Herr Oppermann, nach der Sommerpause wird unter anderem in Thüringen gewählt. Ist die SPD dort bereit, im Fall der Fälle den Linken-Politiker Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen?

Thomas Oppermann: Wir machen da aus Berlin keine Vorgaben. Diese Entscheidung wird in Thüringen fallen, nirgendwo anders. Ihre Auswirkungen werden keinen Einfluss auf die Bundespolitik und das Regieren in der Großen Koalition haben.

Wäre es jetzt nicht Zeit für vertrauensbildende Maßnahmen zwischen SPD und Linkspartei?

Vertrauensbildende Maßnahmen? Ich habe kein Vertrauen in die Bereitschaft der Linkspartei, europäische und internationale Verantwortung zu übernehmen. Mit ihren schrillen Positionen zum Ukraine-Konflikt, zur NATO und zum Euro hat sich die Linkspartei diskreditiert. Sie ist in ihrem aktuellen Zustand im Bund nicht regierungsfähig.

 

Ohne die Perspektive auf Rot-Rot-Grün wird die SPD kaum eine Chance haben, wieder den Bundeskanzler zu stellen. Sehen Sie sich dauerhaft als Juniorpartner der Union in Berlin?

Die SPD ist eine Volkspartei der linken Mitte. Sie muss das Ziel haben, wieder den Bundeskanzler zu stellen. Wir wollen bei der nächsten Bundestagswahl wieder über 30 Prozent kommen. Daran müssen wir arbeiten. Programmatisch und personell haben wir dazu alle Möglichkeiten.

Um den Kanzler zu stellen, müsste die SPD Angela Merkel bezwingen. Oder rechnen Sie damit, dass die Kanzlerin 2017 nicht wieder kandidiert?

Für die SPD spielt es keine Rolle, ob Frau Merkel noch einmal antritt oder nicht. Wir wollen das Land mit der Union gemeinsam erfolgreich regieren und dann wieder gegeneinander antreten. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass die Union 2017 mit ihrer dann stärksten Besetzung in den Wahlkampf gehen wird - so wie die Argentinier im WM-Finale mit Messi.

Und Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat der SPD soll dann wie Mario Götze den entscheidenden Treffer machen?

Ganz im Ernst: die Wahlperiode hat gerade erst vor ein paar Monaten begonnen. Die Frage der Kanzlerkandidatur wird die SPD in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode besprechen.

Führende CDU-Politiker wie Fraktionschef Volker Kauder bringen Schwarz-Grün ins Gespräch. Müssen da bei der SPD nicht alle Alarmglocken schrillen?

Das sehe ich ganz entspannt. Schwarz-Grün muss erst mal zeigen, ob sie Hessen ordentlich regieren können.

Die Wahl vor einem Jahr hat die SPD mit einem dezidiert linken Programm und der Ankündigung von Steuererhöhungen gegen die Union verloren. Muss die Partei im nächsten Wahlkampf stärker in die Mitte rücken?

Die SPD muss sich an den Interessen der arbeitenden Mittelschichten ausrichten. Deshalb werden wir 2017 ein Steuerkonzept vorlegen, in dem die Be- und Entlastungen neu justiert werden. Soziale Gerechtigkeit und wirtschaftspolitische Kompetenz sind für uns keine Gegensätze.

Die Gelegenheit dazu hätten Sie schon jetzt in der Großen Koalition. Wo bleibt die oft diskutierte Steuerreform mit Korrekturen an der kalten Progression?

Die SPD will, dass die Effekte der Steuerprogression abgemildert werden. Es ist nicht in Ordnung, wenn von Lohnerhöhungen weniger als die Hälfte auf dem Konto der Arbeitnehmer landet. Der Koalitionsvertrag sieht keine Steuerreform vor. Wenn Herr Schäuble Spielräume im Haushalt erwirtschaften kann, gibt es die Möglichkeit zum Handeln. Eine Steuersenkung auf Pump lehnen wir ab.

Ist die Pkw-Maut wirklich ein Erfolgsprojekt für die Große Koalition?

Die Pkw-Maut ist ein Wunschprojekt der CSU, nicht der SPD. Aber wir stehen zum Koalitionsvertrag. Wenn Verkehrsminister Dobrindt eine Lösung findet, die mit dem Europarecht konform geht und keinen deutschen Autofahrer mehr belastet, wird die Pkw-Maut kommen.
 

Stehen Aufwand und Nutzen bei der Maut eigentlich noch in angemessenem Verhältnis?

Herr Dobrindt muss jetzt seine Hausaufgaben machen und alle Bedenken ausräumen. Der Bundesverkehrsminister ist gut beraten, die Einwände der Landräte und Bürgermeister der Grenzregionen, von Herrn Schäuble und von anderen Kritikern in der Union nicht einfach vom Tisch zu wischen. Letztendlich wird es auf den fertigen Gesetzentwurf ankommen.

Thema Nahost: Der Krieg zwischen Israel und der Hamas hat zu heftigen Reaktionen in Deutschland geführt, auch zu antisemitischen Parolen und Gewalt gegen Juden: Kapituliert der Rechtsstaat, wenn er dies zulässt?

Die antisemitischen Parolen gegen Israel und gegen Juden sind absolut unerträglich. Verantwortlich dafür ist eine unheilige Allianz aus Islamisten, Rechts- und Linksextremisten. Wir dürfen nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen lassen, dass Antisemitismus bei uns in Deutschland entschieden bekämpft wird. Wir dulden das nicht! 

Sind die Militär-Aktionen Israels überzogen oder voll durch sein Selbstverteidigungsrecht gedeckt?

Israel hat das Recht, seine Grenzen und seine Bürger zu verteidigen. Die Hamas hat das Angebot eines Waffenstillstandes nicht akzeptiert. Es muss aber darum gehen, zivile Opfer unter allen Umständen zu vermeiden. Frieden ist auf Dauer nicht durch militärische Auseinandersetzung sondern nur durch eine politische Verständigung zwischen Israel und der Hamas möglich.

Auch in der Ukraine wird weiter gekämpft: Frankreich will weiter Waffen nach Russland liefern und die EU zögert mit harten Wirtschaftssanktionen gegen Moskau. Macht sich Europa so nicht vollkommen unglaubwürdig?

Europa muss eine eindeutige Antwort auf den Abschuss der MH 17 finden. Spätestens mit diesem grauenvollen Verbrechen haben wir es mit einer internationalen Krise zu tun. Deshalb ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gefragt. Vor allem müssen die Täter ausfindig  gemacht und hart bestraft werden. Darüber hinaus muss der politische Druck auf Russland erhöht werden. Am wirkungsvollsten ist es, die gezielten Sanktionen gegen Oligarchen, politische Eliten und verantwortliche Entscheidungsträger auszuweiten.

Wären Sie für eine internationale Blauhelm-Mission, unter Umständen mit deutscher Beteiligung?

Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über einen Blauhelm-Einsatz zu diskutieren. In Teilen der Ukraine herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Zunächst muss es einen von beiden Konfliktparteien getragenen Friedensplan geben. Ansonsten droht eine entsprechende Mission der Vereinten Nationen zwischen den Fronten des Konfliktes aufgerieben zu werden.