Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In meinem Wahlkreis bin ich regelmäßig in Betrieben unterwegs. Ich schaue mir nicht nur die schönen innovativen Unternehmen an, sondern auch die Bedingungen, unter denen die Menschen in unserem Land arbeiten. Überall stößt man auf Klagen der Beschäftigten, dass der Leistungsdruck enorm zugenommen hat. An vielen Arbeitsplätzen in unserem Land hat sich der Stress in den letzten Jahren deutlich erhöht.

Besonders in der Pflege wird das sichtbar. Meine Frau ist als Krankenschwester tätig. Sie steht permanent unter Zeitdruck. Oft kann sie nicht die Zeit für die Patienten aufbringen, die diese tatsächlich brauchen, sondern muss ihre Arbeit hastig erledigen. Durch Leistungsvorgaben und Dokumentationspflichten, die immer mehr Arbeitszeit verschlingen, steht sie oft unter enormen Druck.

Die in der Pflege tätigen Menschen empfinden persönlich die Verantwortung, jedem einzelnen Menschen gerecht zu werden. Gleichzeitig müssen sie die Leistungsvorgaben erfüllen. Viele Menschen geraten in Stress und Verzweiflung, weil im Zweifel die Menschlichkeit, die ihnen selbst so wichtig wäre, wegen der industrieähnlichen und betriebswirtschaftlichen Arbeitsabläufe verloren geht. Das ist kein Einzelfall in der Kranken- und Altenpflege, einem Bereich, in dem wir das Menschliche der Arbeit nicht aufgeben dürfen.

Kolleginnen und Kollegen, am Beispiel einer Krankenschwester wird besonders deutlich, dass Stress in der Arbeitswelt allen schadet: Er schadet der Krankenschwester, weil sie durch psychische Belastungen und Stress selbst krank wird. Er schadet dem Arbeitgeber, weil er die Ausfallzeiten seiner Arbeitnehmer zu verkraften hat. Er schadet den Krankenkassen, weil sie bei Krankheiten, die durch psychische Belastungen entstehen, die Kosten tragen müssen. Er schadet der Qualität der Arbeit; denn mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz kann keine Krankenschwester wirklich gute Arbeit leisten. Das schadet natürlich auch dem Patienten. Das Gesundheitswesen leidet, weil niemand mehr die psychisch und physisch harte Arbeit in der Pflege machen will - so viel zum Thema Fachkräftemangel. Der Stress schadet der gesamten Gesellschaft; denn Familien und Freunde müssen zurückstecken, wenn jemand unter psychischen Belastungen am Arbeitsplatz leidet.

Kolleginnen und Kollegen, diese Analysen sind bekannt. Es ist offensichtlich, dass wir mehr und besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz brauchen, insbesondere um psychische Belastungen in der Arbeitswelt zu reduzieren. Leider haben wir auch im Bereich des Arbeitsschutzes eine Bundesregierung des Zögerns und Zauderns.

(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Ach nein!)

- Ja. ‑ Arbeitsministerin von der Leyen tut in der Öffentlichkeit wieder einmal betroffen und organisiert eine Konferenz. Aber es gibt kein Ergebnis dieser Konferenz. Das ist typisch für diese Bundesregierung: Dauernd werden Gipfeltreffen abgehalten und die Ergebnisse werden zwar medial vermarktet, aber politisch nie umgesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, Gipfel und Konferenzen helfen keinem Betroffenen. Die Betroffenen brauchen konkrete politische Handlungen und keine warmen Worte.

Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, Sie haben nun durchgesetzt, dass die Anhörung zu den bisher vorliegenden Oppositionsanträgen zu psychischen Belastungen in der Arbeitswelt verschoben wird. Vielleicht passiert in der Bundesregierung also doch noch etwas. Wenn hier noch eine Initiative kommt, dann aber nur auf massiven Druck aus der Gesellschaft, von den Gewerkschaften sowie von den Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unter psychischen Belastungen leiden. So agiert keine Bundesregierung, die eine Vision von einem fairen Arbeitsmarkt hat, vielmehr haben wir eine getriebene Bundesregierung ohne eigene Ideen. Wir als SPD haben mit unserem Antrag einen klaren Fahrplan zur Modernisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes mit einem Fokus auf die psychischen Belastungen in der Arbeitswelt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir brauchen dringend eine Anti-Stress-Verordnung, in der für Arbeitnehmer und Arbeitgeber klar definiert ist, wie der Arbeitsschutz im Bereich „Psychische Belastungen“ auszusehen hat. Wir haben im Arbeitsschutz alle möglichen Verordnungen, beispielsweise auch eine Biostoffverordnung. Im Bereich Psyche besteht aber eine Regelungslücke, die wir dringend schließen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Gefährdungsbeurteilungen, in denen der Arbeitsplatz auf Gefahren hin analysiert wird, müssen deutlich häufiger als bisher durchgeführt werden. Derzeit führen trotz gesetzlicher Vorschriften nur 51 Prozent der Betriebe Gefährdungsbeurteilungen durch, und in vielen Beurteilungen werden psychische Belastungen nicht berücksichtigt. Das muss besser werden.

Betriebliche Akteure müssen bezogen auf den Bereich „Psychische Belastungen“ besser informiert und qualifiziert werden. Zudem müssen beispielsweise Vereinbarungen zum Abschalten von Firmenhandys getroffen werden, damit die arbeitenden Menschen auch tatsächlich einen Feierabend bekommen.

Wir müssen die Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements verbessern. Wenn einst kranke Arbeitnehmer in den Betrieb zurückkehren, muss der Arbeitsplatz so gestaltet worden sein, dass der Arbeitnehmer nicht erneut arbeitsunfähig wird. Für den Fall, dass das Unternehmen das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht umsetzt, brauchen wir auch eine Sanktion. Wir schlagen vor, dass der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall dann länger leisten muss.

Wir fordern, dass die Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und Arbeitgebern besser werden muss, um mehr Konzepte für den betrieblichen Gesundheitsschutz zu erarbeiten. Wir alle wissen, dass es ohne Kontrolle nicht geht. Deswegen fordern wir umfassendere Kontrollen durch die Arbeitsschutzbehörden. Fehlender Arbeitsschutz muss angemessen sanktioniert werden. Die Kürzungen beim Aufsichtspersonal müssen rückgängig gemacht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen mit unserem SPD-Antrag detaillierte Forderungen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz vor; denn Arbeitsschutz ist für die gesamte Gesellschaft wichtig. Leider räumt die Bundesregierung diesem Thema keinerlei Priorität ein.

Wir müssen den Arbeits- und Gesundheitsschutz aber dringend modernisieren, damit wieder gilt: Arbeit darf nicht krank machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Leider hat die Bundesregierung jedoch nur warme Worte, aber keinen Willen zu gesetzlichen Aktivitäten. Ich verspreche allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land, die unter psychischen Belastungen am Arbeitsplatz leiden: Wir Sozialdemokraten werden dafür sorgen, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz aus seinem schwarz-gelben Dornröschenschlaf geholt wird ‑ spätestens im Herbst nach der Bundestagswahl. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jutta Krellmann (DIE LINKE))