Gabriel stellte fest, um das Versagen der schwarz-gelben Koalition zu erkennen, benötige man nur drei Zahlen. Erstens die Zahl 22 Millionen Euro. So hoch sind die neuen Schulden für das Jahr 2011. Zweitens die Zahl 4,3 Milliarden Euro. So hoch sind die Steuermehreinnahmen und die gesunkene Zinsbelastungen für 2011. Und drittens die Zahl 26 Milliarden Euro. So hoch ist die Neuverschuldung 2012.
Dass die Bundesregierung in einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft so gut dasteht wie nie seit der Wiedervereinigung, in der die Einnahmen extrem hoch und die Arbeitslosenzahl extrem niedrig ist, dennoch neue Schulden macht, ist für Gabriel inakzeptabel. „Sie stellen die Schuldenbremse des Grundgesetzes auf den Kopf“, schimpfte er und sagte in Richtung von Kanzlerin Merkel (CDU): „Sie verwechseln die Schuldenbremse mit dem Gaspedal. Dabei haben Sie immer gesagt, Sie wollen intelligent sparen – tja, das nennt man dann wohl eine Intelligenzbestie …“
Gerade weil es Deutschland so gut wie lange nicht gehe, sei der Abbau von Schulden vorrangig.
Stattdessen beschäftige sich die FDP beispielsweise lieber mit ihren Versorgungsfällen. Da würden vor der Wahl schnell noch liebsame Mitarbeiter auf hochdotierte Stellen in den Bundesministerien geschoben – allein 166 neu Stellen in hohen Besoldungsgruppen habe das Entwicklungsministerium beantragt, rechnete Gabriel vor. „Ausgerechnet die Partei, die dieses Ministerium immer abschaffen wollte und die über Bürokratieabau schwadroniert, bläht ihren Apparat auf“, konstatierte Gabriel.
Ausbluten der Gemeinden nützt Rechtsradikalen
Überhaupt sei die ganze Politik der Bundesregierung eine Tagesbaustelle, in der die Meinungen so schnell wechselten wie die Stimmung.
Gabriel nannte als Exempel die alberne Steuersenkung im Umfang von knapp 6 Milliarden Euro. Die sollte ursprünglich den Geringverdienern zugute kommen, behauptete die FDP. Gabriel: „Die haben nichts davon, denn die Geringverdiener zahlen gar keine Steuern. Und ein Durchschnittsverdiener mit 2250 bekäme bei dieser Steuersenkung 4 Euro im Monat.“ Aber selbst das sei eine Mogelpackung. Denn, so klärte Gabriel auf, durch die Senkung würden die Gemeinden und Kommunen um 2 Milliarden Euro belastet – und holten sich das Geld mittels höherer Gebühren wiederzurück.
Etwas anderes aber sei viel gefährlicher. „Wir haben festgestellt, dass das finanzielle Ausbluten von Gemeinden den Rechtsradikalismus stärken kann. Denn überall dort, wo Sportvereine und Jugendeinrichtungen schließen müssen, überall da, wo also sozial entleerte Räuem enstehen, dringen Rechtsradikale in sie ein“, rief Gabriel. In Richtung Regierung sagte er. „Sie sind doch auch unserer Meinung, dass man den Rechtsextremismus verhindern muss, aber dann kürzen Sie nicht weiter, sondern helfen Sie mit, eine soziale Gesellschaft zu erhalten!“. Auch die soziale Stadt gehöre dazu, genau wie die Stadtentwicklung ganz allgemein.
Gabriel verurteilte das von der Bundesregierung gewünschte Betreuungsgeld als „verantwortungslos“. 150 Euro sollen Eltern bekommen, wenn sie ihr Kind nicht in eine Kinderkrippe schicken. „Sogar die Bild-Zeitung kann das nicht nachvollziehen“, stellte Gabriel fest. Damit würden Kindern Bildungschancen genommen.
Auch der von der CDU so nicht genannte, aber faktische Mindestlohn-Vorschlag sei ein „Papiertiger“. Denn damit ließen sich Löhne von 3,18 Euro oder 5,33 pro Stunde nicht verhindern. „Solche Löhne sind eine Schande für unser Land“, wetterte Gabriel. Denn Altersarmut zum Beispiel entstehe auch durch Erwerbsarmut. Wer Vollzeit arbeite, muss auch ohne Hartz-IV- oder andere Sozialleistungen auskommen können, so Gabriel. „Alles andere ist zutiefst demütigend.“ Dass Merkel ihrem eigenen Arbeitnehmerflügel nun auf dem Parteitag so in den Rücken gefallen sei, verurteilte Gabriel scharf.
Größter Fehler der Kanzlerin
Er ging auch auf die Europa-Politik der Regierung ein. Besonders hervor hob der Parteichef die Tatsache, das die Bundesbank immer lauter davor warne, dass die Zinsen auch auf deutsche Anleihen steigen könnten, wenn die Politik nicht Herr der Krise werde. Gabriel attestierte Merkel eine arrogante Haltung – „und das, wo Sie doch ständig Ihre Haltung wechseln“.
