Gegenstand der Beratung waren 2 Textentwürfe der Projektgruppe 1, jeweils einer der Koalition und einer der Opposition. Der Koalitionstext fand trotz schwarz-gelber Mehrheit in der Projektgruppe keine ausreichende Zustimmung, so musste die Projektgruppe 1 zwei gleichberechtigte Texte in die Kommission geben.

Einschätzung der SPD

Die Sprecherin der SPD, Edelgard Bulmahn, stellte fest, dass beide Berichte neben Unterschieden auch Gemeinsamkeiten aufweisen. So gäbe es beispielsweise an zwei zentralen Stellen einen Konsens über die Bedeutung des Wachstums für die Gesellschaft. Demnach sei erstens wirtschaftliches Wachstum an sich kein Ziel, sondern ein Instrument zur Erreichung wichtiger gesellschaftspolitischer Ziele wie vor allem der Teilhabe am Arbeitsmarkt, Kultur sowie Bildung und Wissenschaft. Zweitens würden bei der Bewältigung der Herausforderungen die Ausbildung, Qualifikation, Kenntnisse und Kompetenzen der Menschen eine entscheidende Rolle spielen.

Eine wichtige Unterscheidung zwischen beiden Berichten bestehe darin, dass der Bericht der Oppositionsfraktionen am Anfang ausführlich darlege, warum die Enquete-Kommission eingerichtet worden sei. Diese Gründe seien die schwerwiegenden internationalen Krisen der letzten Jahre, die zunehmende Kluft zwischen arm und reich sowie die deutlich spürbare Klimaveränderung und die zunehmenden Umweltbelastungen. Diese Entwicklungen seien kein Betriebsunfall der Gesellschaft bzw. des Wirtschaftssystems, sondern hätten tiefer liegende Ursachen.

Anschließend enthalte der Oppositionsbericht wie der Koalitionsbericht einen Rückblick auf die letzten Jahrzehnte und eine Begründung, warum das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr ein ausreichender Maßstab für Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität sei. Die Oppositionsfraktionen seien der Auffassung, dass zusätzlich zum Bruttoinlandsprodukt soziale und auch ökologische Indikatoren notwendig seien, um immer wieder Entwicklungsziele und Entwicklungsinstrumente kritisch überprüfen zu können.

Weiterhin enthalte der Oppositionsbericht wichtige Aussagen zur Verbindung von Wachstum mit den Bereichen öffentliche Haushalte, Finanzmärkte, Umwelt, Unternehmen und Beschäftigung. Bei der Beschreibung der Herausforderungen unterscheide sich der Bericht im Bereich Bildung von dem der Koalition darin, dass eine Korrektur der Schwächen des Bildungssystems wie der zu geringen Durchlässigkeit und des zu hohen Anteils junger Menschen, die scheitern, gefordert werde. Die entsprechenden Vorschläge bestünden vor allem in einer deutlichen Verbesserung der Qualität der frühkindlichen Bildung, einem deutlichen Ausbau von Ganztages-Kindertagesstätten und –Schulen sowie einer deutlich besseren tertiären Bildung. Dafür sei eine bessere Finanzierung des Bildungssystems mit Investitionen von ca. 20 bis 25 Milliarden Euro jährlich erforderlich.

Als Fazit werde die Schaffung eines sozial-ökologischen Regulierungsrahmens für eine nachhaltige Entwicklung vorgeschlagen, damit es sowohl Wirtschaftswachstum als auch eine Entwicklung in den genannten Bereichen in die richtige Richtung gebe.

Die Unzulänglichkeiten des schwarz-gelben PG-1-Berichts und die entsprechenden Maßnahmen der Opposition im Einzelnen:

  • Die Koalition betrachtet die öffentlichen Aufgaben lediglich von der Zahlenseite. Schulen, Forschungseinrichtungen, Straßen und Krankenhäuser sieht sie nur als Kostenfaktor. Verschuldung sei eine Wachstumsbremse. Als Lösung hat die Koalition lediglich technische Schuldenregeln vor Augen.

    Die Opposition analysiert den Zusammenhang umfassend. Sie zeigt, wie eine angemessen umfangreiche, qualitativ hochwertige Aufgabenerbringung des Staates (Sozial- und Investitionsstaat) mit ausgeglichenen Staatshaushalten zu vereinbaren ist. Ein zentrales Mittel ist dabei neben der Streichung umweltschädlicher Subventionen, die Erhöhung der Einnahmeseite, gerade in den Bereichen, in denen Deutschland im internationalen Vergleich und im Zeitverlauf sehr geringe Steuern erhebt.

  • Die Koalition verharmlost die Finanzkrise. Sie verlässt sich immer noch auf die gescheiterten Modelle, die Wachstum durch deregulierte Finanzmärkte versprechen. Die Koalition ignoriert die gesellschaftlichen Krisenursachen wie Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen sowie die Entkopplung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft.

    Die Opposition hingegen analysiert Vor- und Nachteile der integrierten Finanzmärkte und zeigt, warum die Finanzmärkte kaum mehr der Gesellschaft dienen. Sie zeigt, dass die Bedeutung der Finanzmärkte für die Unternehmensfinanzierung geringer ist als vielfach angenommen und dass sich die Finanzspekulation von der Realwirtschaft entkoppelt hat. Schließlich werden Ansatzpunkte für eine umfassende Finanzmarktreform erläutert.

