Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kroatiens Beitrittsprozess war so lang und so intensiv wie kein anderer EU-Beitrittsprozess zuvor, und das war gut so. Der Beitrittsprozess hat die kroatische Gesellschaft reifen lassen. Nach der Monarchie, dem Faschismus, dem Kommunismus und dem nationalistischen Postkommunismus ist Kroatien endlich in einer funktionierenden Demokratie angekommen. Mit den Forderungen der EU nach mehr Demokratie und nach effizienter und unabhängiger Justiz hat sich die kroatische Gesellschaft modernisiert. Dass Kroatien der EU beitritt, ist nicht nur für die Kroatinnen und Kroaten gut, sondern auch für die Europäische Union, und zwar aus vier Gründen:

Erstens. Dank seiner Reife kann Kroatien mit seinen Herausforderungen jetzt selbstständig umgehen.

Zweitens. Kroatien übernimmt eine Vorbildfunktion für die anderen Staaten des westlichen Balkans. Das Beispiel Kroatien zeigt: Es lohnt sich, Reformen durchzuführen.

Drittens. Kroatien nimmt eine aktive Vermittlerrolle zwischen der EU und dem westlichen Balkan ein. Dadurch ist Kroatien ein Garant für Frieden und Stabilität in Südosteuropa.

Viertens. Kroatien wird innerhalb der EU ein verlässlicher Partner bei der Lösung der europäischen Herausforderungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich spreche heute aber nicht nur zu diesem feierlichen Anlass. Wir als SPD-Fraktion fordern die sofortige Arbeitnehmerfreizügigkeit für die kroatischen EU-Bürger.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Europa ist eine Wertegemeinschaft. Zu den Werten unserer Gemeinschaft zählen vor allem Frieden, Freiheit und Solidarität. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die Übersetzung des europäischen Freiheitswertes in ein konkretes Recht für jeden Einzelnen. Dieses Freiheitsrecht muss vor allem für die Menschen gelten; es darf nicht nur für den freien Verkehr von Waren und Kapital gelten. Wir dürfen die Menschen nicht in „brauchbar“ und „unbrauchbar“ einteilen, nach dem Motto: Die einen lassen wir rein, die anderen nicht. Jeder europäische Bürger hat das Recht auf diese Freiheiten und sollte gleiche Chancen auf Arbeit haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nun gibt es Kritiker, die Panik verbreiten, dass unser Arbeitsmarkt überschwemmt würde. Doch es gibt keinen Grund zur Panik. Denn die Erfahrungen aus den vergangenen EU-Beitritten zeigen: Diejenigen, die kommen wollen, kommen so oder so nach Deutschland, ob sie regulär arbeiten dürfen oder nicht. Wenn sie nicht als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte arbeiten dürfen, dann zwingen wir sie allerdings in ihrer Not in die Scheinselbstständigkeit und in die Schwarzarbeit. Das ist Ausbeutung. Das kann nicht in unserem Sinne sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit stärken wir hingegen gute Arbeit in Deutschland und in Europa.

Wir machen einen Fehler, wenn wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroatien mit der sogenannten Armutszuwanderung aus Südosteuropa vermischen. Die Armutszuwanderung ist ein europaweites Phänomen, das auch europaweit gelöst werden muss. Vor allem brauchen wir eine Lösung, wie die Kommunen entlastet werden, die so knapp bei Kasse sind, dass schon verhältnismäßig wenige Asylbewerber eine finanzielle Herausforderung darstellen.

Der Bundesrat hat die Bedeutung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bereits erkannt und beschlossen, dass keine Übergangsfristen für Kroatien gelten sollen. Die Bundesregierung will jedoch, dass Deutschland die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Kroatien einschränkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie: Gewähren Sie den kroatischen EU-Bürgern die gleichen Rechte, die für alle Europäer gelten!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg zur Europäischen Union war für Kroatien sehr lang. Kroatien hat dabei viel Unterstützung aus Europa erfahren, insbesondere aus Deutschland. Der Vorsitzende des Europaausschusses im kroatischen Parlament, Daniel Mondekar, hat mich darum gebeten, in seinem Namen dem Bundestag für diese großartige Unterstützung zu danken. Dem Dank schließt sich auch der kroatische Botschafter Dr. Kovač an. Auch für mich als gebürtigen Kroaten geht mit dem EU-Beitritt Kroatiens ein Traum in Erfüllung. Dafür danken wir allen Fraktionen dieses Hauses, die den Beitritt Kroatiens aktiv und konstruktiv begleitet haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kroatien wird der Europäischen Union in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise beitreten. Kroatien ist bereit, einen aktiven Beitrag zu leisten, damit die EU diese Krise bald hinter sich lässt. Dies ist eine ermutigende Nachricht. Erstens zeigt dies, dass Solidarität nicht nur von der EU einem Beitrittskandidaten gewährt wird, sondern diese auch erwidert wird. Zweitens zeigt der Beitritt Kroatiens, dass das europäische Projekt nicht der Vergangenheit angehört, sondern der Zukunft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)