In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag bekräftigt Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, den Status der Bundeswehr als Parlamentsheer. Über die Frage. wie die Parlamentsbeteiligung auch bei fortschreitender Bündnisintegration gesichert werden kann, soll in einer von der Bundesregierung einberufenen Kommission in einem möglichst parteiübergreifenden Konsens beraten werden.

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit der Einsetzung einer Kommission zur - ich zitiere - „Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“. Das klingt technisch, vielleicht ein bisschen technokratisch. Dahinter verbirgt sich aber in Wirklichkeit eine wichtige und für dieses Parlament zentrale Debatte.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt!)

Erinnern wir uns: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil im Jahre 1994 festgestellt, dass grundsätzlich jeder Einsatz der Bundeswehr im Ausland der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wohl wahr! Und was wollen Sie daran ändern? - Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist sogar ein Gesetz! - Heiterkeit - Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht (SPD): So früh schon so aufgeregt!)

Da kann man ruhig klatschen. Ich freue mich, dass hier so ein detailliertes Wissen vorhanden ist; das kann man auch voraussetzen. - Die Karlsruher Richter haben damit die Bundeswehr als Parlamentsheer definiert. In seinem Lissabon-Urteil im Jahre 2009 hat Karlsruhe die Parlamentsbeteiligung noch einmal gestärkt, sodass sie heute - das konnten wir eben erleben - ein unumstößlicher Teil der Verfassungsidentität unseres Landes ist.

(Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau so ist es!)

Mit der Verabschiedung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes im Jahr 2005 hat der Bundestag Form und Ausmaß der parlamentarischen Beteiligung festgelegt. Dieses Gesetz hat sich bewährt. Es hat dem Deutschen Bundestag eine stärkere Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik gegeben, hat die Rolle unseres Parlamentes über die Detailentscheidung hinweg erweitert. Ich glaube, dass das gut so ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Beteiligungsrechte wollen wir sichern.

(Lachen des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor wem?)

In unseren Diskussionen müssen wir allerdings den Trend zu integrierten Stäben und Strukturen von Streitkräften berücksichtigen. Diese Entwicklung hat zum einen ökonomische Gründe. Wir alle kennen den Druck auf die Verteidigungshaushalte, nicht nur in Deutschland, sondern auch bei unseren Verbündeten in Europa und in Nordamerika. Zum anderen hat diese Entwicklung politische Gründe.

(Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ganz offensichtlich!)

Schon heute ‑ das wissen Sie alle; wir kennen das aus der Parlamentspraxis und den Diskussionen, die wir in diesem Hause führen ‑ wirken immer mehr deutsche Soldatinnen und Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene mit.

Meine Damen und Herren, diese Arbeits- und Aufgabenteilung innerhalb des Bündnisses muss auch zukünftig nicht nur mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein, sondern sie muss auch funktionieren. Die Große Koalition hat deshalb die Einsetzung einer Kommission in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen. Das, was wir Ihnen vorschlagen wollen ‑ ich möchte das zitieren, damit keine Legenden entstehen ‑, ist ganz einfach und klar. Wir wollen eine Kommission einsetzen, die ‑ ich zitiere ‑ „binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können.“

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was gibt es denn da zu prüfen?)

Die Kommission soll dazu Vorschläge erarbeiten.

(Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben sie doch, die Parlamente!)

Wir sind uns alle einig, dass die Bundeswehr auch in Zukunft ein Parlamentsheer bleibt. Die parlamentarische Beteiligung hat sich bewährt und ist eine Grundlage für die Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung. Sie verschafft den Einsätzen Legitimität und sichert demokratische Kontrolle.

Ich bin auch davon überzeugt: Für unsere Soldatinnen und Soldaten ist es wichtig, zu wissen, dass dies der Ort ist, an dem über jeden Einsatz diskutiert und entschieden wird. Ein wichtigeres Signal zur Unterstützung der schwierigen Arbeit der Bundeswehr kann es nicht geben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, betrachten wir als Sozialdemokraten die Parlamentsbeteiligung nicht als Schwäche, sondern als Stärke der deutschen Politik und keineswegs als Bürde.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und warum macht ihr dann die Kommission? ‑ Gegenruf des Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Das haben wir euch doch gesagt! Behaupten Sie doch nicht immer das Gegenteil von dem, was wir sagen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von den Grünen, ich hätte mich sehr darüber gefreut, wenn wir heute über einen gemeinsamen Einsetzungsantrag hätten beraten können.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU ‑ Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr hättet euch bestimmt gefreut, wenn wir gemacht hätten, was ihr gesagt habt!)

Denn es ist manchmal schwieriger, sich an komplizierten und komplexen Fragen zu beteiligen, als hier herumzupöbeln.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU ‑ Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh nein!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Annen, gelegentliche auch etwas kräftige Zwischenrufe rechtfertigen die Charakterisierung als Pöbelei noch nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‑ Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sensibelchen!)

