„Nur miteinander werden wir die Zukunft gewinnen“ – so lautet eine der zentralen Lehren, die Vizekanzler Olaf Scholz zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit zieht. Es gehe darum, dass man wisse, dass man Veränderungen nicht mit sich allein ausmachen müsse, sondern dass „diese uns gemeinsam berühren“, mit Blick auf die großen Umbrüche, die die Ostdeutschen nach der Wende erfahren mussten, sagte Scholz bei der Debatte im Bundestag zu dem Thema.

Ostdeutschland habe einen „riesigen ökonomischen Strukturwandel“ erlebt, und die Bürgerinnen und Bürger hätten ihre Zuversicht dennoch nicht in Frage gestellt. Diese Erfahrung des Strukturwandels müssten die Deutschen insgesamt als gemeinsame Erfahrung in Erinnerung behalten. Deutschland habe auch aufgrund des technologischen Wandels noch viele Strukturbrüche vor sich, die alle gemeinsam bewältigen müssten.

Die deutsche Einheit sei eine Erfolgsgeschichte. Wenn jemand nach Deutschland reise, werde er zwischen Osten und Westen keinen Unterschied feststellen. „Wir sind ein Land, das ist geglückt“, sagte Scholz.

Auch wirtschaftlich sei die Einheit ein Erfolg, dennoch gebe es noch Dinge zu tun, bei Unterschieden bei den Löhnen und Gehältern, den beruflichen Perspektiven, oder auch der Rente. Es sei ein großer Fortschritt, dass es nun die Grundrente gebe. Der Vizekanzler und würdigte auch den Mut der Ostdeutschen. Die Einheit sei „von unten gekommen, sie ist vom Volk erkämpft worden». Das sei außergewöhnlich. «Es ist ein demokratischer Akt in Deutschland, einer der seltenen in unserer Geschichte.»

Aus der Wiedervereinigung erwachse auch eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik für die Europäische Union, sagte Scholz. Die anderen europäischen Länder hätten die Einheit akzeptiert, weil sie gewusst hätten, dass Deutschland ein verlässlicher Partner war.

Nun, mit dem bevorstehenden Brexit, stehe Deutschland als bevölkerungsreichstes Land mit einer enormen Wirtschaftskraft in der Verantwortung, dazu beizutragen, dass die Union in Europa gelinge.

Auch die SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe aus Leipzig findet, Deutschland könne auf „30 Jahre Erfolgsgeschichte blicken“. „Diese historische Aufgabe haben wir megagut gemeistert, trotzdem bleibt noch etwas zu tun, um die innere Einheit herzustellen“, sagt Kolbe. „Viele Ostdeutsche haben sich in ihrer Verletztheit eingerichtet, viele Westdeutsche in der Gleichgültigkeit. Lasst uns mehr erzählen und mehr zuhören“, wünscht sich Kolbe. „Die Leute wollen in Ost und West, dass ihre Leistungen anerkannt werden. Politisch kann ich das als Sozialdemokratin auf den Wert der Arbeit vor und nach der Wiedervereinigung zuspitzen“, sagte die Politikerin. Die Löhne im Osten seien noch viel zu niedrig im Vergleich zum Westen. Die Grundrente und der Mindestlohn, die zwei größten sozialpolitischen Projekte der vergangenen Legislaturen, würden dabei helfen, ostdeutsche Biografien besser zu wertschätzen und Unterschiede zu verringern. Doch die SPD-Fraktion bleibe da nicht stehen, sie wolle 12 Euro Mindestlohn und mehr Tarifverträge im Osten.

Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, selber an der Grenze groß geworden, betont, dass der Mauerfall auch im Westen sehr viel Freude ausgelöst hat. „Das ist nicht nur ein Schatz für die Menschen in Ostdeutschland“, sagt Roth. Es müsse nun in mehr gesellschaftlichen Bereichen gelingen, auch ostdeutsche Biografien hervorzuheben.  In der Einheit müsse es nicht Einfalt, sondern Vielfalt und Weltoffenheit geben. „Dann würde es uns auch besser gelingen, in einem geeinten Deutschland für ein geeintes Europa einzutreten“, so Roth.

Der Abgeordnete Eberhard Brecht, der 1990 Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR für die SPD war, wies in seiner Rede auf die Gefahr des Rechtsextremismus hin: „Wo ist der Stolz des Herbstes 1989 geblieben?“ fragte er. Die Wertschätzung der demokratischen Strukturen scheine in Ostdeutschland zu erodieren. Das äußere sich in einer verklärenden DDR-Nostalgie, mitunter auch in Form einer rechtsradikalen Protestkultur. Brecht appelliert: „Wir müssen denjenigen energisch entgegentreten, die unsere demokratische Revolution von 1989 heute in eine nationalistische Erhebung umzudeuten versuchen“.