Tagesspiegel: Herr Oppermann, erwärmt sich mit dem Frühlingsanfang auch das Verhältnis der Koalitionspartner wieder?

Thomas Oppermann: Ja. Wir haben die ganze Zeit kontinuierlich unsere Arbeit gemacht. Aber je intensiver SPD und Union jetzt ihre gemeinsamen politischen Projekte vorantreiben, umso schneller vertieft sich auch das wechselseitige Vertrauen.

Ist damit die Affäre um ihren ehemaligen Fraktionskollegen Sebastian Edathy abgeschlossen?

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover werden sicher noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Was die Stimmung in der Koalition angeht: Ich verstehe, dass insbesondere die CSU den Rücktritt von Innenminister Hans-Peter Friedrich ungerecht fand. Nur: Es kann nicht falsch sein, einen Sachverhalt vollständig auf den Tisch zu legen. Das hat ja auch Friedrich selbst so gesehen.

Haben Sie sich mit dem Abgeordneten Friedrich ausgesprochen?

Wir hatten die ganze Zeit Kontakt. Das wird auch so bleiben.

Haben Sie sich bei ihm entschuldigt?
Ich bedauere, dass er infolge der Ereignisse zurücktreten musste. Das habe ich ihm auch gesagt.

Haben Sie alles richtig gemacht – Vom Anruf bei BKA-Chef Ziercke bis zu Ihrer Reaktion auf die Kritik der Union?

Als ich die Information bekam, dass Sebastian Edathy in Untersuchungen wegen Kinderpornografie verstrickt sein könnte, da war ich natürlich schockiert. Ich konnte den Sachverhalt, über den ich informiert wurde…

…von Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel…

Genau. Ich konnte das nicht einordnen und weil ich als Parlamentarischer Geschäftsführer für solche Angelegenheiten zuständig war, habe ich Herrn Ziercke angerufen.

War es klug, dass Sie sich in dieser für das Regierungsbündnis turbulenten Zeit als „Stabilitätsanker der Koalition“ bezeichneten?

Mir ist daran gelegen, dass diese Koalition unter stabilen Bedingungen arbeiten kann. Dazu will ich beitragen.

Sebastian Edathy hält sein Handeln für legal und rechtfertigt den Kauf von Fotos von Kindern durch Vergleiche mit der Kunstgeschichte. Was halten Sie davon?

So ein Vergleich führt in die Irre. Für mich ist der gewerbliche Handel mit Bildern von nackten Kindern keine Kunst, sondern ein Eingriff in die Rechte dieser Kinder. Sie stellen sich nicht freiwillig für diese Aufnahmen zur Verfügung. Der gewerbliche Handel instrumentalisiert diese Kinder für Bedürfnisse von Erwachsenen. 

Herr Oppermann, das schwarz-rote Kabinett ist kommende Woche 100 Tage im Amt. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Der Motor läuft und wir machen ordentlich Tempo. Ich finde es richtig gut, wie intensiv alle Minister in den vergangenen drei Monaten gearbeitet haben. Die Verbesserung der Renten, die Einführung des Mindestlohns, der Bundeshaushalt, der Doppelpass, das neue ElterngeldPlus, die Mietpreisbremse und die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes: Schlag auf Schlag kommen jetzt wichtige Reformprojekte auf den Weg. Wir werden schon nach sechs Monaten mehr für die Menschen getan haben, als in den vergangenen vier Jahren zusammen passiert ist.

Ist es ein Zufall, dass die großen Reformprojekte sozialdemokratische Handschriften tragen?

Wir setzen den Koalitionsvertrag um, den haben sowohl die SPD als auch die Union unterschrieben. Es ist zweifellos eine der wichtigsten Sozialreformen in der Geschichte unseres Landes, dass nun niemand mehr weniger als 8,50 Euro in der Stunde verdienen wird. Die Zeit der Dumpinglöhne ist nun endgültig vorbei. Das ist eine Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft und unser gemeinsamer Erfolg.

Herr Oppermann, kommen wir zum Konflikt um die Krim und die Ukraine. Besteht die Gefahr, dass die deutsche Politik zu härteren Sanktionen greifen muss, als die deutsche Bevölkerung das wünscht?

Wir können einen so offenkundigen Bruch des Völkerrechts nicht unbeantwortet lassen. Wenn Russland nicht einlenkt, sondern die territoriale Integrität der Ukraine auch jenseits der Krim infrage stellt, dann sind weitere Sanktionen unausweichlich. Wir wollen keinen Automatismus. Sanktionen müssen so gestaltet sein, dass sie diplomatische Bemühungen nicht behindern. Das können wir den Bürgern auch erklären.

