Herr Oppermann, Sie treten im jetzigen Wahlkreis 54 in Göttingen an. Da steht auch Jürgen Trittin auf der Liste ...
Oppermann: Ja. Wir waren schon zusammen im Landtag und im Studentenparlament ...
Trittin hat aber keine Sonne gegen Sie als Direktkandidat, oder?
Nein. Er strebt das Direktmandat aber auch gar nicht an.
Sie schon?
Ja. Ich habe 2005 und 2009 den Wahlkreis direkt gewonnen. Und Trittin hatte zwar ein zweistelliges Ergebnis ...
So um die 13 Irgendwas... Zu Ihrem Beritt gehört auch das westliche Eichsfeld. Eine sehr katholische Gegend ...
Das Untereichsfeld. Auch da habe ich viel Unterstützung, denn ich habe mich immer um die Region Duderstadt gekümmert.
Sie und Trittin: Bedeutet das, zwei Männer, zwei Parteien, aber eine politische Grundhaltung?
Nein, denn wir haben eine ganz unterschiedliche politische Herkunft. Jürgen Trittin kommt aus dem kommunistischen Lager und hat sich zu einem sehr beachtlichen, demokratischen Abgeordneten und Staatsmann entwickelt, der erfolgreich auch in der rot-grünen Regierung Politik gemacht hat. Ich habe eine andere politische Sozialisation: Ich habe den Kriegsdienst verweigert, Zivildienst in den USA geleistet und dort gelernt, dass soziale Gerechtigkeit nicht von alleine kommt. Ich habe mich in Auseinandersetzungen zu den Autonomen und den Hausbesetzern in Göttingen entwickelt. Ich habe immer zu den Gewaltfreien gehört – und bin damit automatisch in der SPD gelandet. Jürgen Trittin und ich kommen heute sehr gut miteinander klar.
Trittin will Finanzminister werden. Sie Innenminister?
Ja, ich bin für den Bereich Innen und Recht im Team von Peer Steinbrück – und strebe natürlich auch ein entsprechendes Ministeramt an.
Thema Nationalsozialistischer Untergrund, der aus Jena stammt: Noch vor der Wahl soll es im Bundestag den Bericht zur NSU-Untersuchungskommission geben. Ist damit die Aufklärung beendet?
Der Bericht wird eine sehr weitgehende Aufklärung enthalten, wenn auch noch nicht alle Fragen beantwortet sind. Zum Beispiel wissen wir nichts über das Innenleben dieser Gruppe: Wie hat sie funktioniert? Wir wissen auch noch nicht alles über die Strukturen der Helfer und Helfershelfer. Insofern muss weiter geforscht und aufgeklärt werden. Aber schon jetzt hat sich gezeigt, welche eklatanten Schwächen und Versäumnisse wir bei den Sicherheitsbehörden haben. Die Aufklärung hat ganz klar deutlich gemacht, dass unsere Sicherheitsbehörden teilweise auf dem rechten Auge blind waren – und zwar auf allen Ebenen: ob in Thüringen, Sachsen, oder auch in Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Und nicht zuletzt im Bund, also bei Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt.
Wie erklären sich diese blinden Flecke?
Ich glaube, es hatte sich eine systematische Unterschätzung des Rechtsextremismus in den Köpfen der Zuständigen festgesetzt. Das mag begünstigt sein durch die Tatsache, dass Rechtsextreme sich mittlerweile in manchen Situationen äußerlich angepasst verhalten – und nicht immer unbedingt sofort erkennbar direkt gegen den Staat auftreten.
Hört sich an wie „Biedermann und die Brandstifter“?!
Ja, die Rechtsextremen haben sich selbst als Ordnungsmacht aufgespielt. Sie vertreten eine rassistische Ideologie, teilen die Menschen ein in Höher- und Minderwertige. Und alle, die keine deutsche Herkunft haben, sind für sie minderwertig. Aufgrund dieser menschenfeindlichen Ideologie betreiben die Freien Kameradschaften, die aggressiven Neonazis und Teile der NPD organisierten Rassismus. Dabei handelt es sich um eklatante Menschenrechtsverletzung. Und ich hoffe, das ist einer der Gründe dafür, warum das Bundesverfassungsgericht am Ende des jetzigen Verfahrens die NPD verbieten wird. Denn: Die NPD wirkt mit an systematischen Menschenrechtsverletzungen – und die Menschenrechte gehören zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Aber es haben doch nicht nur die Sicherheitsbehörden beim NSU nicht so genau hingeschaut, es gab auch ein gesellschaftliches Umfeld, oder?
