"Was immer Sie in der Koalitionsküche jetzt zusammenbrutzeln: Sie verantworten am Ende einen grundlegend falschen Anreiz, nämlich eine Prämie dafür, dass Kinder zu Hause bleiben", sagte Frank-Walter Steinmeier.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das … Betreuungsgeld kostet viel Geld, ist nicht gegenfinanziert und eine Bildungskomponente fehlt völlig.
(Beifall bei der SPD)
Ich muss Ihnen offen und ehrlich sagen: Ich hatte bisher nicht viel Gelegenheit, Übereinstimmung mit Herrn Rösler zu suchen, aber hier hat er recht.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es schön, dass im Laufe der Zeit Entwicklung möglich ist. Sie begreifen jetzt, was Opposition, Wissenschaft, Verfassungsjuristen, Kinderschutzbund, Migrantenverbände, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Evangelische Kirche und vor allen Dingen die große Mehrheit der Bevölkerung schon seit langem wissen: Das Betreuungsgeld ist Geldverschwendung, setzt völlig falsche Anreize, taugt nichts und muss vom Tisch.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich hier auch zum Betreuungsgeld geredet. Dass das Thema noch immer „hängt“, hat natürlich Gründe. Wenn Sie in der Koalition davon überzeugt wären, dass das Betreuungsgeld wirklich das Richtige ist, dann hätten Sie es längst umgesetzt. Was Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, in Wahrheit beunruhigt,
(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Wir sind die Ruhe selbst!)
ist, dass Sie in diesem Falle nicht nur Kritik aus der Opposition bekommen, sondern dass die Verständnislosigkeit in den eigenen Reihen von Monat zu Monat wächst.
Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU glauben selbst nicht an dieses Instrument. Sie haben aber nicht die Kraft – und das ist das Entscheidende –, aus der wachsenden Verständnislosigkeit in den eigenen Reihen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sie lassen die Dinge treiben und hoffen auf Ermüdung der Öffentlichkeit bei diesem Thema. Genau das werden wir Ihnen aber nicht durchgehen lassen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dass ich mich zu diesem Thema nach einem Jahr hier im Bundestag wieder zu Wort melde, hat nichts damit zu tun, dass ich das Betreuungsgeld für eine der vielen nicht finanzierten sinnlosen Maßnahmen zur Klientelbefriedigung halte, sondern weil ich noch immer – heute sogar immer mehr – der Meinung bin, dass Sie in unserem Bildungssystem an einer verhängnisvoll falschen Weichenstellung arbeiten. Die Tragweite dessen, was Sie hier jetzt auf den Weg schicken wollen, erkennen Sie bei Ihrem koalitionären Tunnelblick inzwischen gar nicht mehr.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie müssen sich doch über eines im klaren sein: Sie können in der nächsten Woche im Koalitionsausschuss irgendeinen krummen Kompromiss zurechtzimmern, den der Finanzminister am Ende bezahlt und der Ihnen in der Koalition vielleicht über die nächsten vier Wochen hilft. Es bleibt aber bei der Wahrheit, die ich vor einem Jahr von diesem Pult aus auch schon gesagt habe: Das, was Sie hier vorbereiten, ist eine bildungspolitische Katastrophe. Ein anderes Wort habe ich dafür nicht zur Verfügung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Was immer Sie in der Koalitionsküche jetzt zusammenbrutzeln: Sie verantworten am Ende einen grundlegend falschen Anreiz, nämlich eine Prämie dafür, dass Kinder zu Hause bleiben. Viele von Ihnen wissen vermutlich, was Sie damit anrichten: Gerade viele der Kinder, die wir viel mehr in öffentlichen Betreuungseinrichtungen sehen möchten, gerade viele der Kinder, die erst durch die Betreuung in öffentlichen Einrichtungen überhaupt eine Chance im Bildungssystem bekommen, gerade auch viele Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, die eine möglichst frühzeitige Sprachförderung erhalten müssen, werden durch Ihre Prämie und Ihren Fehlanreiz zu Hause bleiben. Sie wissen das, machen es aber trotzdem. Das ist das Verantwortungslose.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
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Ich meine, wir müssen familienpolitisch argumentieren. Aber auch ökonomisch verstehe ich Sie nicht, gerade diese Koalition nicht, gerade wenn Sie, wie viele von Ihnen, bei der letzten BDA-Jahrestagung geredet und gehört haben, was Ihnen die Unternehmer in diesem Lande berichten, nämlich von ihrer Sorge um den Mangel an Arbeitskräften. Nun besteht aber die Hälfte der gut ausgebildeten jungen Menschen in diesem Lande aus Frauen. Deren Erwerbstätigkeit – daran haben wir ein Interesse – müssen wir fördern und nicht behindern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber es scheint so zu sein, dass Ideologie oder Koalitionsarithmetik auch die einfachsten Gesetze der Logik außer Kraft setzen.
Vor einem Jahr kam ich aus einem Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden zu der Debatte zum Betreuungsgeld hierher. Zufälligerweise hat ein solches Treffen gerade gestern wieder stattgefunden. Ich will Ihnen noch einmal sagen: Die Botschaft, die von unseren Kommunen kommt, ist immer noch dieselbe. Sie ist ganz einfach und klar: Hört damit auf, Geld auszugeben, damit Kinder zu Hause bleiben! Ganz im Gegenteil: Jeder Euro, jeder Cent, der für diesen Unsinn verschleudert wird, der wird für den Kitaausbau dringend gebraucht. – Recht haben die kommunalen Spitzenverbände!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb zum Schluss. Mit Verlaub: Alle Argumente liegen auf dem Tisch, aber sie sind eben nicht auf Ihrer Seite. Auf Ihrer Seite ist der ominöse Koalitionsfrieden. Nicht aber dem sind Sie mit Ihrem Mandat verpflichtet, sondern dem Wohl von Familien und der Zukunft der Kinder hier in Deutschland. Deshalb muss das Betreuungsgeld vom Tisch.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)