Wie weiter mit der Rente mit 67? Im Herbst muss die Regierung erstmals einen Bericht zur Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorlegen.

Nur wenn die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer sich tatsächlich verbessert hat, kann ab 2012 mit der stufenweisen Anhebung des Renteneintrittsalters begonnen werden. Das war für uns beim Beschluss der Rente mit 67 ein immens wichtiges Kriterium. Diese Prüfung nehmen wir sehr ernst. So wie es derzeit aussieht, gehe ich nicht davon aus, dass sich die Situation in den nächsten Wochen dramatisch verbessern wird. Das bedeutet: Wir werden eine Gesetzesänderung in den Bundestag einbringen, um die Anhebung des Renteneintrittsalters auszusetzen.

 

Zeichnet sich nicht schon jetzt ab, dass die Bundesregierung dabei mit geschönten Zahlen arbeitet?

Ja, natürlich, die Bundesregierung nimmt bei der Erwerbsquote alles mit rein – auch Ein-Euro-Jobs oder Mini-Jobs, beides keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Es werden sogar Minijobs von Rentnerinnen und Rentner berücksichtigt, die von ihrer Rente allein nicht leben können. Uns geht es vor allem darum, dass Beschäftigte die Regelaltersgrenze tatsächlich auch aus Arbeit heraus erreichen können. Und das ist leider heute oft nicht der Fall.

 

Um die Rente zukunfts- und armutsfest zu machen, ist da nicht mehr notwendig als ein neues starres Renteneintrittsalter?

Auf alle Fälle. Unser Rentenkonzept ist deshalb auch wesentlich umfassender: Wir schlagen eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, die in den letzten vier Jahren von zwei Kommissionen unter meiner Leitung erarbeitet wurden. Dazu gehören zum Beispiel flexible Übergänge in die Rente oder auch die Kompensation von möglichen Abschlägen durch Zusatzbeiträge, die nicht nur von den Beschäftigten, sondern auch von den Arbeitgebern getragen werden. So könnten beispielsweise über Tarifverträge in Branchen, in denen viele schon das Renteneintrittsalter von heute nicht erreichen, Regelungen geschaffen werden, die es den Beschäftigten ermöglichen, ohne Abschläge früher in Rente zu gehen. Wir wollen auch eine Aufwertung der Teilrente, die bislang kaum in Anspruch genommen wird. Vor allem wollen wir einen Rechtsanspruch auf einen sozial versicherten Job für alle über 60-Jährigen. Viele Ältere können zwar ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben, aber ihre Erfahrungen in anderen Bereichen einbringen. Jobs für sie gibt es bisher viel zu wenig.

 

Viele schaffen es nicht bis 65. Wie wichtig ist vor diesem Hintergrund alternsgerechtes Arbeiten?

Arbeitsbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, länger in Arbeit zu bleiben, sind Bestandteil unseres Konzeptes. Wir brauchen eine neue Offensive zur Humanisierung der Arbeitswelt. Da sind sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeber gefordert. Wir können es uns – auch aufgrund des absehbaren Fachkräftemangels – künftig nicht mehr erlauben, dass Menschen durch Arbeit verschlissen und dann aussortiert werden. In ein paar Jahren sind wir auf alle angewiesen sein. Arbeit darf nicht krank machen, die Belastungen durch Arbeit müssen so gering wie möglich sein, und für diejenigen, die bereits eine Beeinträchtigung haben, muss es Arbeitsplätze geben, die so gestaltet sind, dass sie teilhaben können.

 

Lässt es die aktuelle Gesundheitspolitik der Bundesregierung überhaupt zu, dass Beschäftigte gesund in Rente gehen können?

Nein, allein die Gesetzentwürfe machen schon krank. Diese Koalition ist sich für nichts zu schade. Die Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden die Melkkühe der Nation, während die Klientel von FDP und CDU/CSU bedient wird – erst die Pharmaindustrie, danach die Private Krankenversicherung (PKV). So wird der Wechsel in die PKV für junge, gesunde Beschäftigte erleichtert, und Zusatzversicherungen sollen künftig nur noch die Privaten anbieten können. Die Gesetzlichen sollen ihnen die Versicherten zuführen, und die PKV sahnt dann die Kohle ab. Letzter Knüller: Gesundheitsminister Rösler will, dass gesetzlich Versicherte künftig beim Arzt wie privat Versicherte in Vorkasse zahlen. Das ist die Lizenz zum Gelddrucken für die Ärzte. Ich rate jedem davon ab, sich darauf einzulassen.

 

Weshalb ist Vorkasse so verwerflich?

Führt der Arzt unnötige Behandlungen durch oder berechnet er mehr als den üblichen Satz, bleibt der Patient auf den Kosten sitzen. Auszuschließen ist auch nicht, dass dann diejenigen eher einen Arzttermin bekommen, die in Vorkasse gehen – genau wie Privatpatienten. Menschen mit kleinen Einkommen, die sich keine Vorkasse leisten können, haben das Nachsehen. So entsteht in Deutschland eine Drei-Klassen-Medizin. Es ist unglaublich, was die Koalition sich in der Gesundheitspolitik leistet. Dazu noch die Kopfpauschale, die Beitragserhöhung – die Versicherten werden geschröpft, die Klientel wird bedient. Das ist keine nachhaltige Gesundheitspolitik, das ist keine solide Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern das ist Murks hoch drei. Man kann sich nur wünschen, dass dieser schwarz-gelbe Spuk in der Gesundheitspolitik bald ein Ende hat.

 

Was ist eure Alternative?

Wir brauchen über alle Zweige der Sozialversicherungen eine Bürgersozialversicherung. Die Koppelung der Versicherungspflicht an das Kriterium abhängige Beschäftigung ist heute nicht mehr zeitgemäß. Die Erwerbsverläufe sind vielfältiger geworden, der Wechsel zwischen abhängiger, freiberuflicher und selbstständiger Arbeit nimmt zu. Wir brauchen soziale Sicherungssysteme, die unabhängig vom Erwerbsstatus sind. Wir brauchen eine Finanzierung, die alle Einkommen mit einbezieht – nicht nur Löhne, Gehälter und Renten. 90 Prozent der Menschen lehnen die Kopfpauschale ab. Viele halten die gesetzliche Rentenversicherung für die beste Altersvorsorge. Statt wie Schwarz-Gelb die Sozialversicherungssysteme schlecht zu reden, geht es darum, dort das Solidarsystem zu stärken und die Solidarität verbreitern.