Nach zweijähriger Beratungszeit stellte in dieser Sitzung die Projektgruppe 2 das mehrheitlich beschlossene Indikatorenmodell zur Messung von Wohlstand und Lebensqualität vor. Bedauerlicher Weise konnten sich die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen nicht dem Mehrheitsentwurf anschließen. Die jeweiligen Einzelinteressen standen in diesem Punkt über dem gemeinsamen Ziel eine alternative Wohlstandsberichterstattung zu verankern.
Wohlstand ist mehr als der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts und muss ganzheitlich erfasst werden. Der beschlossene Indikatorensatz ist ein sinnvoller Ansatz, um Wohlstand und Lebensqualität umfassend messen und beurteilen zu können. Auch bisher haben Indikatoren für politische Entscheidungen eine Rolle gespielt. Aber es mangelt an einer Zusammenschau der drei Dimensionen materieller Wohlstand, Soziales und Ökologie.
Der von der Mehrheit der Kommission getragene Entwurf einer Neuvermessung des Wohlstands ist eine sehr gute Verbindung von Übersichtlichkeit und Gesamtdarstellung der Teilbereiche des Wohlstandes. Dem materiellen Wohlstand wurden die Aspekte Soziales und Teilhabe sowie Ökologie an die Seite gestellt, die insgesamt aus zehn Leitindikatoren bestehen. Materieller Wohlstand wird durch BIP, Einkommensverteilung und Staatsschulden gemessen. Der Bereich Soziales und Teilhabe wird durch die Messung von Beschäftigung, Bildung, Gesundheit und Freiheit dargestellt. Die Ökologische Dimension wird anhand der nationalen Entwicklung in den Bereichen Treibhausgasausstoß, Stickstoffüberschuss und Artenvielfalt beschrieben. Diese Leitindikatoren werden mit sogenannten ergänzenden Warnlampen im Hintergrund unterfüttert, welche nur sichtbar werden, wenn sich gravierende Änderungen ergeben.
Der von der SPD-Fraktion berufene Sachverständige Gert Wagner betonte während der Sitzung, dass das Ergebnis der Projektgruppe 2 nachhaltig sein könne. In der Projektgruppe bestand Einigkeit über die wichtigen Dimensionen. Diskussionen gab es über die Zahl der Indikatoren um diese Dimensionen zu beschreiben. Die Mehrheit sei für handfeste Indikatoren, an denen politisches Handeln anknüpfen könne. Wichtiger als die Indikatoren sei die Frage, wie damit umgegangen werde. Daher gebe es eine Empfehlung der Projektgruppe 2, dass die Bundesregierung in einem jährlichen Bericht zum Indikatorensystem Stellung nehmen solle. Zudem sei dies verbunden mit der Empfehlung, das Berichts- und Rätewesen zu überprüfen. Diese neue Gouvernance sei wichtig, unabhängig von der Zahl und Ausgestaltung der Indikatoren. Um ein Hineinwirken der Dimensionen in die Öffentlichkeit zu erreichen, sollten eine Homepage, eine Installation in den Räumlichkeiten des Deutschen Bundestages - verbunden mit einer Wanderausstellung - erwirkt werden.
Die Obfrau der SPD Edelgard Bulmahn warnte davor, die Urteilsfähigkeit von Menschen zu unterschätzen. Der große Teil der Bevölkerung sei sehr wohl in der Lage zehn Informationen zu verarbeiten. Sie mahnte an, dass ein konsensualer und gemeinschaftlichen Vorschlag der Kommission besser gewesen wäre. Zumal die Gesamtschau der verschiedenen Entwicklungen – wirtschaftlich, sozial und ökologisch – wichtiger sei als die Indikatoren im Einzelnen. Edelgard Bulmahn erinnerte daran, dass Indikatoren bei politischen Einschätzungen und Bewertungen immer eine Rolle gespielt hätten. Jedoch mangelte es in der Vergangenheit an einer Gesamtschau der Entwicklungen. Diese Gesamtschau vorgelegt zu haben und dadurch zusammenhängende Diskussionen zu erleichtern, sei mit der größte Gewinn der Enquete-Kommission. Dies böte die Chance auf eine bessere Qualität zu einer neuen Art von Rechenschaftslegung, die der Demokratie gut zu Gesicht stünde. Alle Fraktionen sollten noch einmal erwägen, ob ein gemeinsamer Vorschlag an den Deutschen Bundestag in diesem Sinne möglich sei. Doch hierzu kam es leider nicht.