Richtig. Ein großer Teil unserer Gesellschaft hat zu leicht weggeschaut. Beim NSU-Untersuchungsausschuss ging es zwar vorrangig um das Behördenversagen. Aber es ist schon so: Vorurteile zum Beispiel gegen Einwanderergruppen sind nicht nur ein Phänomen rechtsextremer Gewaltgruppen – sondern solche Vorurteile sind leider noch immer in Teilen der Gesellschaft vertreten.
Was tun?
Ich habe gerade einen „Masterplan gegen Rassismus und Rechtsextremismus“ vorgestellt. Ziel ist es, das Rückgrat unserer Gesellschaft durch Bildung und Aufklärung zu stärken. Wir wollen aktives Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus und für Demokratie ermuntern und unterstützen. Und unsere Sicherheitsbehörden wollen wir so reformieren, dass wir von Rassismus bedrohte Menschen besser schützen können. Dafür wollen wir die zivilgesellschaftlichen Gruppen, den gesamten Bildungssektor und die Sicherheitsbehörden zusammenbringen. Bisher fehlt das Zusammenwirken bei dem Thema – und in der derzeitigen Bundesregierung ist keiner, der sagt: Das mache ich zu meiner Chefsache. Ich werde das zu meinem persönlichen Anliegen machen.
Wann setzen Sie das um?
Wenn Rot-Grün regiert, ist das eine meiner ersten Maßnahmen. Erst muss es im Koalitionsvertrag verhandelt werden – mit Unterstützung durch unseren Haushaltspolitiker Carsten Schneider, denn das muss auch finanziert werden. Und dann werde ich es schnell auf den Weg bringen.
Zum Masterplan gehört nur Rechtsextremismus und Rassismus – kein Islamismus und Linksextremismus?
Ja. Viele Initiativen haben zurecht genau darum gebeten. Sie misstrauen Vorhaben, in denen alles geregelt werden soll. Ihre Erfahrung zeigt: Das funktioniert nicht.
Was wollen Sie erreichen?
Dass Deutschland ein tolerantes, weltoffenes Land bleibt. Wir wollen erreichen, dass niemand wegen seiner Herkunft, seiner Hautfarbe oder seiner Religion diskriminiert wird. Und wir wollen erreichen, dass die Menschen schon von klein auf gegen rechtsextreme Ideologie immunisiert werden.
Ab Kindergarten?
Ja, und deshalb brauchen wir auch den gesamten Bildungssektor. Ein modernes Land ist nicht vereinbar mit einer rechtsextremen Ideologie. Und wir Deutschen sind die letzten, die sich das leisten dürften.
Rechtsextreme versprechen, Arbeit zuerst für Deutsche oder dramatisieren Zuwanderung. Wie kann verhindert werden, dass solche Saat aufgeht?
Ich glaube, Rassismus hat am ehesten Erfolg bei schwachen Menschen. Deshalb müssen wir die Menschen stark machen, müssen sie ertüchtigen, ihnen Selbstbewusstsein vermitteln. Über Bildung und über eigene Erfolge. Dann sind sie nicht darauf angewiesen, nach noch Schwächeren zu suchen, die sie sich unterordnen wollen und die Sündenböcke für ihre Probleme werden sollen. Wenn wir gegen Rassismus vorgehen, müssen wir gerade auch junge Menschen, die schlechte Startchancen haben, stark machen – damit sie eben nicht Rassisten werden.
Systematisches Doping sorgt für Aufregung, weil bisher dabei immer nur auf den Osten geschaut wurde und jetzt klar ist, das gab es, wenn auch unter etwas anderen Umständen, auch im Westen.
Ich denke, man kann nicht alle Erfolge in Ost und West auf Doping zurückführen, aber jetzt müssen wir dennoch Teile der Sportgeschichte neu schreiben. Nicht nur im Osten, auch im Westen wurde Doping offenkundig geduldet und sogar mit Steuermitteln gefördert. Es muss genau aufgeklärt werden, was da tatsächlich passiert ist. Und: es muss im Westen genauso hart bestraft werden wie im Osten. Denn Doping zerstört die Werte des Sports. Doping ist wettbewerbsverzerrend, unfair und hat auch schon einzelne Sportarten an die Grenze der gesellschaftlichen Akzeptanz gebracht. Doping ist Gift für unsere gesellschaftlichen Werte. In unserem Land gibt es den Konsens, dass sich Leistung lohnen soll. Aber wenn Leistungen durch Manipulationen erschlichen und nicht selbst erbracht wird, wenn junge Menschen sehen, dass man mit solchen Manipulationen große Erfolge erringen kann und wenn es so gesehen scheinbar leichtere Wege gibt, als die des harten Trainings, dann ist das für die Grundwerte unserer Gesellschaft ein schwerer Schaden. Deshalb sehe ich das auch nicht nur als sportpolitische Debatte, sondern die gesamte Gesellschaft ist betroffen.
