Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 40 Jahre, BAföG – das ist eine wechselvolle, insgesamt aber sehr stolze Geschichte, über die wir diskutieren.

(Beifall des Abg. Patrick Meinhardt [FDP])

Das BAföG wurde 1971 eingeführt, und zwar – man höre und staune – von der sozialliberalen Koalition.

(René Röspel [SPD]: Das war noch eine FDP damals!)

Damals konnte man mit der FDP tatsächlich noch Staat machen.

(Heiterkeit bei der SPD – Ulla Burchardt [SPD]: Ja! Da war die noch zu gebrauchen! –
Patrick Meinhardt [FDP]: Wir konnten damals noch mit Ihnen Staat machen!)

Aber es war natürlich die SPD,

(Zurufe von der FDP: Oh! Oh! – Na klar!)

die schon damals der Motor war und darauf gedrängt hat, das BAföG einzuführen. Die SPD hat das BAföG immer verteidigt und es, wo sie konnte, nach Kräften ausgebaut. Das war auch 1998 der Fall, als wir gemeinsam mit den Grünen die Bundesregierung übernommen haben. In der Kohl-Ära ist das BAföG nachgerade kaputtgemacht worden. Wir mussten es erst wieder aufbauen.

(Ulla Burchardt [SPD]: Ja!)

In der Großen Koalition haben wir das BAföG gegen Angriffe von Ministerin Schavan verteidigt; das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ulla Burchardt [SPD]: Das sollte noch nicht mal in den Koalitionsvertrag!)

Wir unterstützen das BAföG nicht etwa aus Prinzipienreiterei oder weil es eine schöne Tradition ist, sondern, weil wir davon ausgehen, dass es ein Menschenrecht auf Bildung gibt. Es darf nicht vom Geldbeutel abhängen, ob jemand Bildung erhält oder nicht. Das ist im Kern der Unterschied zwischen uns und Ihnen von der Regierungskoalition.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Nein! Da ist kein Unterschied!)

Das BAföG war und ist Kernstück der Bildungsoffensive, die wir in den 70er-Jahren gestartet haben. Das BAföG war in der Tat sehr erfolgreich. Es hat Millionen Menschen ermöglicht, ein Studium oder den Schulbesuch zu finanzieren. Aber, Herr Kaufmann: Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen. Wir dürfen es nicht dabei belassen. Wir müssen das BAföG fortwährend weiterentwickeln. Es gibt in der Tat einige Studien – wir haben auch im Ausschuss für Bildung und Forschung über sie diskutiert –, deren Ergebnisse zeigen, dass es in erster Linie finanzielle Gründe sind, die Menschen daran hindern, Bildungsangebote wahrzunehmen, oder sie veranlassen, ein Studium abzubrechen. Darum müssen wir das BAföG weiter ausbauen.

(Ulla Burchardt [SPD]: Ja!)

Die Linke und vor allen Dingen die Grünen haben hierzu Vorschläge vorgelegt, die durchaus diskutabel sind. Die SPD hat schon letztes Jahr einen umfassenden Antrag zu diesem Thema vorgelegt. Uns geht es darum, die Förderung zu erhöhen, damit das Geld während der gesamten Dauer des Bildungsprozesses ausreicht. Wir wollen vor allem, dass mehr Menschen in den Genuss der Förderung kommen.
Wir beobachten durchaus eine Art Mittelstandsloch, wie wir es nennen: Das Einkommen der Eltern vieler Studierender liegt an einer Grenze. Sie bekommen entweder gar keine oder nur eine geringe Förderung, haben aber trotzdem Schwierigkeiten, ihre Ausbildung zu finanzieren. Da müssen wir durch die Ausweitung der Förderung und auch durch ein neues Instrument, das wir vorschlagen, nämlich das Nullzinsdarlehen, etwas machen. Auch müssen wir auf die Herausforderungen der neuen Studienstruktur reagieren. Bei vielen gibt es in der Förderung eine Lücke zwischen Bachelor und Master. Das müssen wir ausgleichen.
Ich möchte ausdrücklich sagen, dass die Idee des einheitlichen, elternunabhängigen Sockels durchaus reizvoll ist. Darüber müssen wir diskutieren. Dies ist natürlich eine schwierige Sache, weil wir dann auch das Kindergeld und die Steuerfreibeträge mit einbeziehen müssen. Das ist – auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – nicht ganz leicht.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber möglich!)

Ich denke, das müssen wir einmal gemeinsam diskutieren, wenn wir wieder eine vernünftige Mehrheit im Deutschen Bundestag haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gerne! – Ulla Burchardt [SPD]: Das ist ja bald!)

