Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Während wir uns hier diesen Gesetzentwurf der AfD und die verbale Begründung von eben zumuten, brennt Idlib wieder, und viele Familien, die ich alltäglich begleite, zittern um ihre Angehörigen dort in Nordsyrien. Während wir uns diesen Gesetzentwurf zumuten, kommt gerade Handrin in Wuppertal von ihrem Integrationskurs nach Hause, kocht für ihre zwei Kinder, die noch mit ihr sind, das Essen. Ihr drittes Kind, Mohammed, bald 14 Jahre alt, ist unter dramatischen Umständen in der Türkei geblieben und wartet jetzt seit mehr als drei Jahren darauf, seine Mutter wiedersehen zu dürfen. Diese Frau, Handrin, nimmt das hin, in großer Sorge, aber auch in großer Geduld, und sie strengt sich unheimlich an. Sie war in Damaskus als Witwe, als Frau Taxifahrerin, nur damit ihre Kinder ein gutes Leben führen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frau hat mehr Würde, mehr Haltung, mehr Mut und mehr deutsche Sekundartugenden, als die Verfasser dieses Gesetzentwurfs in 50 Jahren aufbringen werden.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unlängst besuchte sie einen Notar, um eine Vollmacht für die Großmutter des Kindes ausstellen zu können, damit diese Großmutter unter lebensgefährlichen Umständen in die Türkei einreisen und das Kind rechtlich vertreten kann. Übrigens ist der Notar, der diese Beglaubigung ausgestellt hat, aus einem uralten deutschen Adelsgeschlecht, zutiefst konservativ, zutiefst geprägt von christlich-jüdischen Werten. Es ist ihm eine Ehre und eine Freude, bei diesem Prozess zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie ignorant, wie arrogant und wie zynisch ist es, dann zu suggerieren, dass Abermillionen – ich zitiere aus dem, was im Gesetzentwurf der AfD unter „Problem“ beschrieben wird – „berufich nicht qualifzierter Menschen“ vor der Tür dieses Landes stünden – wider besseres Wissen um die realen Zahlen und wider besseres Wissen um die Dauer der Verfahren!

Ich lese in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs mit Erstaunen von der „Verbindlichkeit gemeinsamer gesellschaftlicher Grundlagen“ und vom „gesellschaftlichen inneren Frieden“. Nicht diese Ehefrauen, diese Ehemänner und diese Minderjährigen stellen diesen Frieden infrage; sie wollen nur in Frieden leben und normal leben und irgendwann wieder mit ihrer Familie zusammenleben. Wenn jemand den gesellschaftlichen Frieden infrage stellt, dann ist das die AfD-Fraktion mit ihrer Rhetorik, ihrem Denken und ihren Forderungen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Was sind denn die verbindlichen Grundlagen unserer Gesellschaft, wenn nicht auch Humanität und Empathie und Familie und Familieneinheit und Kindeswohl? Was, wenn nicht diese?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sehr „bemüht“ bemühen Sie in Ihrem Gesetzentwurf auch den Ausdruck „kulturfremd“. Was ist aber der Weltofenheit dieses Landes, der Kultur eines Goethe, einer Lasker-Schüler, einer Sophie Scholl, eines Heinrich Heine fremder als ebendieser Gesetzentwurf und Ihre Begleitrhetorik?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Überall in Ihrem Sprechen und auch in dem Text mangelt es an Herz und Verstand; das ist notorisch und eklatant. Aber vor allem mangelt es an Leben und Lebenswirklichkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ihnen kann aber geholfen werden; denn diese Frau, Handrin, der Sie grundsätzlich die Gastfreundschaft verweigern, wird Sie trotzdem jederzeit herzlich in ihre 45 Quadratmeter große Wohnung zum Essen einladen, zu Tabouleh, Schawarma oder Kibbeh, wenn Sie wollen, aber auch zu Wiener Schnitzel und Kartofelsalat. Das wird sie tun, und sie wird sich Ihrer annehmen, so wie sie es mir geschrieben hat, mit Geduld und mit Mitgefühl. Sie hat alles verloren. Sie hat ihre Heimat verloren, sie hat ihre Unterstützung verloren, und sie hat ihr Kind nicht mehr bei sich. Aber sie hat eines, das Sie nicht haben: Sie hat Güte, sie hat Pfichtgefühl, sie schätzt und achtet dieses unser Land zutiefst, und sie hat Anstand. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)