Herr Oppermann, laut jüngsten Medienberichten haben die Geheimdienste der USA und Großbritanniens offenbar von ihren Botschaften aus das Berliner Regierungsviertel abgehört. Wie überrascht waren Sie von den Berichten?

Überrascht war ich nicht sonderlich. Meine Befürchtungen aus dem Sommer haben sich bestätigt. Es war naiv von der noch amtierenden Bundesregierung, den Auskünften der amerikanischen Geheimdiensten uneingeschränkt Glauben zu schenken.

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages, dessen Vorsitzender Sie sind, hat sich seit dem Sommer ausführlich mit den Spähvorwürfen gegen die USA beschäftigt. Welches Fazit ziehen Sie aus der bisherigen Arbeit des Gremiums?

Es war richtig, im Sommer nicht locker zu lassen. Inzwischen nähert sich die Bundesregierung meiner Kritik aus dem Sommer an, so dass wir sehr nachdenkliche und sachorientierte Diskussionen im Parlamentarischen Kontrollgremium führen können. Wir arbeiten weiter an der Aufklärung. Und jetzt scheint sich auch die Bundesregierung daran zu beteiligen. Und in den USA hat auch ein Umdenken eingesetzt. Ich würde sagen: Die Diskussion hat sich gelohnt.

Mit den USA wird derzeit über ein Anti-Spionageabkommen verhandelt. Wie muss dieses Abkommen aussehen, damit es die deutschen Bürger und Politiker wirksam vor Spionage schützt?

Wir brauchen konkrete Vereinbarungen nicht zwischen den Geheimdiensten, sondern zwischen den Regierungen. Wichtig finde ich: Es geht nicht nur darum, die Ausspähung der Regierung zu beenden. Genauso wichtig ist es, Privatpersonen zu schützen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Privatsphäre vor massenhafter Ausspähung von Geheimdiensten befreundeter Dienste geschützt ist.

Viele deutsche Unternehmen befürchten, dass sie Opfer von Wirtschaftsspionage geworden sein könnten. Wie hoch schätzen Sie diese Gefahr ein? Und was muss die Politik tun, um die Unternehmen zu schützen?

Auch unsere Unternehmen müssen vor Wirtschaftsspionage geschützt sein. Das muss Teil des Anti-Spionageabkommens werden. Das Problem der Wirtschaftsspionage ist schon groß genug im Zusammenhang mit Staaten, mit denen wir nicht eng befreundet sind. Die Politik kann auch helfen, indem sie die Entwicklung von Verschlüsselungen und sicheren Produkten unterstützt und vertrauenswürdiger Kommunikationsinfrastrukturen fördert.

Wird die Spähaffäre das Verhältnis der deutschen Politik zu den USA dauerhaft schädigen?

Ich glaube, wir sind alle ernüchtert. Trotzdem gilt: Wir verdanken Amerika viel, es ist unser wichtigster Bündnispartner. Jetzt gilt es, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Und bei den Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen müssen wir auf ein hohes Datenschutzniveau achten.

Sie haben gefordert, den ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden als Zeugen zu befragen. Welche neuen Erkenntnisse erhoffen Sie sich davon?

Edward Snowdens Enthüllungen haben ein Ausmaß der Überwachung durch US-Dienste aufgedeckt, wie wir es nicht kannten. Seine Kenntnisse können wertvolle Hinweise liefern, die zur Aufklärung der gesamten Affäre und zur Verhinderung weiterer Ausspähungen dienen. Ob und wie wir zu einer Aussage von Edward Snowden kommen, muss die Bundesregierung klären. Das Parlamentarischen Kontrollgremium hat sie dazu beauftragt.

Sollte er nach Deutschland kommen?

Dass muss sorgfältig abgewogen und verantwortungsvoll entschieden werden. Es geht nicht nur um Edward Snowden. Wir müssen drei schwierige Probleme gleichzeitig lösen. Erstens müssen wir die US-Ausspähungen aufklären und die schrankenlose Überwachung durch USGeheimdienste in Europa beenden. Zweitens: Wir müssen eine humanitäre Lösung für Edward Snowden finden. Und drittens: Wir müssen die Partnerschaft mit den USA wieder zurückführen auf die wertegebundene Basis, auf der wir zusammengefunden haben, nämlich Demokratie, Freiheit und die Herrschaft des Rechts. Diese Ideale verraten die USA mit der schrankenlosen Überwachung in dieser Zeit. Am Ende ist Edward Snowden mit einer verhandelte Lösung eher gedient als mit einseitigen Entscheidungen oder mit emotionalen und moralischen Höhenflügen.

Wenn es stimmt, dass auch britische Geheimdienste deutsche Bürger und Politiker ausgespäht haben: Sollte die Bundesregierung dann auch mit Großbritannien ein Anti-Spionageabkommen verhandeln?

Was für das Verhältnis mit den Amerikanern gilt, sollte unter den Partnern der Europäischen Union mindestens auch gelten. Insgesamt müssen wir die Spionageabwehr in Deutschland umstellen. Wir müssen künftig auch ins Kalkül ziehen, dass wir von den eigenen Freunden ausspioniert werden, so traurig das ist. Aber Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

An diesem Montagnachmittag ist die NSA-Affäre auch Thema einer Debatte im Deutschen Bundestag.