Die EU droht in einer dritten Stufe Sanktionen an, die Russlands Wirtschaft treffen. Könnte Deutschlands Wirtschaft diese aushalten?

Wirtschaftssanktionen treffen immer beide Seiten. Aber sie werden Russland mit seiner einseitig auf Rohstoffen aufgestellten Wirtschaft weit härter treffen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, wie verantwortlich die Spitzen der deutschen Wirtschaft in dieser Situation reagieren. BDI-Chef Ullrich Grillo hat deutlich gemacht, dass Sicherheit in Europa und die Geltung des internationalen Rechts für ihn wichtiger ist als die Umsätze seiner Unternehmen. Es stärkt die Handlungsfähigkeit Deutschlands, wenn sich Politik und Wirtschaft in einer der schwersten außenpolitischen Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht auseinanderdividieren lassen.

Die Linkspartei bringt mehr Verständnis für die Annexion der Krim auf als jede andere deutsche Partei. Wie realistisch ist da noch eine rot-rot-grüne Koalition?

Mit den außenpolitischen Positionen der Linkspartei kann die SPD nichts anfangen. Gregor Gysi argumentiert raffiniert. Er räumt zwar ein, dass Russland das Völkerrecht gebrochen hat, aber dann beschäftigt er sich fast ausschließlich damit, diesen Völkerrechtsbruch zu relativieren. Es geht ihm nicht darum, den Menschen in der Ukraine zu ihrem Recht zu verhelfen. Es geht ihm darum, den Westen zu delegitimieren.

Kann die Linkspartei Deutschland regieren?

So nicht. Wir können mit keiner Partei eine Regierung bilden, die außenpolitisch unverantwortlich agiert und die West-Bindung Deutschlands infrage stellt. Eine Regierung unter Einschluss der Linkspartei könnte im Moment weder in der EU noch in der Nato Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht werden.

Gysi und Putin verweisen darauf, dass die Nato im Kosovo-Krieg kein Mandat des UN-Sicherheitsrates vorweisen konnte. Trägt der Vergleich?

Dieser Vergleich ist grundlegend falsch. Im Kosovo ging es darum, massenhaftes Morden zu verhindern. Jahrelang wurde das in Verhandlungen versucht, auch der UN-Sicherheitsrat wurde angerufen, Russland stimmte einem militärischen Eingreifen jedoch nicht zu. Es war richtig, dass die Nato einen Völkermord verhindert hat. Das wird auch Herr Gysi nicht in Frage stellen.

Auch Gerhard Schröder hat diesen Vergleich gezogen. Er sagte, er habe im Kosovo-Krieg wie Putin auch Völkerrecht gebrochen. Widersprechen Sie ihm?

Schröder hat auf das formaljuristisch fehlende UN-Mandat Bezug genommen. Das gab es in der Tat nicht. Aber uns allen ist klar, dass der Einsatz dennoch notwendig war. Das sehen auch viele Völkerrechtler so. Der Kosovo-Krieg war ein entscheidender Auslöser für die Entwicklung des Prinzips der Schutzverantwortung - „responsibilty to protect“.

Die Kanzlerin hat mehrmals die Arbeit von Steinmeier in der Ukraine-Krise gelobt. Wie schlägt sich Angela Merkel in dieser Krise?

Die Kanzlerin agiert sehr besonnen und trotzdem entschieden. Sie stimmt sich eng mit dem Außenminister ab. Es stärkt Deutschlands internationale Stellung, wenn die Regierungspartner in der Krise so geschlossen auftreten. In anderen Regierungen gab es da mehr Konflikte. Für Frank-Walter Steinmeier ist es ein großer Erfolg, dass Russland nach zähem Ringen nun einer OSZE-Mission zugestimmt hat. Das löst nicht die Krise, aber es ist ein guter Schritt in die richtige Richtung.

„Merkel muss weg“ – so heißt das Ziel Ihres Parteivizes Ralf Stegner für 2017 – Ihres auch?

Ralf Stegner wollte daran erinnern, dass 2017 wieder eine Bundestagswahl ist und SPD und Union dann wieder um die Mehrheit in Deutschland ringen. Bis dahin werden wir mit der Bundeskanzlerin vertrauensvoll und eng zusammenarbeiten.

Halten Sie Stegners Tonlage unter Koalitionspartnern wirklich für angemessen?

Der Ton mag rau erscheinen. So ist man an der Küste. Inhaltlich weist Ralf Stegner auf eine Selbstverständlichkeit hin: SPD und Union werden auch wieder im Wettbewerb stehen. Im Moment konzentriert sich aber die gesamte SPD auf den Erfolg der Koalition.

 

Das Gespräch führten Hans Monath und Antje Sirleschtov