Der größte Fehler dieser Bundeskanzlerin in ihrer Amtszeit ist für Sigmar Gabriel ihre Arroganz, auf die europäischen Herausforderungen mit nationalen Antworten zu reagieren. Märkte wetten auf die Pleite ganzer Staaten, auf das Auseinanderbrechen der Währungsunion, Zinsen der Krisenstaaten steigen und steigen, Jugendarbeitslosigkeit in den Schuldenstaaten wächst, die EZB wird zu weiterem Staatsanleihenkauf gezwungen – alles das verhindere Merkel nicht. Gerade die Aktionen der EZB seien im Grunde Eurobonds durch die Hintertür. „Das sind Merkel-Bonds“, postulierte Gabriel. Doch das geschehe eben ohne Kontrolle, ob die Staaten denn auch sparen. Und dann stelle Merkel sich hin und sage unschuldig, sie könne ja nichts dafür, die EZB sei eben unabhängig.
Betreuungsgeld ist "gaga"
„Ändern Sie Ihre Politik“, rief Gabriel den Ministerinnen und Ministern zu. Angela Merkel benutze gern das Bild von dem inneren Kompass ihrer Politik. Gabriel: „Dieser Kompass ist kaputt, lassen Sie ihn reparieren! Damit können Sie nicht mehr in See stechen.“
Der SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sagte, Merkel habe zwar einen Machtwillen, aber keinen Gestaltungswillen. Er fragte die Bundeskanzlerin direkt:
- „Was tun Sie gegen Kinderamut?
- Was tun Sie gegen Altersarmut?
- Was soll Ihr dürftiger Pflegebeschluss, der keinen einzigen Experten überzeugt?
- Wo helfen Sie den Kommunen? Sie höhlen nur die Gewerbesteuer aus.
- Was sollen Ihre Bildungsgipfel? Keiner hat etwas gebracht.
- Was soll das Betreuungsgeld? Das ist gaga.
- Wo beheben Sie die Infrastrukturprobleme?
- Warum sparen Sie bei der sozialen Stadtentwicklung?“
Schwarz-Gelb hat die Haushaltskonsolidierung aufgegeben, steigert die Neuverschuldung und verstößt gegen Geist und Sinn der Schuldenregelung des Grundgesetzes – ein falsches Signal auch für Europa. Das Leitmotiv dieser Regierung zeigt sich besonders in der Haushaltspolitik: Schwarz-Gelb kann es einfach nicht.
Was die SPD-Fraktion fordert
Der Bundeshaushalt 2012 und die Finanzplanung bis 2015 folgen diesem Nichtkönnen und steuern Deutschland in eine besorgniserregende Richtung.
Es fehlt ein klares Haushaltsmanagement, eine Bereitschaft zum Sparen. Die Neuerschuldung für das kommende Jahr steigt – und das, obwohl sich Steuereinnahmen deutlich verbessert haben. Damit fehlt es auch an einer Vorsorge für die Refinanzierungskrise der Euro-Länder.
Nicht zuletzt aufgrund dieses Versagens fordert die SPD-Fraktion in einem Entschließungsantrag („Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012“, Drs. 17/7860) die Bundesregierung auf:
- die Schuldenbremse einzuhalten, die eine Verschuldungsgrenze von 25,3 Milliarden Euro für 2012 fordert – die Regierung liegt darüber;
- auf die avisierten Steuersenkungen zu verzichten und Mehreinnahmen zur Schuldenreduktion zu nutzen;
- das Finanzierungskonzept der SPD, „Nationaler Pakt für Bildung und Entschuldung“, umzusetzen inklusive den Spitzensteuersatz ab einem Einkommen von 100.000 Euro für Singles bzw. ab 200.000 Euro für Verheiratete auf 49 Prozent zu erhöhen;
- das Bildungssystem auf allen Stufen zu stärken und so für Chancengerechtigkeit zu sorgen;
- einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab dem ersten Lebensjahr zu realisieren;
- eine Offensive für Fachkräfte zu starten, die besonders benachteiligte Jugendliche fördert;
- Studienplätze auszubauen, das Hochschulpersonal aufzustocken und die Studienfinanzierung attraktiver zu machen;
- Förderprogramme für die Weiterbildung stärker einzuführen;
- die aktive Arbeitsmarktpolitik zu stärken, u. a. mittels Qualifizierungs- und Weiterbildungsinitiativen, um Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt zu gewährleisten;
- die strukturellen Defizite in der Arbeit der Sicherheitsbehörden umgehend zu beseitigen, das NPD-Verbot voranzutreiben, den Kampf gegen Rechtsextreme zu intensivieren;
- die finanzielle Stabilität der Antidiskriminierungsstelle sicherzustellen;
- den Verkehrsetat strukrurell um 1 Milliarde Euro zu erhöhen und die Städtebauförderung auszuweiten;
- eine nachhaltige Wirtschaftspolitik einzuleiten, die auch die Modernisierung der Kommunikationsinfrastruktur zur Folge hat;
- Hunger und Armut in der Welt effektiver und stärker zu bekämpfen und dazu alle Finanzierungshebel (Stichwort KfW) zu benutzen;
- das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ via Gesetzesvorlage aufzuheben;
- die Besetzung der knapp 470 neuen Planstellen und Stellen, die die Koalitionsfraktionen in den Personalhaushalt des Bundes eingebracht haben, zunächst auszusetzen und wie vom Bundesrechnungshof gefordert, zunächst einmal eine Personalbedarfsplanung vorzulegen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat zum Bundeshaushalt 2012 das im September 2011 vom Parteivorstand beschlossene Finanzierungskonzept (siehe oben) vorgelegt (im Haushaltsauschuss unterlegt durch einzelne Anträge), das im Kern gegenfinanzierte Mehrausgaben für Bildung von 2 Milliarden Euro für 2012 vorsieht.