Die Fraktion Die Linke hielt an ihrem "Trio der Lebensqualität" (Bruttogehalt; Reich-Arm-Verteilung; Ökologischer Fußabdruck) und die Fraktion Bündnis90/Die Grünen an ihrem "Wohlstanskompass" (Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität; 80/20-Relation; Subjektive Befragung; BIP pro Kopf in Kaufkraftstandard) fest. Dabei ist klar, dass ein Quartett oder Trio extrem willkürlich bestimmte Indikatoren herausgreifen. Zudem kann mit der Verwendung nur eines Indikators pro Dimension (Wohlstand; Soziales; Umwelt) unmöglich der Gesamtzustand einer Dimension wiedergegeben werden. Auch fehlen beiden Varianten ganz entscheidende Themen: Arbeit und Bildung. Diese beiden Aspekte können bei einer sinnvollen Messung von Lebensqualität und Wohlstand nicht außer acht gelassen werden. Zudem ist der „ökologische Fußabdruck“ auf den ersten Blick zwar leicht verständlich, beruht aber auf vielen gesetzten Annahmen und gibt vor allem keinerlei direkten Hinweis, an welcher Stelle Politik ansetzen sollte.
Die Mehrheit der Enquete-Kommission empfiehlt im Bericht dem Deutschen Bundestag eine breite Palette an Handlungsempfehlungen. Die wichtigsten sind:
- Die zehn Leitindikatoren sollen in geeigneter Form gesetzlich verankert werden.
- Die Indikatoren sollen regelmäßig berechnet werden.
- Die Bundesregierung soll künftig regelmäßig zu den Indikatoren ressortübergreifend Stellung nehmen.
- Das unübersichtliche Berichts- und Sachverständigenwesen der Bundesregierung soll durchforstet und auf Effektivität hin überprüft werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert darüber hinaus:
- Die Einberufung eines neuen Sachverständigenrates für soziale Entwicklung.
- Dieser neue Rat sowie die Sachverständigenräte für Umwelt und Wirtschaft sollen bei der Erstellung eines jährlichen Wohlstandsberichts beteiligt werden, welcher von der Bundesregierung kommentiert dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden soll.
- Das Statistische Bundesamt soll mit der inhaltlichen Betreuung, Weiterentwicklung und kontinuierlichen Veröffentlichung der für den Jahreswohlstandsbericht notwendigen Indikatoren beauftragt werden.
- Die notwendigen statistischen Grundlagen sollen zukünftig in guter Qualität und zeitnah vorliegen. Der identifizierte Weiterentwicklungsbedarf für Forschung und Statistik soll in die Forschungsprogramme der einzelnen Ressorts und das statistische Programm aufgenommen werden.
- Im Rahmen der Überprüfung des Berichts- und Sachverständigenwesens soll die Nationale Nachhaltigkeitsstrategie, der Armuts- und Reichtumsbericht und der Nationale Bildungsbericht mit ihren Indikatoren bekräftigt und diese für die politische Steuerung der Prozesse und Entscheidungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit verstärkt im politischen Alltag angewendet und kommuniziert werden.
Dokumente
Abschlussbericht der Projektgruppe 2:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Kommissionsdrucksachen/87_Abschlussbericht_PG_2.pdf
Tagesordnung:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/tagesordnungen/archiv/27-_28_01_2013.pdf