Kommunalkonferenz zum Thema Flüchtlingspolitik

Das Land zusammenhalten

Letztendlich sind es vor allem die Kommunen, die die Hauptaufgaben in der Flüchtlingspolitik bewältigen müssen. Was sie erleben, was anders laufen muss, darüber haben 300 Bürgermeister und Landräte mit der SPD-Fraktion im Reichstagsgebäude in Berlin diskutiert. Der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Bernhard Daldrup moderierte die Konferenz.

Thomas Oppermann auf der Kommunalpolitischen Konferenz
(Foto: spdfraktion.de)

Mit einem ungewöhnlichen Vergleich eröffnete der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann seine Rede. Alle sprächen ja momentan von Verantwortungsgemeinschaft. Es gebe Sondergipfel auf EU-Ebene und des Bundes mit den Bundesländern. „Aber die Kommunen gehören auch dazu“, sagte Oppermann und stellte kurzerhand klar: „Dann ist das hier heute eine Sondersitzung der sozialdemokratischen Bürgermeister und Landräte.“

Oppermann erklärte, warum es vorübergehende Grenzkontrollen gebe – das hätten nicht zuletzt die Innenminister der Länder gefordert. „Wir müssen jetzt die Zeit nutzen, um erstmal alles in geordnete Bahnen zu lenken“, sagte Oppermann. Denn viele wollten zwar helfen, aber: „Man muss auch helfen können“. Hilfe und Solidarität müsse jetzt ganz Europa leisten.

Der Fraktionschef erklärte sich „maßlos enttäuscht“ über die EU-Innenminister, die sich nicht einigen konnten, Flüchtlinge gerechter zu verteilen. Es sei zwar klar, dass Deutschland als starkes Land auch weiterhin mehr Flüchtlinge aufnehme als andere Länder, und dennoch, so Oppermann: „Europa kann und wird die Flüchtlingskrise nicht aussitzen“.

Die 1 Milliarde Euro für 2015 und die 3 Milliarden Euro, die der Bund den Ländern und Kommunen 2016 gibt, reichten nicht aus, es bedürfe einer strukturellen Hilfe für die Gemeinden und Landkreise.

Auch Sigmar Gabriel, Vizekanzler und SPD-Parteichef, konzedierte in seiner Rede vor den Bürgermeistern und Landräten, dass diese Summe nicht reiche, „da muss auch für 2015 noch was passieren“. Gabriel begründete die temporären Grenzkontrollen Deutschlands auch mit Sicherheitsgründen, um prüfen zu können, wer da komme.
Er versicherte aber, am Asylrecht werde nichts verändert. Gabriel mahnte an, die Fluchtursachen stärker zu bekämpfen. Auch Deutschlands Möglichkeiten kämen nämlich an ihre Grenzen. Aber: „Europa hat sich wieder einmal blamiert“, konstatierte auch Gabriel mit Blick auf das Treffen der EU-Innenminister am Montagabend. 160.000 Flüchtlinge zu verteilen sei angesichts dessen, was Deutschland an Flüchtlingen aufnehme, „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Deshalb bedürfe es so genannter Hot Spots in Ländern wie Griechenland oder Ungarn, wo die Flüchtlinge dann bereits registriert und verteilt würden. Auch der Türkei müsse stärker geholfen werden. Überhaupt, so führte Gabriel aus, müssten die USA und Russland wieder an einen Tisch, um eine Lösung im Syrienkonflikt zu finden. Die USA müssten ebenso wie die Golfregion mehr Hilfe leisten, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen. Er sprach von rund 1,5 Milliarden Euro an Hilfe. Die gleiche Summe müsste Europa auch nochmal aufbringen.

Deutschland nicht nur Zahlerland in Europa

Ziemlich deutlich kritisierte Gabriel, dass Deutschland als Zahlerland in Europa auftrete „und alle machen mit, wenn sie Geld bekommen, und keiner macht mit, wenn Verantwortung zu tragen ist“. Er verlangte einen zeitnahen EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs. „Ich bin dafür, dass wir den Europäern klar machen, dass ganz Europa auf dem Spiel steht“, sagte Gabriel weiter. Die Flüchtlingskrise bedrohe die Union weit mehr als die Griechenlandkrise. „Und klar ist auch, wenn wir uns nicht einigen, dann ist die mittelfristige Finanzplanung Europas Schall und Rauch“, stellte der Vizekanzler deutsche Zahlungen für EU-Programme in Frage.

