Bei der Wahl in Berlin muss die SPD bangen und sich auf Verluste einstellen. War Mecklenburg-Vorpommern nur ein Ausnahmeerfolg?

Oppermann: Im Gegenteil! Michael Müller ist in Berlin der Kandidat, der mit Abstand am meisten Vertrauen genießt. Und die SPD ist die soziale Kraft, die sich für den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft und mehr bezahlbaren Wohnraum stark macht. Deswegen bin ich optimistisch.

Auch die SPD verliert an die AfD. Welche Konsequenzen müssen gezogen werden?

Oppermann: Wir wollen einen Staat, der öffentliche Sicherheit garantiert und sich um soziale Sicherheit kümmert. Nur so können wir die Sorgen der Menschen überwinden und Vertrauen in die demokratischen Institutionen zurückgewinnen. In der AfD gibt es Politiker, die offen völkisch und rassistisch argumentieren. Gegen die müssen wir klare Kante zeigen. Die meisten Wähler der AfD wollen ein Protestsignal setzen. Wenn die CSU weiter aggressive Töne gegen Flüchtlinge und Einwanderer anschlägt und mit den Rechtspopulisten in einen Wettbewerb um die härteste Polemik einsteigt, ist das Wasser auf die Mühlen der AfD.

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sagt selbst, es dürfe nicht nur Geld für Flüchtlinge ausgegeben werden. Bedient die SPD nun auch Sorgen der Menschen, die von der AfD gezielt schürt werden?

Oppermann: Nein. Uns geht es um den Zusammenhalt. Wir dürfen nicht Deutsche gegen Flüchtlinge ausspielen. Das muss die Grundregel der Integration sein. Wir haben in unserem Land viele soziale Defizite. Diese müssen wir gezielt angehen. Das darf wegen der Integration der Flüchtlinge nicht aufgeschoben werden. Sonst bilden Neid und Missgunst einen Nährboden für rassistisches Gedankengut.

Für das Wochenende rufen die  Gewerkschaften zu Großdemonstrationen gegen die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta auf. Am Montag kommt es beim SPD-Konvent zum großen Showdown mit der Entscheidung über das EU-Kanada-Abkommen. Wie wollen Sie die vielen kritischen Delegierten noch auf Ihre Seite ziehen?

Oppermann: Ich bin zuversichtlich, dass der Leitantrag des Parteivorstandes eine Mehrheit findet. Ceta soll in die parlamentarische Beratung, und dann können wir noch Klarstellungen und Präzisierungen vornehmen. Jetzt ist die Stunde der Parlamente, die EU-Kommission hat lange genug verhandelt. Ceta kann das beste Freihandelsabkommen werden, das es auf der Welt gibt.

Wäre ein knappes 60:40 für den Vorstandsantrag ein gutes Ergebnis, oder wären Sie dann gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen?

Oppermann: Wir werden am Ende ein klares Ergebnis bekommen. Auch viele Kritiker von Ceta wollen ja nicht um den Lohn ihrer Arbeit betrogen werden. Sie haben sich für Verbesserungen eingesetzt. Und das ist gelungen, obwohl die Verhandlungen eigentlich schon abgeschlossen waren. Die privaten Schiedsgerichte zum Beispiel sind durch einen öffentlichen Handelsgerichtshof ersetzt worden. Die SPD ist die einzige Partei, die sich um die Inhalte dieser Handelsverträge kümmert. Die Union signalisiert, dass sie in jedem Fall zustimmt – egal was im Abkommen steht. Grüne und Linke sind in jedem Fall dagegen – egal was drin steht. Wir sind die Kraft die versucht, Globalisierung zu gestalten. Das wird auch eine Mehrheit der Delegierten so sehen.

Hat Gabriel TTIP nicht nur deshalb für gescheitert erklärt, damit die Basis Ceta akzeptiert und seinem Kurs folgt …?

Oppermann: TTIP und Ceta sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Bei TTIP gibt es überhaupt keinen Verhandlungsfortschritt, noch nicht mal vorläufige Vereinbarungen. Beide US-Präsidentschaftskandidaten signalisieren, dass sie mit den Verhandlungen nicht zufrieden sind. Deswegen gehen fast alle Beteiligten davon aus, dass es vor dem Präsidentenwechsel im Februar in den USA zu keinem Abschluss kommt. Was danach passiert, ist völlig offen.

Kann Herr Gabriel Kanzlerkandidat werden, wenn es für ihn schief geht beim Parteikonvent?

