Gute Arbeit: Der Bund wird im kommenden Jahr zum ersten Mal seit 1969 ohne neue Schulden auskommen. Warum ist ein ausgeglichener Haushalt so wichtig?

Carsten Schneider: In der Finanz- und Schuldenkrise hat sich bei Ländern wie Griechenland gezeigt, dass eine hohe gesamtstaatliche, aber auch private Verschuldung irgendwann zu Refinanzierungsschwierigkeiten führt. Die Gläubiger stellen infrage, dass ein Staat seine Schulden zurückzahlen kann, ohne frisches Geld zu drucken. Eine ganz entscheidende Frage ist deshalb, ob ein Staat noch unabhängig handeln kann, ohne dass ihn die Finanzmärkte am Gängelband führen und er exorbitante Zinsen an Geldanleger zahlen muss.

Aber schränken Einsparungen beim Haushalt nicht auch die Handlungsfähigkeit des Staates ein?

Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Koalitionsvertrag zusätzliche Ausgaben vor allem für Investitionen in Bildung, in die Kinderbetreuung und in die Infrastruktur von insgesamt 23 Milliarden Euro durchgesetzt, weil wir damit die Handlungsfähigkeit des Staates sichern wollen. Außerdem haben wir festgelegt, dass die Konsolidierung nicht zulasten von Kürzungen im Sozialbereich geht. In einer Rezession kann man natürlich Schulden machen und muss es auch. Aber wenn die Wirtschaft wieder wächst, muss man die Schulden auch wieder abbauen.

Ist der ausgeglichene Haushalt ein historisch einmaliger Akt oder langfristig möglich?

Wir haben uns dazu verpflichtet, dauerhaft auf neue Schulden zu verzichten. Die Einführung der Schuldenbremse hat hier einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Dabei ist es in schlechten Zeiten – notfalls mit Schulden – auch künftig möglich, gegenzusteuern, um die konjunkturelle Entwicklung zu stabilisieren. Aber in guten Zeiten müssen wir diese Schulden zurückführen. Das ist in den vergangenen 40 Jahren nicht passiert. Allerdings ist das ein zentraler Punkt. Wir wollen den zukünftigen Generationen noch politischen Handlungsspielraum ermöglichen. Mit einer zu hohen Staatsverschuldung haben wir den nicht mehr, dann zahlen wir nur noch Zinsen an die Investoren.

Trotzdem muss das Geld auch irgendwo eingespart werden. Geht der Haushalt auf Kosten von Investitionen?

Nein, diese steigern wir im Rahmen des derzeit Möglichen. Mittelfristig brauchen wir mehr Investitionen, gerade für den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur. Diese Investitionen müssen jedoch nicht zwingend über Schulden finanziert werden. Da müssen wir auch die Einnahmenseite in den Blick nehmen. Problematisch sind aber vor allem die seit Jahren fehlenden privaten Investitionen. Unternehmen schreiben mehr ab als sie investieren.

Wie kann die Politik denn mehr private Investitionen fördern?

Unternehmen investieren, wenn sie die Aussicht auf zukünftige Nachfrage und auf stabile politische Rahmenbedingungen haben. Dazu gehört auch eine verlässliche Finanzpolitik.

Wie steht es denn um die Finanzlage in den Kommunen, und was kann der Bund hier tun?

Die Lage der Kommunen ist sehr unterschiedlich. Es gibt Kommunen mit vollen Kassen, andere haben sehr hohe Defizite. Die Kommunen spielen für die SPD-Bundestagsfraktion eine ganz zentrale Rolle. Wir wollen vor allem denen helfen, denen es wirtschaftlich schlecht geht. Denn die Kommunen sollen nicht nur ihre Pflichtaufgaben erfüllen können, sondern auch Spielraum für weitere Zukunftsinvestitionen haben, sei es für die Kinderbetreuung oder für die Sanierung von Schulen. Wir stellen mit dem Haushalt 2015 zunächst noch einmal eine Milliarde Euro Entlastung vom Bund bereit. Mit 500 Millionen Euro davon übernehmen wir einen höheren Anteil an den Wohnungskosten für Arbeitslose. Das entlastet vor allem die schwächeren Kommunen. Bis zum Ende der Legislatur werden wir die Städte und Gemeindenum  5 Milliarden Euro im Jahr entlasten. Damit geben wir vielen Kommunen ihre finanzielle Handlungsfähigkeit zurück.

Auch bei der geplanten Neuordnung des Länderfinanzausgleichs geht es um finanzielle Handlungsfähigkeit. Die bisherigen Regelungen laufen 2019 aus. Warum ist das schon jetzt ein Thema?

