Zu der Veranstaltung am 1. Juni 2017 kamen auf Einladung der SPD-Bundestagsabgeordneten Hiltrud Lotze viele Expertinnen und Experten in das Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages. Lotze ist Berichterstatterin der Fraktionsarbeitsgruppe Kultur und Medien für den Bereich Erinnerungspolitik.
„Die Erinnerung an den Holocaust gehört heute zur Staatsräson. An den Orten der Verbrechen der Nationalsozialisten sind, oft aufgrund von bürgerschaftlichen Engagement, institutionalisierte Gedenkstätten entstanden und in den Lehrplänen der Schulen hat die Behandlung von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Holocaust einen festen Platz. Auch die Erinnerung an die SED-Diktatur nimmt in Deutschland einen wichtigen Stellenwert ein. In Zeiten von Populismus und Postfaktischem stellt sich jedoch die Frage, wie erfolgreich wir mit dieser Art der Erinnerungspolitik sind. Und welchen Zugang haben heutige Jugendliche zu einer Zeit, in der ihre Urgroßeltern noch Kinder waren oder nicht in Deutschland gelebt haben,“ sagt sie.
Geschichtsbewusstsein ohne vorgegebene Denkpfade
„Um Jugendliche und Erwachsene an solche Themen heranzuführen, könne in den Diskurs auch der öffentliche Raum einbezogen werden“, betonte auch der Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Stefan Hördler. Ein konkretes Beispiel könnte sein, auch die ehemaligen Außenkommandos der Konzentrationslager in das breite Bewusstsein zu rücken, um die räumliche Dimension der Lagernetze und damit das Massenphänomen der Zwangsarbeit inmitten der deutschen Gesellschaft sichtbar zu machen. Wichtig sei ihm, eine Ritualisierung des Gedenkens zu vermeiden und stattdessen zeitgemäße Formen der Erinnerungskultur und gegenwartsbezogene Fragestellungen zu entwickeln.
„Gerade für Jugendliche ist es entscheidend, sich der Geschichte des eigenen Landes offen und ohne vorgegebene Denkpfade nähern zu können. Demokratie bedeutet auch, sich demokratisch mit Geschichte und Erinnerung auseinandersetzen zu dürfen“, sagte Thomas Krüger, Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung. Dem stimmte auch Elke Gryglewski, stellvertretende Leiterin des Haus der Wannseekonferenz zu. „Die Schüler sollen selbst entscheiden können, was für sie zum Beispiel an der Geschichte des Nationalsozialismus relevant ist“, sagte sie. Deswegen plädiere sie für eine zielgruppengerechte Ansprache. Ein für alle Gruppen gültiges Konzept gebe es nicht.
Ein weiterer diskutierter Aspekt: Jugendliche und andere Besucher werden nicht automatisch zu Demokraten, wenn sie eine Gedenkstätte besucht haben. Aber sie erlernen hier im Idealfall, wie man sich kritisch mit historischen und politischen Themen auseinandersetzt.
Erinnerungsarbeit für die gesamte Bevölkerung
Von der Politik wünschten sich die Expertinnen und Experten vor allem eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung von Einrichtungen und Wissenschaft. Auch sei es wichtig, in die Erinnerungsarbeit die gesamte Bevölkerung mit einzubeziehen und neben Angeboten für Schulklassen und Jugendliche auch Formate für Erwachsene zu entwickeln.
Diese Ziele verfolgen auch die SPD-Kulturpolitikerinnen und –politiker. „Leider hat die Union erst kürzlich einen gemeinsamen Antrag zur Erinnerungspolitik platzen lassen. Darin hatten wir unter anderem Verbesserungen im pädagogischen Bereich vorgesehen“, so Hiltrud Lotze. Der Entwurf des Antragstextes mit dem Namen „Demokratie und Erinnerung stärken – Gedenkstättenkonzeption weiterentwickeln – Denkmal zur Erinnerung und Mahnung an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland umsetzen“ ist hier zu finden.
Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Erinnerung und Zukunft“. Im Rahmen der insgesamt fünf Veranstaltungen diskutierten die SPD-Kulturpolitikerinnen und -politiker des Bundestages mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Gedenkstätten, Museen und Kulturorganisationen über aktuelle kulturpolitische Themen, zum Beispiel zur Weiterentwicklung der Gedenkstättenkonzeption, zur Stasi-Unterlagen-Behörde und zum gemeinsamen europäischen Gedenken.