Ab wie viel Prozent Beteiligung ist der SPD-Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag ein Erfolg?
Frank-Walter Steinmeier: Bis Freitag haben über 200.000 Mitglieder ihre Stimme abgegeben. Das ist ein tolles Zwischenergebnis, das uns anspornt. Je höher die Beteiligung wird desto besser. Unsere Veranstaltungen zum Koalitionsvertrag sind sehr voll, an manchen Orten so voll wie im Wahlkampf.
Würde ein nur knappes „Ja“ die Partei zerreißen?
Eine knappe Entscheidung wäre zwar unter Mehrheitsgesichtspunkten ausreichend. Befriedend für die Partei wäre ein deutliches Votum. Um das zu erreichen, sind wir alle landauf, landab unterwegs. Wir können den Mitgliedern guten Gewissens sagen, dass wir uns mit zentralen Forderungen der SPD durchgesetzt haben.
Die Vorbehalte in der Partei waren groß - warum sind Sie optimistisch?
In den Diskussionen mit unseren Mitgliedern ist deutlich zu spüren, dass die Zustimmung größer wird. Natürlich ist nicht jede Skepsis gegenüber der Großen Koalition weg, aber wer den Koalitionsvertrag liest, kann erkennen, dass die SPD gut verhandelt hat. Wir haben echte Verbesserungen für die Menschen erreicht, etwa bei der Altersvorsorge, der Beseitigung von Hungerlöhnen oder des Missbrauchs von Leiharbeit sowie durch den Wegfall der Optionspflicht für Kinder aus Zuwandererfamilien.
Sie haben keine höheren Steuern für Reiche erreicht und einen Mindestlohn auf Raten und mit Einschränkungen. Wie überzeugen Sie damit die Mitglieder?
Wir müssen ehrlich miteinander sein: Es war bei den Wahlergebnissen doch nicht zu erwarten, dass wir mit knapp 26 Prozent Wahlergebnis 100 Prozent SPD im Koalitionsvertrag durchsetzen. Dennoch ist es uns gelungen, vieles von zu erstreiten, wofür wir gemeinsam vor der Wahl gekämpft haben. Dazu gehört ein Mindestlohn, den SPD und Gewerkschaften exakt so besprochen haben, oder eine abschlagsfreie Rente für diejenigen, die 45 Jahre lang hart gearbeitet haben. Und mit Zunkunftsinvestitionen für Bildung und Kommunen sorgen wir für mehr Chancengleichheit und helfen den Menschen vor Ort.
Frage: Warum dürfen die SPD-Mitglieder nicht den Ressortzuschnitt und die Personalliste für das Kabinett erfahren?
Sigmar Gabriel hat zu Recht Rücksicht darauf genommen, dass die Mitglieder über Inhalte diskutieren wollen, nicht über Personal. Auch auf meinen Regionalkonferenzen interessieren sich unsere Mitglieder deutlich mehr für die ausgehandelten Inhalte als für Personalfragen.
Welches Ministerium ist für die Sozialdemokraten am wichtigsten – Finanzen, Arbeit, ein Infrastrukturministerium?
Im europäischen Vergleich ist das Kabinett mit 14 Ministerien vergleichsweise klein. Unwichtige Ministerien gibt es da nicht. Bei Finanzen und Wirtschaft, Innen und Justiz, Außen und Verteidigung sollten jeweils beide Koalitionspartner repräsentiert sein. Dass das Arbeits- und Sozialministerium für die SPD ein entscheidendes Ressort ist, wird niemanden überraschen.
Würden Sie das Außenministerium erneut übernehmen, wenn die Partei ruft?
Bei allen Personalfragen müssen Sie dieselbe Geduld aufbringen wie unsere Mitglieder es tun.
Wäre Sigmar Gabriel als Partei- und Fraktionschef oder als Vizekanzler für die SPD nützlicher?
Sigmar Gabriel hat seine Aufgabe als Parteivorsitzender glänzend wahrgenommen. Als Parteivorsitzender wird er sich entscheiden, wo er seine Fähigkeiten und seine Kraft zum langfristigen Wohl der Partei einbringen kann.
Der Großen Koalition steht im Bundestag nur ein kleines Oppositionshäuflein von Linkspartei und Grünen gegenüber. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die Minderheit gehört wird?
Parlamentarische Demokratie braucht eine wirksame Opposition. Der SPD ist es wichtig, dass die Opposition die ihr zustehenden elementaren Rechte ausüben kann. Wir haben dafür geworben, dass im Koalitionsvertrag ausdrücklich ein Textabschnitt über die Wahrung der Oppositionsrechte aufgenommen wurde. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Opposition von ihren Rechten wie etwa der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen oder der Durchführung von Anhörungen Gebrauch machen kann und dafür verbindliche Absprachen treffen. Bei den Plenardebatten werden wir nach Möglichkeiten suchen, die Redezeit der Opposition über das hinaus auszuweiten, was ihr nach dem schlichten Fraktionsproporz zustünde.
Wird es einen Untersuchungsausschuss zu NSA-Affäre geben?
Die jüngsten Enthüllungen über die Speicherung von Hunderten von Millionen Bewegungsdaten von Handys zeigen, dass wir immer noch am Anfang der Aufklärung stehen. Ein Untersuchungsausschuss hat zwar weitgehende Befugnisse, doch Zeugen und Dokumente aus dem Ausland werden möglicherweise nicht zur Verfügung stehen. Denkbar wäre auch die Befugnisse des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu erweitern und es dann mit der Aufklärung zu beauftragen. Wir müssen im Parlament sorgfältig diskutieren, mit welcher Möglichkeit wir am weitesten kommen.
Nelson Mandela ist tot – was verbinden Sie persönlich mit dem Kämpfer gegen Apartheid, ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas und Friedensnobelpreisträger?
Nelson Mandela steht für die Selbstbefreiung eines ganzen Kontinents. Er hat seine Landsleute aus der Apartheid geführt und damit für ganz Afrika ein Signal des Aufbruchs gegeben. Er war ganz sicher einer der bedeutendsten Politiker unserer Zeit, einer der für viele Millionen Menschen Hoffnung und Zukunft verkörpert hat.
Wo kann Mandelas Haltung heute Vorbild sein?
Ich hoffe vor allem, dass Afrika selbst dem Erbe Nelson Mandelas verpflichtet bleibt. Viele Staaten und Regionen sind in den letzten Jahren dem Beispiel Südafrikas gefolgt, haben sich selbst befreit aus kolonialer Vergangenheit und dem Teufelskreis aus Hunger, Armut und Bürgerkrieg. Ich hoffe es gelingt, diesen hoffnungsvollen Weg weiter zu beschreiten.
In der Ukraine gärt es, die Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko fordert einen pro-europäischen Kurs. Wie sollte die neue Bundesregierung sie unterstützen?
Die ukrainische Regierung ist gut beraten, sich dem Willen der eigenen Bevölkerung nach größerer Nähe zur Europäischen Union nicht entgegenzustellen. Die EU hat der Ukraine mit dem Assoziierungsabkommen ein weitreichendes Angebot zur Kooperation gemacht. Dazu stehen wir. Es darf für die Ukraine aber auch nicht um die Alternative „entweder Europa oder Russland“ gehen. Das Ziel der EU-Nachbarschaftspolitik ist die Förderung einer stabilen und demokratischen Entwicklung. Und gemeint war in der damaligen Zielsetzung nicht eine Politik Europas gegen Russland, sondern möglichst mit Russland.