Ganz einfach: Wir müssen frühzeitig Planungssicherheit für den Bund und die Länder schaffen. Es geht beim Länderfinanzausgleich um viel Geld, um fast 30 Milliarden Euro, wenn man den Solidaritätszuschlag dazu nimmt. Hier müssen sich alle Akteure darauf einstellen können, was ab 2020 auf sie zukommt. Dazu bietet sich eine große Koalition natürlich an, und deshalb haben wir uns das vorgenommen.

Welche Grundsätze hat die SPDFraktion dabei?

Wir wollen unseren sozialen Bundesstaat erhalten, so wie es auch im Grundgesetz steht. Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands sind das Ziel der SPDFraktion. Das heißt auch, dass wir den solidarischen Ausgleich unter den Ländern erhalten wollen.

Hat sich das bisherige System bewährt?

Absolut. Aus unserer Sicht kann der Länderfinanzausgleich so bleiben wie er ist. Er berücksichtigt die Leistungskraft eines Landes und gleicht die Einnahmen so aus, dass jedes Land seinen Aufgaben in der Bildungspolitik oder der inneren Sicherheit gerecht werden kann. Er sorgt zum Beispiel dafür, dass in Thüringen weiterhin eine sehr gute Schulausbildung gewährleistet werden kann. Davon profitiert dann eben auch Bayern, weil ein Teil der Thüringer Fachkräfte nach Bayern abwandert, dort arbeitet und wesentlich zur Wirtschaftsleistung im Land beiträgt.

Sie haben die Abhängigkeit von Staaten gegenüber den Finanzmärkten angesprochen. Zieht Europa mit der Bankenunion jetzt die richtigen Lehren aus der Finanzkrise?

Die Bankenunion ist zentral, um die Erpressbarkeit der Staaten durch globale Finanzkonzerne zu beenden. Die Kontrolle von weltweit tätigen Banken wird damit auf eine unabhängige europäische Behörde übertragen, die Europäische Zentralbank. Das führt dazu, dass international tätige Banken wie die Deutsche Bank deutlich besser kontrolliert werden können.

Warum brauchen wir diese Kontrolle auf europäischer Ebene?

Die großen Banken sind längst alle multinational aufgestellt. Ihnen können wir über nationale Kontrollen nicht beikommen. In der Finanzkrise mussten wir als deutscher Staat für Banken haften, die wir gar nicht kontrollieren konnten, zum Beispiel bei der Hypo Real Estate. Hier lag die Hälfte des Bilanzvolumens bei einer Tochterbank in Irland. Wir brauchen eine unabhängige Kontrolle, die riskante Geschäfte frühzeitig erkennt und dagegen vorgeht. In Zukunft gibt es diesen Aufseher in Form der EZB.

Wie soll in der Zukunft verhindert werden, dass Staaten mit Steuergeldern nochmal für marode Banken haften müssen?

Wenn eine große Bank Pleite geht, wird in Zukunft nicht mehr der Steuerzahler einspringen. Zuallererst müssen die Gläubiger und Aktionäre der Banken für die Verluste aufkommen. Wir schaffen dadurch endlich wieder marktwirtschaftliche Prinzipien im Finanzsektor. Wer ein großes Risiko eingeht, muss damit rechnen, sein Geld zu verlieren. Das wird auch zu einer Disziplinierung im Bankensektor führen. Viele riskante Geschäfte werden sich dadurch gar nicht mehr rechnen. Wir wollen, dass sich die Banken wieder auf ihre Dienstleitungsfunktion konzentrieren, nämlich das Geld von Sparern zu sammeln und es an Unternehmen zu verleihen.

Seit langem wird über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer diskutiert, um den Bankensektor an den Kosten der Krise zu beteiligen. Wann kommt sie?

Wir sind als SPD-Bundestagsfraktion extrem hinterher, dass wir die Steuer möglichst bald bekommen. Wir haben aufgrund der Finanzkrise enorme Kosten gehabt, die wir nur über neue Schulden finanzieren konnten. Der Finanzsektor als Verursacher der Krise hat dazu bis heute keinen Beitrag geleistet. Leider gibt es noch europaweite Widerstände, auch aus Ländern wie Frankreich oder Italien, die ihre Finanzplätze in Gefahr sehen. Wir müssen da weiter Druck machen bis zu dem Punkt, an dem wir sagen: Mehr Ausgabenprogramme und Konjunkturmaßnahmen in Europa gibt es mit der SPD-Fraktion nur, wenn wir auch bei der Finanztransaktionssteuer markante Fortschritte machen.