Niels Annen (SPD):

Herr Präsident, ich nehme das natürlich zurück.

(Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist das halt, wenn man keine Argumente hat!)

Ich bin mir sicher, dass sich hinter der etwas erhöhten Lautstärke ein konstruktiver Vorschlag verborgen hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Den wir bislang noch nicht kennen!)

Aber ganz im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich hätte es gut gefunden, wenn wir einen gemeinsamen Antrag eingebracht hätten. Ich verstehe, dass das eine komplexe Materie ist und dass damit vielleicht auch Befürchtungen verbunden sind; ich bin aber überzeugt, dass wir diese ausräumen können. Deswegen werden wir auch weiterhin den Versuch unternehmen, mit Ihnen zu einer Vereinbarung zu kommen.

Ich finde es deswegen auch gut, dass wir heute nicht über den Antrag abstimmen, sondern ihn erst einmal an die Ausschüsse überweisen. Das kann ich Ihnen versprechen: Wir werden uns weiterhin um eine Verständigung auf einen gemeinsamen Auftrag bemühen.

Eines will ich Ihnen noch sagen: Man hatte nach der Lektüre des einen oder anderen Presseberichtes und bei der einen oder anderen Äußerung von Ihnen ein bisschen den Eindruck, als würden wir heute über die Ergebnisse der Kommission diskutieren. Wir diskutieren aber über die Einsetzung einer Kommission.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU - Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein! Ihr habt das Ergebnis vorherbestimmt!)

Eine Vorfestlegung vonseiten meiner Fraktion auf mögliche Ergebnisse gibt es nicht.

(Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Doch, doch!)

Ich will noch eines draufsetzen: Selbst die Möglichkeit, dass am Ende der Beratung das Ergebnis steht, dass wir vielleicht gar nichts an dem Gesetz verändern, steht im Raum. Das ist durchaus möglich.

(Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Hoffnung stirbt zuletzt! ‑ Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist wie bei Schalke: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)

Deswegen, meine Damen und Herren: Beteiligen Sie sich an den notwendigen Diskussionen! Denn ich glaube, dass man eines klar sagen muss: Wer für eine europäische Armee als langfristige Vision ist ‑ das habe ich hier von Vertreterinnen und Vertretern nicht nur meiner Partei von diesem Podium aus häufig gehört ‑, muss auch die schwierigen Debatten führen. Denn eines ist doch klar: Die Aufgabe von Souveränitätsrechten der einzelnen Staaten setzt gegenseitiges Vertrauen voraus. Wir wissen doch, dass es auch Interpretationen unserer Parlamentsbeteiligung bei europäischen Nachbarn gibt, die dazu führen, dass Misstrauen herrscht und dass sich Verbündete fragen: Wenn wir gemeinsame Fähigkeiten schaffen und damit Souveränitätsrechte abgeben, können wir uns am Ende eigentlich darauf verlassen, dass Deutschland, der Deutsche Bundestag und die deutsche Regierung, dann die entsprechenden Fähigkeiten zur Verfügung stellt, wenn es nötig ist?

Ich sage Ihnen ganz klar: Ich als Parlamentarier bin es manchmal leid, auf Konferenzen und in Diskussionen immer wieder zu hören, die deutsche Parlamentsbeteiligung sei sozusagen ein Hindernis für Bündnistreue. Wenn wir ganz ehrlich sind ‑ ich beziehe das nicht auf die amtierende Regierung, sondern allgemein auf das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament ‑, müssen wir zugeben: Wir haben das eine oder andere Mal gehört, dass sich unterschiedliche Bundesregierungen ein bisschen hinter dem Parlamentsvorbehalt versteckt haben.

(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Alle, nicht unterschiedliche!)

Deswegen will ich Ihnen sagen: Eine Regierung, die überzeugt ist, dass ein Einsatz notwendig ist, kann jeden Einsatz im Deutschen Bundestag durchsetzen und hat bisher auch jeden Einsatz, den sie für notwendig erachtet hat, im Deutschen Bundestag durchgesetzt. Mit anderen Worten: Die Parlamentsbeteiligung ist kein Hindernis, sondern eine Stärke. Aber darüber, wie wir das in der europäischen Praxis umsetzen, müssen wir diskutieren. Dabei müssen wir uns auch kritischen Fragen stellen. Dazu möchten wir Stellungnahmen von Expertinnen und Experten ‑ das ist die einzige Aufgabe der nun einzusetzenden Kommission ‑, aber auch den Beitrag aus dem Parlament berücksichtigen, um binnen Jahresfrist darüber zu entscheiden.

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist geprägt ‑ das wissen wir alle ‑ von den Erfahrungen unserer Vergangenheit. Ich glaube, sie ist ein Garant dafür, dass die Kultur der militärischen Zurückhaltung, sichergestellt durch unsere Beteiligung, auch in Zukunft ein Charakteristikum der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik bleiben wird.

(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

 

Das Video zur Rede finden Sie hier.