Alle Fraktionen erwarten eine konsequente und zügige Aufklärung der Morde und der möglichen Verstrickung einzelner Sicherheitsbehörden in das rechtsextremistische Milieu.
In klarer Offenheit steht in dem Antrag, dass die „nun bekannt gewordenen Zusammenhänge dieser unmenschlichen Verbrechen auf traurige Weise belegen, dass die Strukturen der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebene dringend überprüft werden müssen.“
Die Bundestagsfraktionen erklären schließlich darin: „Wir stehen ein für ein Deutschland, in dem alle ohne Angst verschieden sein können und sich sicher fühlen – ein Land, in dem Freiheit und Respekt, Vielfalt und Weltoffenheit lebendig sind.“
Zu Beginn der Debatte entschuldigte sich Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) im Namen des Hauses bei den Angehörigen der Opfer. Der Bundestag wisse um seine Verantwortung und sei bestrebt, alle Hintergründe aufzuklären. Der Schutz von Leib und Leben habe in diesem Land für jeden Geltung, unabhängig von Herkunft, Glauben oder Orientierung.
300 Polizisten ermitteln
In der anschließenden Diskussion im Bundestag erklärte der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), dass rund 300 Polizisten in den inkriminierten Fällen ermitteln und eine so genannte Verbunddatei, auf die alle Sicherheitsbehörden zugreifen können, erstellt werde. Außerdem entstehe ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum gegen Rechtsextremismus, an dem Bund und Länder beteiligt seien.
Nach Friedrich redete SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Er lobte zunächst die Worte Lammerts als angemessen und würdevoll. Dann schilderte Steinmeier ganz persönliche Empfindungen. „Ich bin fassungslos darüber, dass junge Deutsche mit solch einem bestialischen Eifer andere, friedliche Menschen umbringen.“ Der alte Geist von Fremdenhass in Deutschland atme offenbar noch. Es falle ihm schwer zu glauben, dass es möglich gewesen sein soll, dass diese Bande mehr als zehn Jahre „unbehelligt“ morden konnte. „Das kann man kaum ertragen“, sagte Steinmeier.
Er empfinde Scham und Trauer – und große Wut. Wut auch deshalb, weil noch immer Formulierungen wie „Döner-Morde“ benutzt würden – von Medien und Menschen. Solch ein zynischer Begriff impliziere schon die Haltung, hier handele es sich um Fremde, um ein Milieu quasi vor den Toren der Stadt, mit dem man nichts zu tun habe. „Das waren Menschen, die zu uns gehörten“, rief er empört in den Saal. Die Vermeidung solcher latent feindlicher, herabwürdigender Begrifflichkeiten müsse am Anfang aller Aufklärung stehen.
Anstand der Zuständigen
Steinmeier stellte in den Raum, dass, wenn rechtsextremer Terror wie hier systematisch geschehe, das ein Angriff „auf das demokratische Gemeinwesen“ sei, ja „auf uns alle“. So oft werde er, genau wie andere Politiker, eingeladen Reden zu halten bei Gedenkfeiern, zur Einweihung von Gedenkstätten, dort werde viel über rechte Gewalt und Neonazitum gesprochen, doch die Dimension dieses zehn Jahre dauernden Mordens schockiere ihn. „Dass die so lange dazu fähig waren, ist auf beschämende Weise ein Versagen des Staates“. Das müsse Konsequenzen haben. Und dazu brauche man nicht nur den altbekannten Aufstand der Anständigen. „Nein, wir brauchen auch den Anstand der Zuständigen!“, forderte Steinmeier. Aufklärung müsse geschehen, wie es sein könne, dass der ungeheuerliche Verdacht im Raum stehe, dass einzelne Verfassungsschutzämter in das Milieu der Nazi-Mörder involviert waren. Offenbar war es sogar so, dass V-Leute das Trio und deren Unterstützer warnten. Warum, fragte Steinmeier, seien V-Leute dabei gewesen, als Aktionen abgebrochen wurden?
