabei: Davon, ob das gelingt, wird unsere weitere Unterstützung für das deutsche Afghanistan-Mandat abhängen.

Herzlichen Dank.