Einen zweitausend Seiten starken Bericht hat die Internetenquete aus ihren Sitzungen der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet. Darin finden sich zahlreiche Handlungsempfehlungen für die politischen Querschnittsbereiche, die der digitale Wandel betrifft. In der nächsten Legislatur wartet viel Arbeit auf die Netzpolitiker. Denn Netzpolitik betrifft nicht nur das Internet, sie streift wichtige Aufgaben im Arbeitsmarkt, in der Verbraucherpolitik, in der Wirtschaft und im Alltag der Bürgerinnen und Bürger. Über das, was sozialdemokratische Netzpolitik nach Abschluss der Enquete bewegen, diskutierten am Donnerstagnachmittag etwa 50 Expertinnen und Experten bei einem Workshop der Friedrich-Ebert-Stiftung und der SPD-Bundestagsfraktion.

Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der Fraktion, zieht eine
positive Bilanz für seinen Arbeitsbereich. Das Thema habe sich etabliert, so der Abgeordnete, nun müssten ab September dringend netzpolitische Konzepte umgesetzt werden, zum Beispiel eine Reform des Urheberrechtes, die Schwarz-Gelb vier Jahre lang unangetastet gelassen hat. Alvar Freude, als Experte in der Enquete,
sagt, dass eine Weiterentwicklung des Urheberrechtes eine schwierige Diskussion werde, denn hier müssen zahlreiche Interessen zum Ausgleich gebracht werden. Freude hofft auf eine bürger- und netzfreundliche Lösung, denn insbesondere das Vorgehen bei Abmahnungen im Bereich illegaler Downloads wird der digitalen Realität nicht gerecht. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich dafür ein, gegen die massenhaften
und überzogenen Abmahnungen vorzugehen und Familien zu schützen.

Trotz der zahlreichen Aufgaben spricht sich Lars Klingbeil gegen ein eigenes Internetministerium aus, das von verschiedenen Seiten in den vergangenen Monaten immer wieder thematisiert worden ist. Eine koordinierende Stelle, wie etwa ein Staatsminister im Kanzleramt, erachtet er jedoch für sinnvoll. In der späteren Podiumsdiskussion sind die Teilnehmenden sich weitgehend einig über die
Interdisziplinarität der Netzpolitik und der Idee, dass sie in vielen
Politikfeldern Einzug halten muss, um wirksam zu werden.

Beteiligung und Transparenz stärken

Professor Wolfgang Schulz, der am Hans-Bredow-Institut lehrt und als Experte in der Enquete mitarbeitete, informierte im Workshop über die Ergebnisse zum Thema Bürgerbeteiligung. In der Internetenquete sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass trotz mehr Möglichkeiten für Menschen sich an Politik zu beteiligen, die Basis für Partizipation kaum gewachsen sei. Themenbezogen sei die Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürger jedoch gewachsen, sich einzubringen. Es sei mit den technischen Möglichkeiten von heute keine Frage des Geldes mehr, Prozesse transparent zu gestalten und das Mitmachen zu ermöglichen. In dieser „Bürger-Staat-Frage“ würden vor allem politische Unterschiede deutlich: Wann lasse ich Beteiligung zu? Wie viel Beteiligung wird zugelassen. Als „Digitale Selbstständigkeit“ habe die Enquete das Ziel definiert, dass möglichst alle Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt werden, von den Möglichkeiten zur digitalen Partizipation Gebrauch zu machen. Dafür müsse man Zugang zum Netz schaffen und Medienkompetenz vermitteln. Schulz kritisierte, dass Politik oft davon ausgehe, dass politische Diskussionen in ihrem direkten Umfeld stattfinde. Das stimme jedoch nicht. Für Beteiligung müssten sich die Angebote an die Orte bewegen – im Netz und außerhalb – an denen Bürgerinnen und Bürger Themen debattierten. Der Jurist forderte außerdem dazu auf, hohe Standards für Transparenz in staatlich kontrollierten Bereichen umzusetzen, „auch da, wo es weh tut“. Der Gewinn an Vertrauen und Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern über Partizipation und Transparent sei deutlich erkennbar.