  • Ein Kapitel Wachstum und Umwelt fehlt bei der Koalition völlig. Dieser zentrale Zusammenhang wird von schwarz-gelb schlicht nicht thematisiert. Stattdessen finden sich im Text Hinweise darauf, dass „Anstrengungen für die Umwelt“ in reicheren Volkswirtschaften ausgeprägter seien.

    Die Opposition hingegen zeigt eine realistische Einschätzung des konfliktbehafteten Verhältnisses von Wachstum und Umweltnutzung auf. Wachstum verbraucht Ressourcen und belastet die Umwelt. Dieser Zusammenhang ist gestaltbar (Entkopplung), aber nur unter großen Anstrengungen. Die Opposition zeigt zudem die Modernisierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten einer grünen Wirtschaft auf.

  • Die Koalition sieht beim Zusammenhang von Wachstum und Beschäftigung die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts als zentrale Stellschraube. Die negativen Wirkungen nimmt der Koalitionstext zwar zur Kenntnis, dies führt aber nicht zu einer Forderung nach Regulierung prekärer Beschäftigung. Dies zeigt sich besonders deutlich daran, dass der Koalitionstext „workfare“ und Kombilohnmodelle fordert: Rezepte aus der neoliberalen Mottenkiste, die so nicht mal die Bundesregierung betreibt.

    Der Oppositionstext widmet sich den institutionellen Rahmenbedingungen von Wachstum und Beschäftigung, denn diese bestimmen letztlich wer durch Wachstum in Arbeit kommt und auch in welche Arbeit. Der Text stellt fest, dass die Zahl der Erwerbstätigen erfreulicherweise zunimmt, diese sich aber ein sinkendes Beschäftigungsvolumen teilen. Atypische Beschäftigungsverhältnisse haben sich ausgedehnt und sind oft prekär. Besonders Frauen sind unfreiwillig teilzeitbeschäftigt. Nicht weitere Deregulierung, sondern eine Politik der Guten Arbeit ist die Lösung, verbunden mit einer geschlechtergerechten Erwerbsbeteiligung, besserer Bildung und Qualifizierung und Modelle zur Verkürzung der Durchschnittsarbeitszeit.

  • Der Koalitionstext zu Wachstum und Verteilung zeigt einige Trends des Auseinanderklaffens von Einkommen und Vermögen auf. Verantwortlich für die Spaltung macht die Koalition lediglich Faktoren wie technischen Fortschritt und Globalisierung, die Rolle der Politik vernachlässigt er. Kein Wort zur Steuerpolitik. Entgegen der aktuellen Studien (DIW, Armuts- und Reichtumsbericht) spricht sie von einem „Ende des Spaltungstrends“. Dieses Ende gibt es aber nicht.

    Dagegen analysiert die Opposition umfassend die zunehmende Ungleichverteilung und soziale Spaltung. Sie hebt Niedriglöhne und Altersarmut als wichtigste Probleme hervor. Die Opposition fordert eine progressivere Gestaltung der Einkommensbesteuerung, mehr Steuern auf Vermögen sowie Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit.

  • Der Koalitionstext über Demographie und Bildung bezieht sich einzig auf die Nutzbarmachung der Bildung als Ressource gegen den demographischen Wandel. Kein Wort zu den Ungerechtigkeiten im Bildungssystem, die die bessere Qualifizierung vieler junger Menschen verhindern. Statt die Ungerechtigkeiten abzubauen will die Koalition eine „bessere Lenkung“ und eine „bessere Arbeitsteilung“ organisieren.

    Der Oppositionstext hingegen analysiert die Frage der Bildung ganzheitlich aus individueller und gesamtgesellschaftlicher Sicht. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels wird zudem analysiert, wie das deutsche Bildungssystem viele Begabungsreserven nicht ausschöpft. Diese Schwächen zu beseitigen ist gesellschaftspolitisch und volkswirtschaftlich dringend geboten. Es braucht eine Erhöhung der Bildungsausgaben und eine stärkere Wertschätzung der Bildungsinstitutionen.

  • Die Koalition beschreibt den demographischen Wandel als einen Sachzwang der sozialpolitische Errungenschaften in Frage stellt. Durch den demographischen Wandel würde die Erwerbsbevölkerung kleiner und weniger innovativ, Wachstumseinbußen seien die Folge. Der Schuldenabbau sei so schwieriger und insbesondere die Sozialversicherungen geraten unter Druck.

    Die Opposition hingegen betrachtet den Komplex demographischer Wandel und Finanzpolitik nüchterner als Herausforderung, nicht als Schreckgespenst. Durch den demographischen Wandel nehmen die Sozialausgaben tendenziell zu. Der Sozialstaat braucht eine breitere Finanzierungsgrundlage, damit alle Einkommensarten beteiligt werden. Und mehr Erwerbstätige in sozialversicherungspflichtiger Arbeit entlasten die Sozialsysteme. Vor allem muss die Benachteiligung von Frauen und Personen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt aufhören.

 

Dokumente

Tagesordnung:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/tagesordnungen/archiv/26-_14_01_2013.pdf

Bericht der Opposition:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Kommissionsdrucksachen/84_neu_Oppositionsbericht_PG_1.pdf

Bericht der Koalition:
http://www.bundestag.de/bundestag/gremien/enquete/wachstum/Kommissionsdrucksachen/83_Koalitionsbericht_PG_1.pdf