Zwar sah es eine Zeitlang so aus, als könnten sich Regierungs- und Oppositionsfraktionen nicht einigen, doch nun steht fest: Auf einen interfraktionellen Antrag von SPD, CDU/CSU, Grünen und Linksfraktion hin (Drs. 18/843), hat der Bundestag an diesem Donnerstag einen Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre eingesetzt.

Zuvor hatten sowohl die Koalitionsfraktionen (Drs. 18/483) als auch die Oppositionsfraktionen (Drs. 18/429) eigene Einsetzungsanträge eingebacht. Nach intensiven Verhandlungen im Geschäftsordnungsausschuss konnten sich alle Fraktionen auf einen gemeinsamen Text einigen – der nun (im Gegensatz zum ursprünglichen Antrag der Opposition) sämtlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.

Der Ausschuss soll acht Mitglieder (vier Union, zwei SPD, je einer Grüne und Linke) und ebenso viele Stellvertreter haben. Den Vorsitz übernimmt der Innenpolitiker der Union, Clemens Binninger. Sein Stellvertreter wird der SPD-Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger, promovierter Jurist. Obmann der SPD-Fraktion wird Christian Flisek, ebenfalls Jurist und erfahren in IT-Recht und Sicherheitsfragen.

Zu der Einigung mit der Opposition sagte die SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht: „Die Einigung ist ein sehr gutes Zeichen, dass in diesem Fall das gesamte Parlament mit einer Stimme spricht.“ Viele Bürgerinnen und Bürger stellten zu Recht drängende Fragen nach der Sicherheit und Integrität der elektronischen Kommunikation, so Lambrecht. Es sei deswegen wichtig, „die mögliche Verletzung von Bürgerrechten durch nachrichtendienstliche Tätigkeiten aufzuklären.“ Der U-Ausschuss werde sich auch intensiv damit beschäftigen, „welche Reformen nötig sind, um die Privatheit der elektronischen Kommunikation effektiver zu schützen und sicherzustellen, dass im Bereich der Nachrichtendienste nicht alles, was technisch möglich ist, auch angewandt wird.“

Christian Flisek sagte der Nachrichtenagentur dpa, er hoffe, dass der Ausschuss dazu beitrage, den Bürgern wieder mehr Vertrauen in die Kommunikation per Telefon und Internet zu geben. Er sei froh, dass sich alle Fraktionen auf einen Antrag geeinigt hätten. "Ich hoffe, dass sich dieses gemeinsame Vorgehen fortsetzt bei der eigentlichen Arbeit im Ausschuss." Wie viel Zeit das Gremium für seine Aufklärungsarbeit brauchen wird, sei noch nicht absehbar, sagte der SPD-Politiker. Schließlich könnten täglich neue Aspekte auftauchen, die für die Untersuchung relevant seien. "Wir stehen am Anfang der Wahlperiode", sagte er. Das sei gut, "weil wir nicht unter Zeitdruck arbeiten müssen." Flisek warb dafür, die Sitzungen wann immer möglich öffentlich abzuhalten.

Vor dem Plenum sagte Flisek am Donnerstag, eine Sicherheitsarchitektur müsse auf dem Fundament von Vertrauen aufgebaut werden. Freiheit und Vertrauen bedingten einander. Er konstatierte: "Politik muss hier lernen, dass sie Neuland betreten muss, sie muss das technische Internet besser verstehen".

In der Debatte am Donnerstagnachmittag wies SPD-Fraktionsvizin Eva Högl darauf hin, dass es bei der Aufklärung durch den Ausschuss nicht um Partikularinteressen im Bundestag gehen dürfe - darum sei der gemeinsame Antrag ein großer Erfolg. Zur Dimension des Untersuchungsauftrags sagte sie: "Es geht hier um die Wahrung der Grund- und Menschenrechte, das ist keine Kleinigkeit." Sie betonte, dass sich der U-Ausschuss vor allem mit der möglichen Verstrickung von staatlichen Stellen in Deutschland in die Abhöraktionen befassen werde. Zugleich stellte Högl klar: "Wir wollen keine diffusen oder pauschalen Abneigungen gegen die Arbeit der Nachrichtendienste fördern".

Untersuchungsauftrag

Demnach lautet der Auftrag des Ausschusses, zu klären, ob, in welcher Weise und in welchem Umfang durch Nachrichtendienste der Staaten der so genannten Five Eyes (USA; England, Kanada, Australien, Neuseeland) eine Erfassung von Daten über Kommunikationsvorgänge (einschließlich Inhalts-, Bestands- und Verkehrsdaten), deren Inhalte sowie sonstige Datenverarbeitungsvorgänge (einschließlich Internetnutzung und angelegter Adressverzeichnisse) von, nach und in Deutschland auf Vorrat oder eine Nutzung solcher durch öffentliche Unternehmen durch eben diese Staaten oder private Dritte erfasster Daten erfolgte bzw. erfolgt. Wichtig ist in dem Zusammenhang, herauszufinden, ob Stellen des Bundes, insbesondere die Bundesregierung, Nachrichtendienste oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik von derartigen Praktiken Kenntnis hatten, daran beteiligt waren, diesen entgegenwirkten oder aber Nutzen daraus zogen.

Im Zentrum der Untersuchungen sollen die Abhördienste NSA und GCHQ stehen, aus den USA bzw. England. Wurden durch ihre Überwachungsprogramme Daten (egal, ob Mail, SMS, social media oder sonstiges) einer Erfassung und Speicherung auf Vorrat sowie einer Kontrolle und Auswertung unterzogen, von der auch Kommunikations- und Datenverarbeitungsvorgänge von, nach und in Deutschland betroffen waren? Erfolgte so etwas bei deutschen Staatsangehörigen, die sich in einem der fünf genannten Länder oder in einem EU-Land aufhielten?

Inwieweit wurden diplomatische Vertretungen und militärische Standorte für Überwachungsvorgänge genutzt?

Gegen welche Rechtsvorschriften auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene verstießen oder verstoßen derartige Aktivitäten gegebenenfalls?

Müssen sich deutsche Dienste ändern?

Der Antrag listet Dutzende weitere Punkte zur Klärung auf, intendiert aber auch darauf, welche Empfehlungen zur Wahrung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der informationellen Selbstbestimmung, der Privatsphäre, des Fernmeldegeheimnisses und der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme sowie der sicheren und vertraulichen Kommunikation in der staatlichen Sphäre geboten sind.

Die Abgeordneten wollen zudem klären, ob rechtliche und technische Veränderungen am deutschen System der nachrichtendienstlichen Auslandsüberwachung nötig sind, um der Grund- und Menschenrechtsbindung deutscher Stellen vollauf gerecht zu werden.

Durch welche Maßnahmen rechtlicher organisatorischer oder technischer Art kann sichergestellt werden, dass der garantierte Schutz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation von, nach und in Deutschland bestmöglich verwirklicht wird, damit Bürgerinnen und Bürger sowie Träger von Berufsgeheimnissen und Zeugnisverweigerungsrechten und Träger von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen vor einer verdachtsunabhängigen Erfassung von elektronischen Kommunikationsvorgängen und deren Inhalten durch ausländische Nachrichtendienste geschützt werden?

Kurz gesagt: Welche Maßnahmen sind nötig, um die Bevölkerung, Unternehmen und öffentliche Verwaltung besser vor Internet- und Telekommunikationsüberwachung durch ausländische Stellen zu schützen?

Alexander Linden