Humane digitale Arbeit braucht politische Gestaltung

Michael Schwemmle, der Unternehmen beim Thema Innovationstransfer
berät, hielt auf dem Workshop einen kurzen Vortrag zu den Herausforderungen in der Arbeitswelt. Da „digitale Arbeit“ von ihrem Zuschnitt deutlich anders sei als industrielle Arbeit, würden bestehende Gesetze hier nicht mehr greifen. Arbeit in diesen neuen Bereichen sei fluider und flexibler, aber auch entgrenzter und böte daher Risiken für Gesundheit und hinsichtlich von Ausbeutung. Als „Crowd Working“ beschrieb er die Entwicklung, dass Unternehmen heute Zugriff auf einen weltweiten Pool von Freelancern hätten, die als Solo-Selbstständige arbeiten und damit eine schwache soziale Sicherung hätten aber auch nicht direkt zu dieser beitrügen. Wenn ein „massenhaftes digitales Tagelöhnertum“ entstünde,  könne man nicht von einem humanen Fortschritt in der Arbeitswelt sprechen, so Schwemmle. Gerade das sei aber mit der digitalen Arbeit möglich. „Von alleine wird die digitale humane Arbeitswelt nicht entstehen“, so der Sozialwissenschaftler. Die SPD habe diese Herausforderung aber bereits erkannt und unter anderem in ihrem Regierungsprogramm formuliert. Am Beispiel der  Arbeitnehmerrechte werde die starke Überlagerung von Netzpolitik mit Arbeits- und Wirtschaftspolitik deutlich.

Netzpolitik mit Alltagsthemen verbinden

Die Verbraucherschützerin Cornelia Tausch griff diese Erkenntnis in der abschließenden Diskussion auf. Ihr Wunsch für die Netzpolitik ist, dass die Expertinnen und Experten beginnen, sich in anderen Politikbereichen zu engagieren. Dass dies sinnvoll ist, betonte auch Wolfgang Schulz bei seinem Lob der interdisziplinären Diskussionskultur, die die Enquetekommission entscheiden vorangebracht hätte. Doris Aschenbrenner, netzpolitischer Sprecherin der BayernSPD, rief dazu auf, sich aus der „netzpolitischen Filterbubble“ zu bewegen um die 95 Prozent der Bürgerinnen und Bürger anzusprechen, die sich mit den Implikationen des digitalen Wandels für ihren Alltag noch nicht beschäftigen. Die Designprofessorin Gesche Joost, die im Kompetenzteam von Peer Steinbrück für den Bereich „Vernetzte Gesellschaft“ zuständig ist, will künftig eigene Themen setzen: „Die Netzpolitik ist reagierend unterwegs, sie sollte mehr proaktiv agieren.“
Cornelia Tausch wies darauf hin, dass wie der Gesetzentwurf zum Informationsfreiheitsgesetz, den die SPD gerade in den Bundestag eingebracht hat, es auf Konsumentenseite das Verbraucherinformationsgesetz gebe, mit dem man Bürger „mitten im Alltag packen“ könne. Sie forderte die Netzpolitiker dazu auf, vermehrt nach diesen Alltagsbezügen zu suchen. Das Gesetzt ermöglicht von Behörden Auskünfte zu
Produkten zu erlangen, zum Beispiel bei Themen wie „Gammelfleisch“. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte zuletzt beim Skandal um Pferdefleisch gefordert, das Verbraucherinformationsgesetz auszuweiten.

Bringen Sie Ihre Ideen ein!

Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt den Workshop zum Auftakt, Bürgerinnen und Bürger an der Weiterentwicklung ihrer Netzpolitik zu beteiligen. Über die Online-Plattform der Fraktion können in den kommenden vier Wochen Ideen und Anregungen für sozialdemokratische Netzpolitik eingebracht und diskutiert werden. Auch Fragen werden dort beantwortet. Es ist dabei den Nutzerinnen und Nutzern selbst überlassen, welche Schwerpunkte sie setzen. Die Netzpolitik bietet zahlreiche Themenfelder, die bearbeitet werden können. Sei es zum Thema Arbeit, Bildung, Wissenschaft oder medienpolitische Themen wie das Urheberrecht. Wir freuen uns auf Ihre Beiträge, die in die netzpolitische Arbeit der Fraktion einfließen werden – und konkret etwas verändern.

Teresa Bücker