In diesem Zusammenhang, weil ich über Steuern gesprochen habe, will ich noch etwas zum Thema steuerliche Absetzbarkeit sagen: Vor einiger Zeit gab es ein Urteil des Bundesfinanzhofs. Der Kollege Meinhardt von der FDP hat dann gleich gesagt: Super! Jetzt gibt es die Möglichkeit, weniger Steuern zahlen zu müssen. – Ich bitte Sie herzlich, einmal darüber nachzudenken. Das ist doch der falsche Weg. Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die nach der Ausbildung viel Geld verdienen, Steuergutschriften erhalten. Vielmehr muss es darum gehen, dass die Leute jetzt, also in der Phase der Ausbildung, Unterstützung erhalten. Da müssen wir Veränderungen herbeiführen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine bessere Bildungsfinanzierung kostet Geld; das wissen wir. Auch wissen wir, dass das Geld nicht auf den Bäumen wächst. Darum haben wir von der SPD ein Konzept vorgelegt, nämlich einen Pakt für Entschuldung und Bildung. Wir wollen, dass jährlich 20 Milliarden Euro mehr von Bund und Ländern in Bildung investiert werden. Da das gegenfinanziert werden muss, wie wir sehr wohl wissen, sagen wir – obwohl dies unpopulär und streitig ist –, dass das mit Steuererhöhungen für diejenigen mit hohen Einkommen und großen Vermögen einhergehen muss.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darüber werden natürlich harte Diskussionen geführt werden, aber es ist eine klare Ansage und der richtige Weg. Wir streiten tatsächlich für Bildung. Aber was macht die Koalition?

(Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Sie gibt mehr Geld für Bildung aus!)

Sie dümpelt so vor sich hin.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Im letzten Jahr gab es beim BAföG ein bisschen obendrauf. In diesem Jahr gibt es eine Nullrunde. Was passiert denn im nächsten Jahr? Man weiß es nicht. Aber das Stipendienprogramm soll der große Erfolg sein. Herr Kollege Kaufmann hat gesagt, da gehe es richtig voran. Ich habe einmal nachgeschaut – neulich gab es eine Presseerklärung des Ministeriums –: Aktuell gibt es 4 793 Stipendien.

(René Röspel [SPD]: Wow!)

Das sind 0,2 bis 0,3 Prozent aller Studierenden. Herzlichen Glückwunsch, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber die rund 1 Million BAföG-Empfängerinnen und -Empfänger lassen Sie links liegen. Das geht so nicht!

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Monika Grütters [CDU/CSU]: Wir haben das BAföG erhöht!)

Herr Kaufmann, Sie sagen immer – auch die Ministerin hat dies vor zwei Tagen in der Ausschusssitzung gesagt–: Die Länder machen nichts. Auch sie müssen eine BAföG-Erhöhung mitfinanzieren. Von ihnen kommt aber nichts. – Wie denn auch? Es sind doch Ihre verantwortungslose Steuer- und Finanzpolitik und Ihre Steuergeschenke für Hoteliers und Reiche, die den Ländern die Beine weghauen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Was ist mit der Körperschaftsteuer?)

Sie können einem Schwimmer doch keine Bleigewichte anhängen und sagen: Nun schwimm mal schneller! Das ist das, was Sie hier veranstalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)

– Ich weiß, dass das wehtut und dass Sie das aufregt,  aber Sie müssen der Wahrheit einmal ins Gesicht sehen.

(Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Baden- Württemberg hat einen ausgeglichenen Haushalt!)

Ehrlich gesagt: Die Selbstbeweihräucherung, wie viel toller Sie sind, als die rot-grüne Regierungskoalition es einmal war, und wie viel mehr Geld Sie für Bildung und Forschung zur Verfügung stellen, geht auf die Nerven.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Schulz, möchten Sie noch unmittelbar vor Schluss Ihrer Rede eine Zwischenfrage des Kollegen Rupprecht beantworten?

Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Gerne, ja.

Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Lieber Kollege Schulz, kann es sein, dass Sie übersehen haben, dass es vor zwei Wochen eine intensive Berichterstattung dahin gehend gegeben hat, dass der größte Steuerausfall, den wir in den letzten 20 Jahren zu verzeichnen hatten, durch die große Körperschaftsteuerreform von Rot-Grün verursacht wurde?
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Genosse der Bosse!)

Diese Untersuchung wurde nicht von einem konservativen Institut, sondern von einem gewerkschaftsnahen Institut durchgeführt.

Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Das war eine Entscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben. In der Tat sind wir in der Lage, gegebenenfalls auf neue Situationen entsprechend zu reagieren und Konsequenzen daraus zu ziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben ein klares Programm. Es muss dann eben auch Steuererhöhungen für bessere Bildung geben. Sie können sich aber nicht darauf einigen. Wir werden das dann nach der nächsten Bundestagswahl machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Eine Klatsche vom Bundesfinanzhof haben Sie bekommen!)

Ich war gerade dabei, noch einmal die Unterschiede zwischen dieser Koalition und Rot-Grün bei der Finanzierung von Bildung und Forschung zu skizzieren.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das geht jetzt aber nicht mehr.

(Heiterkeit)

Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Das ist schade.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja, das finde ich auch.

Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Ich habe Sie vorhin so gelobt, Herr Präsident. Ich dachte, jetzt bekomme ich eine Minute mehr. Eigentlich hätte ich jetzt darauf hinweisen wollen,

(Heiterkeit bei der SPD)

dass Ihnen die Steigerung im Haushalt durch die Streichung der Eigenheimzulage möglich ist, die wir als Rot-Grün immer beantragt haben, während Sie sie im Bundesrat blockiert haben. Erst in der Großen Koalition haben wir das gemeinsam geschafft. Wir stehen zum BAföG und streiten dafür, Sie dümpeln herum. Na gut, dann machen wir das mit einer neuen Regierungskoalition besser.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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