DIE WELT:

Sie leiten seit über einem Jahr die Enquetekommission. Wissen Sie schon, was glücklich macht?

DANIELA KOLBE:

Wir haben erreicht, dass wir eine Diskussion ins Parlament geholt haben, die wir in der Politik und in der Gesellschaft dringend führen müssen. Wirtschaftswachstum allein löst nicht alle Probleme in diesem Land. In der Enquetekommission gehen wir daher der Frage nach, was außer reinem BIP-Wachstum wohlstandssteigernd für unsere Gesellschaft ist und wie wir mit neuen Herausforderungen wie zum Beispiel dem Klimawandel umgehen müssen. In den zukünftigen Wohlstandsindikator wollen wir deshalb andere Aspekte wie Fragen der Verteilung, der Bildung, Gesundheit oder Arbeit, aber auch ökologische Indikatoren mit einbeziehen.

In mehreren Ländern wird umgedacht. Gibt es einen globalen Trend zu einem Glücksdenken?

Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass aus der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise Konsequenzen gezogen werden und eine nachhaltige Veränderung eintritt. Denn die Krise und ihre verheerenden Folgen haben uns eindrücklich gezeigt, dass der Fokus auf reines BIP-Wachstum in die Irre führt. Umweltschäden und soziale Verwerfungen sind ein Resultat davon. Jedoch zeigt uns gerade die Debatte um die Euro-Rettung, dass keine nachhaltige Veränderung zu erwarten ist. Denn plötzlich suchen alle politischen Lager ihr Heil wieder nur im reinen Wirtschaftswachstum. Es liegt da noch ein langer Weg vor uns, bevor wir wirklich zu einem neuen Leitbild für unsere Gesellschaft kommen.

Was wollen die einzelnen Parteien?

Es gibt den fraktionsübergreifenden Konsens, dass wir eine alternative Wohlstandsmessung wollen und dass wir ökologisch, was die Ressourcen angeht, einen großen Handlungsbedarf haben. Es gibt aber insbesondere zur Frage über die Rolle des Wirtschaftswachstums gravierende Unterschiede. Eine FDP, die Wachstum zur Lösung für alles erklärt, wie das Herr Rösler gemacht hat, kann natürlich auch in einer Kommission nicht komplett davon loskommen.

Ist eine Gesellschaft mit geringen Einkommensunterschieden glücklicher?

Es kommt auf das Maß der Gleichheit an. Wir sehen in Deutschland die Entwicklung, dass die Einkommen weiter auseinandergehen, die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird und immer mehr zu einer Belastung für die gesamte Gesellschaft wird. Das derzeitige Ausmaß an Ungleichheit ist auf jeden Fall zu viel.

Sind Sie also für mehr Umverteilung?

Ich bin für eine einkommensgerechtere Gesellschaft. Das kann man über Transfersysteme, das Steuersystem oder eine Stärkung der Tarifparteien erreichen. Umverteilung kann also vieles bedeuten.

Es gibt in Deutschland ein Glücksgefälle zwischen West und Ost.

Der Hauptgrund ist sicherlich die fast doppelt so hohe Arbeitslosenrate in den neuen Ländern, außerdem gibt es dort bedeutend mehr Langzeitarbeitslose. Das macht Menschen extrem unzufrieden, und hier muss man auch ansetzen.

Wirtschaftswachstum schafft doch Arbeitsplätze. Zeigt dies nicht, dass man gerade durch Wachstum den Osten glücklicher machen könnte?

In der Vergangenheit haben wir immer wieder Phasen von "jobless growth" gesehen, Wachstum ohne Aufbau von Beschäftigung. Und bei allem Enthusiasmus über neue Jobs muss man sich auch anschauen, welche Art von Arbeitsplätzen da überhaupt entstehen. Sozialversicherungspflichtige und gut bezahlte Jobs oder eher Jobs im Niedriglohnbereich? Wenn Menschen weniger als 7,50 Euro verdienen, geht es ihnen zwar möglicherweise besser, als wenn sie langzeitarbeitslos wären, aber wenn dadurch normale Arbeitsverhältnisse verdrängt werden, kann man das nicht akzeptieren. Gleichzeitig wissen wir natürlich, dass es ohne Wirtschaftswachstum bedeutend schwieriger ist, Arbeitsplätze zu schaffen oder bestehende zu erhalten. Ohne Wirtschaftswachstum kommen auch unsere Sozialsysteme unter Druck. Darauf Antworten zu finden ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit.

Andere Länder liegen in der Lebenszufriedenheit deutlich vor Deutschland. Woran liegt das?

Es kommt da auch auf die Messmethode an. Wenn man auf die reine Lebenszufriedenheit setzt, sind wir tatsächlich nicht sehr weit vorne. Wenn man allerdings materiellen Wohlstand beziehungsweise nachhaltiges Wirtschaften hinzuzählt, stehen wir deutlich besser da. Dass wir eine geringere Lebenszufriedenheit haben, hat aber auch kulturelle Gründe. Ich würde zwar nicht behaupten, dass wir miesepetrig sind, aber wir sind schon nicht ganz so überschwänglich, wie das möglicherweise in anderen Kulturen der Fall ist.