Frank-Walter Steinmeier spricht am 22. November im Plenum über die Nazi-Morde
Es sei anscheinend die Grundphilosophie einiger Sicherheitsbehörden gewesen, dass es in Deutschland keine organisierte rechte Gewalt gebe. Es habe immer nur geheißen, das seien Einzeltäter oder Waffennarren. Steinmeier: „Es konnte also nicht sein, was nicht sein darf“. Doch bei annähernd 140 Todesopfern rechtsextremistischer Gewalt könne davon keine Rede sein. Horden von V-Leuten hätten keine Hinweise auf die Anschläge gegeben, wofür brauche man sie dann noch, fragte er.
Die „braune Brut“ habe überall dort Chancen, „wo sich der Staat zurückzieht“, in Kommunen etwa. Sie könne dort auftrumpfen, wo man sie gewähren lasse. Auch deshalb müsse man die NPD, die tief in die Gemeindearbeit mancher Kommunen verstrickt ist, verbieten. Denn das seien Nazis mit Bügelfalten. „Aber sie gehören alle zusammen, Springerstiefel und Bügelfalten-Nazis“, sagte Steinmeier.
Gängelung statt Unterstützung
Empört warf er Familienministerin Kristina Schröder (CDU) vor, dass ihr Haus es genau denjenigen Vereinigungen schwer mache, die gegen Rechtsextremismus kämpfen; sie würden ausgebremst und gegegängelt – Stichwort Extremismusklausel. Dagegen stelle Schröder die Linksorientierten unter Generalverdacht. „Die Jugendlichen, die mutig gegen Rechtsextreme aufbegehren, die müssten Sie schützen, statt zu verdächtigen“, sagte Steinmeier.
„Es gibt in Deutschland keine linksextremen Schlägertrupps, die ganze Regionen terrorisieren und in die Parlamente einziehen“, konstatierte Steinmeier. Und darum könne auch die von Ministerin Schröder betriebene „Äqui-Distanz“ verharmlosend gegenüber rechter Gewalt sein. Wer in Deutschland die wichtigen zivilgesellschaftlichen Gruppen weiter wolle, der müsse die Kürzungen in der politischen und sozio-kulturellen Bildung zurücknehmen, forderte er. Steinmeier: „Sorgen Sie dafür, dass in diesem Land Fremdenhass und brauner Sumpf, Nazis in Springerstiefeln oder mit Bügelfalte nie wieder eine Chance haben!“
Härtere Gangart der Polizei
Thomas Oppermann, Fraktionsgeschäftsführer der SPD, verlangte eine härtere Gangart gegen Rechtsextremisten. Denn die Behörden hätten es den Mördern einfach gemacht. Es sei Aufgabe des Staates, die Menschen zu schützen. In Richtung von Innenminister Friedrich sagte Oppermann, es bedürfe eines Konzeptes mit erhöhtem Fahndungsdruck und in virulenten Regionen deutlich mehr Polizeipräsenz.
Auch er forderte ein Verbot der NPD: „Diese Partei ist antisemitisch und gewaltbereit. Dazu braucht man keine V-Leute, um das zu erkennen!“
Für ihn ist aber auch klar: „Der stärkste Verfassungsschutz kann nur eine aktive Zivilgesellschaft sein, die gefördert wird.“
Der gemeinsame Entschließungsantrag wurde nach der Debatte einstimmig angenommen.
Die Fraktionen im Deutschen Bundestag trauern um Enver Şimşek und Abdurrahim Özüdoğru aus Nürnberg, Süleyman Taşköprü aus Hamburg, Habil Kılıç aus München, Yunus Turgut aus Rostock, Ismail Yaşar aus Nürnberg, Theodoros Boulgarides aus München, Mehmet Kubaşık aus Dortmund, Halit Yozgat aus Kassel und Michèle Kiesewetter aus Heilbronn.
Alle Abgeordneten fühlen mit den Angehörigen der Opfer, die geliebte Menschen verloren haben.