Oppermann: In Wolfsburg geht es nicht um einen Kanzlerkandidaten, sondern um einen Antrag, hinter dem die gesamte Partei- und Fraktionsspitze steht. Wir sind davon überzeugt, dass ein guter Freihandelsvertrag unserem Land nutzt. Millionen Arbeitsplätze hängen bei uns vom Export ab, deswegen muss der internationale Handel geregelt sein. Die Nachverhandlungen mit Kanada sind sehr erfolgreich gewesen. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den weiteren Gesprächen noch etwas bewegen können.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl: Sind Sie wirklich sicher, dass die SPD im kommenden Jahr den Kanzler stellen kann?

Oppermann: Das ist unser Ziel und wir können es erreichen. Unser Parteisystem ist im Umbruch. Die Karten werden neu gemischt. Die SPD arbeitet daran, gestärkt aus dieser Situation herauszukommen.

An Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat führt kein Weg mehr vorbei?

Oppermann: Wir werden unseren Kanzlerkandidaten im Frühjahr 2017 bestimmen. Als Parteivorsitzender hat Sigmar Gabriel natürlich den ersten Zugriff.

Kanzlerin Angela Merkel hat sich bisher noch nicht festgelegt, ob sie wieder antritt. Ist das eher eine Chance oder ein Problem für die SPD?

Oppermann: Die Union hat sich in einen tiefen Konflikt hineinmanövriert. Ich sehe nicht, wie sie da wieder herauskommen soll. Der Streit zwischen Merkel und Seehofer findet immer neue Höhepunkte. Wenn die Union so weitermacht, verliert sie ihre Regierungsfähigkeit und demontiert die eigene Kanzlerin. Es ist nie gut, gleichzeitig Regierung und Opposition sein zu wollen.

Beim letzten Koalitionsgipfel gab es keine Ergebnisse. Droht jetzt ein Jahr Dauerwahlkampf?

Oppermann: Die Menschen erwarten von uns ernsthafte, sorgfältige Arbeit. Beim Koalitionsausschuss am 6. Oktober müssen wir uns auf alle verbleibenden Vorhaben für die nächsten Monate verständigen. Dazu zählt die Verabschiedung des Gesetzes zu Leiharbeit und Werkverträgen, das Bundesteilhabegesetz, die Angleichung der Ost-Renten, die Modernisierung der Pflegeberufe, die Entgeltgleichheit und die mit der Integration der Flüchtlinge verbundenen Aufgaben. Da brauchen wir jetzt Klarheit.

Warum blockiert die SPD eigentlich die Pläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für eine Erhöhung von Kindergeld und Freibeträgen sowie zur Steuerentlastung?

Oppermann: Wir blockieren nichts! Uns geht es darum, Familien in Deutschland stärker und umfassender zu entlasten als Schäuble es will. Er schlägt ja nur das vor, was ohnehin kommen muss. Besonders für Alleinerziehende müssen wir noch mehr tun. Viele von ihnen haben eine Dreifachbelastung. Sie erziehen ihre Kinder, machen ihren Job und viele müssen auch noch damit zurechtkommen, dass sie vom früheren Partner keinen Unterhalt bekommen. Die SPD will, dass der Unterhaltsvorschuss bis zur Volljährigkeit gezahlt wird.

Thema Flüchtlingspolitik: Horst Seehofer fordert eine Obergrenze, Sigmar Gabriel spricht sich für Kontingente aus - ist man sich in der Großen Koalition in der Flüchtlingspolitik nicht viel näher als gedacht?

Oppermann: Horst Seehofer will von Angela Merkel das Eingeständnis, dass sie in der Flüchtlingskrise schwere Fehler begangen hat. Das ist eine innerparteiliche Auseinandersetzung in der Union. Unser Ziel ist nicht, dass möglichst viele Menschen kommen, sondern dass möglichst wenig Menschen fliehen müssen. Deswegen ist entscheidend, dass wir die Fluchtursachen sehr viel entschlossener bekämpfen und die Außengrenzen besser schützen. Die Aufnahme von Flüchtlingen muss in geordnete Bahnen gelenkt werden. Das geht am besten mit verabredeten Kontingenten und einer schnellen Integration derer, die auf diesem Weg zu uns kommen.

Gerade erst sind wieder IS-Mitglieder festgenommen worden, die mutmaßlich zu einer Schläferzelle in Norddeutschland gehören. Die Männer waren als Flüchtlinge eingereist. Hat die Politik der offenen Grenzen nicht zu einem gewaltigen Sicherheitsproblem geführt?

Oppermann: Der aktuelle Fall zeigt ja, dass unsere Sicherheitsbehörden wachsam sind und hervorragende Arbeit leisten. Das setzt aber voraus, dass der Staat beim Prozess der Aufnahme die Kontrolle behält und kein Flüchtling unregistriert zu uns kommt. Eine Balkanroute etwa, auf der kriminelle Schlepper entscheiden, wer zu uns kommt, darf es nicht mehr geben.