Für die Bundesländer und Kommunen liege das Problem der Flüchtlingszahlen nicht zuvorderst in deren Höhe, sondern in der Geschwindigkeit, in der sie kämen. Gabriel: „Es fehlt momentan noch eine vernünftige Flüchtlingsinfrastruktur“. Denn es dürfe nicht sein, dass durch die Kosten für die Flüchtlingsunterbringung plötzlich Schulen nicht mehr saniert würden. Deshalb sei er zum Beispiel für Wohnungsbau, aber nicht nur für Flüchtlingswohnungsbau, sondern für alle. Er erlebe, erzählte Gabriel weiter, dass diejenigen, die tagein, tagaus helfen, auch Ängste hätten und fragten: „Wie sollen wir das schaffen?“

Darum warb Gabriel für zwei Integrationsleitungen: die Asylsuchenden bestmöglich integrieren und die anderen nicht aus dem Blick verlieren und ebenfalls weiter integrieren. „Wie halten wir das Land zusammen“, sei die Leitfrage. Gabriel: „Wir brauchen den Realismus der Tat!“

Nicht die Fehler von früher wiederholen

Nach dem Input von Oppermann und Gabriel eröffnete Bernhard Daldrup die Diskussion.

Oberbürgermeister Frank Baranowski berichtete aus Gelsenkirchen. Er bekundete seine Sorge, dass die Stimmung in Deutschland bezüglich der Flüchtlinge kippt. Um das zu vermeiden, müsse der Bund mehr Gelder, aber auch Strukturen und Personal zur Verfügung stellen. Die Mitarbeiter vor Ort seien an der Grenze der Belastbarkeit. Er mahnte, nicht die Fehler aus der Gastarbeiter-Zeit aus den 60er- und 70er-Jahren zu wiederholen. „Wir müssen es jetzt anders machen“. Ziel sei es, die Schutzsuchenden sowohl räumlich als auch sozial zu integrieren. 

Anita Schneider, Landrätin aus dem Kreis Gießen, schilderte die besondere Lage in Hessen. Hier gab es bis ins Jahr 2015 lediglich eine Erstaufnahmestelle. Dort seien auch viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge angekommen, deren Betreuung besonders aufwändig sei. Es gebe ein massives Finanzierungsproblem. Sie forderte vor allem langfristige Perspektiven. Diese sollen Investitionen in die kommunale Infrastruktur sowie Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration und eine finanzielle Beteiligung an den Erstaufnahmestellen seitens des Bundes umfassen.

Die Sozialdezernentin der Stadt Dortmund, Birgit Zoerner, setzte sich für eine neue Verteilungslogik bei der Zuteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen ein: „Wir müssen das komplette System neu aufstellen“. Sie forderte zentrale Einrichtungen mit sozialer Infrastruktur als Erstaufnahmestellen, in denen die Flüchtlinge bis zum Abschluss ihres Verfahrens bleiben sollen. Hierbei sei es wichtig darauf zu achten, wo räumlich gesehen der nötige Platz für Flüchtlingsheime vorhanden ist. Sie betonte, diese Entscheidungen in Einklang mit der Bevölkerung zu treffen.

Berliner Erklärung

Im Rahmen der Konferenz verabschiedeten die SPD-Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker auch eine so genannte Berliner Erklärung. Darin formulierten sie ihre Forderungen an den Bund.

Zukünftig solle der Bund sich, beispielsweise in Form einer Pauschale, an den Kosten für die Erstaufnahme der Flüchtlinge beteiligen. Auch von den Kosten der medizinischen Versorgung der oftmals traumatisierten Flüchtlinge sollten die Kommunen entlastet werden. Weitere Investitionen sollten in die Bildung fließen und beispielsweise für Sozialarbeiterinnen und -arbeiter eingesetzt werden.

Neben der Forderung nach mehr Geldern müsse sich auch strukturell etwas ändern. Die Kapazitäten der Erstaufnahmestellen müssten erhöht und die Asylverfahren beschleunigt werden. Hierzu gehöre auch eine Aufstockung des Personals des Bundesamtes für Migration.

Um genügend Platz für die Schutzsuchenden zur Verfügung stellen zu können, müsse auch auf unbürokratische Mittel zurückgegriffen werden. Es sei notwendig, baurechtliche Vorschriften kurzfristig außer Kraft zu setzen.

Außerdem müsse, unabhängig von dem hohen Flüchtlingsaufkommen und den damit verbundenen Mehrkosten, die kommunale Leistungs- und Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Entlastungen des Bundes müssten direkt bei den Kommunen und Landkreisen ankommen. Andernfalls würden die, ohnehin stark variierenden, Lebensverhältnisse in den Kommunen auseinander driften.

 

Alexander Linden / Marco Werner

 

Impressionen von der Kommunalkonferenz 2015

Kommunalpolitische Konferenz zur Flüchtlingspolitik am 15.09.2015

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Der SPD-Fraktionschef und der Parteichef kritisieren die Verweigerungshaltung der EU bei der Flüchtlingsaufnahme. Sie fordern Hilfe und Solidarität von Europa.

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