Manche sagen schon: Als ungedopt gilt nur der, der ein Mittel nimmt, das man noch nicht nachweisen kann ...
Das klingt mir zu zynisch. Und ich kenne Sportler, die ihren Körper nicht mit unerlaubten Mitteln vergiften oder manipulieren – und die im harten Training den Sinn ihres wettbewerblichen Verhaltens sehen.
Und gibt es jetzt auch bereits einen Masterplan Ihrerseits für ehrlichen Sport?
Klar ist: Wir wollen alle Namen erfahren, die eine Rolle beim Doping spielen – bis hin zu den Instituten, die sich damit befasst haben oder noch befassen. Ich bin gegen Schwärzungen und für die Offenlegung des Gesamtberichts, den der jetzige Innenminister Friedrich teilweise unter Verschluss hält. Wichtig sind auch die richtigen Konsequenzen. Wir wollen, dass der Einsatz von Dopingmitteln konsequent bestraft wird. Das gilt bisher nicht für den Besitz geringer Mittel. Wir haben dazu bereits den entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, doch die schwarz-gelbe Koalition war dagegen. Auch der Deutsche Olympische Sportbund ist dagegen, weil er Angst hat, dass die Dopingvergehen dann nicht mehr klar zwischen Sportgerichtsbarkeit und staatlicher Strafgerichtsbarkeit zugeordnet sind. Ich halte das für vorgeschoben. Bisher kommen wir an die Hintermänner gar nicht ran. Und unser Ziel muss sein, dass Deutschland eine dopingfreie Zone wird.
Heißt das dann für internationale Wettbewerbe aus Ihrer Sicht: Lieber ehrliches Blech als erschlichenes Gold?
Ja. Wer sagt, ein konsequentes Dopingverbot beeinträchtige womöglich die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Sportes, dem kann ich nur antworten: Diese Art von unlauterem Wettbewerb wollen wir nicht.
Und dann ist da noch die Spitzelaffäre. Stichwort NSA: Was muss passieren?
Wir können nicht akzeptieren, dass wir von befreundeten Partnern wie den USA oder Großbritannien ausgespäht werden. Es ist richtig und notwendig, dass unsere Nachrichtendienste zusammenarbeiten, um uns vor schweren Verbrechen oder Terroranschlägen zu schützen. Aber das rechtfertigt nicht die schrankenlose Ausspähung der gesamten privaten und geschäftlichen Kommunikation in Deutschland. Das würden wir nicht akzeptieren, wenn das die Chinesen oder Russen bei uns versuchen – und wir dürfen es auch nicht hinnehmen, wenn das die Amerikaner bei uns machen.
Gehören Sie zu denen, die naiv dachten, das gibt es nicht. Oder wussten Sie es und sind jetzt nur empört, weil alles an die Öffentlichkeit kommt?
Alle Nachrichtendienste betreiben strategische Aufklärung und fangen Kommunikation ab. Aber bei uns ist das rechtsstaatlich geregelt für den Bundesnachrichtendienst. Ich bin also nicht überrascht, dass die Amerikaner Aufklärung betreiben, aber ich jedenfalls kannte nicht das Ausmaß, das Snowden jetzt enthüllt hat. Und wir wissen bis heute nicht, was in dieser Sache die Wahrheit ist, denn bisher hat es die Bundesregierung nicht geschafft, die notwendige Aufklärung zu sorgen. Das aber erwarten wir ganz klar von der Bundeskanzlerin. Sie muss sich vor die Menschen in Deutschland stellen und die Grundrechte verteidigen. Die Bundeskanzlerin muss also in den USA die deutsche Verfassung vertreten und nicht die Interessen des amerikanischen Geheimdienstes.
Wenn Sie Innenminister würden, müssten Sie dann den deutschen Veggie-Day durchsetzen, den die Grünen vorschlagen?
Ich selber versuche schon, nicht jeden Tag Fleisch zu essen. Aber ich finde, das sollte jeder für sich persönlich entscheiden. Wir brauchen keine festen Regeln für das, was die Leute auf dem Teller haben.
Also: Sie werden keine Ernährungspolizei losschicken?
Nein. Aber die Verbraucherminister, vor allem auf Landesebene, haben mit Blick auf Nahrungsmittelsicherheit einiges zu tun. In Niedersachsen werden gerade 100 neue Kontrolleure eingestellt, die zum Beispiel Fleisch unter die Lupe nehmen, damit die Verbraucher auf der sicheren Seite sind.