SPD fordert klare Position der Kanzlerin beim G20-Gipfel
Auch der G20-Gipel Anfang November in Cannes nimmt sich dem Thema „Soziale Sicherung“ an und hat diesen auf der Tagesordnung stehen. Karin Roth forderte daher in ihrer Bundestagsrede Angela Merkel auf, sich stärker für den Auf- und Ausbau solidarisch finanzierter und sozialer Sicherungssysteme in Entwicklungsländern einzusetzen. Zudem erwartet die SPD Fraktion, dass Entwicklungsminister Niebel die Zeichen der Zeit und damit die Wichtigkeit sozialer Sicherung für die Armutsbekämpfung erkennt, und seine Fehlentscheidung, die entsprechende Zielgröße im Haushalt ersatzlos zu streichen, korrigiert.
Rede Karin Roth "Soziale Sicherung als Motor solidarischer und nachhaltiger Entwicklungspolitik" vom 27.10.2011
Alarmierende Zahlen
Jedes Mitglied der Gesellschaft hat das Recht auf soziale Sicherheit – überall auf der Welt. Bereits 1948 wurde dies in Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verbindlich verankert und 1966 durch den „VN-Sozialpakt“ noch einmal erneuert und konkretisiert. Dennoch leben noch heute etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung ohne Absicherung gegen elementare Lebenskrisen, wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder beim Tod eines Ernährers oder einer Ernährerin in der Familie.
Besonders eklatant sind die Gefahren und Risiken, wenn es um die Gesundheit der Menschen geht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat festgestellt, dass jedes Jahr etwa 150 Millionenen Menschen ruinierenden Gesundheitsausgaben ausgesetzt sind. 100 Millionen Menschen fallen allein deshalb unter die Armutsgrenze, weil sie Gesundheitsleistungen wie Arztbesuche oder Medikamente direkt aus eigener Tasche zahlen müssen. Viele verzichteten daher auf wichtige Ausgaben für Nahrungsmittel und Behandlungen im Krankheitsfall – ein Teufelskreis aus Armut, Krankheit und sozialer Unsicherheit entsteht. Krankheit stellt so für die Menschen in Entwicklungsländern ein besonderes Armutsrisiko dar. Umso wichtiger ist es den Auf- und Ausbau diskriminierungsfreier und solidarischer, also durch Steuern wie auch Beiträge finanzierte Gesundheitssysteme voranzutreiben. Stefan Rebmann, der ebenfalls für die SPD-Fraktion im Plenum sprach, sagte: „Soziale Sicherheit ist ein Menschenrecht. Es ist höchste Zeit, dass wir den Menschen in den Entwicklungsländern zu ihrem Recht verhelfen.“
Rede Stefan Rebmann "Soziale Sicherung als Motor solidarischer und nachhaltiger Entwicklungspolitik" vom 27.10.2011
Soziale Sicherung setzt ökonomische Potenziale frei
„Soziale Sicherung muss integraler Bestandteil unserer nachhaltigen Entwicklungspolitik sein.“, sagte Roth. Soziale Sicherung setze auch Potenziale für die Wirtschaft eines Landes frei. Wer sich nicht permanent Sorgen machen müsse, dass Krankheit oder ein anderes Lebensrisiko alles Erreichte wieder zunichte macht und wer das Nötigste zum Leben hat, der könne produktiv tätig werden und zum wirtschaftlichen Wachstum beitragen. Soziale Sicherungssysteme sind sowohl Ausgangsbedingung für ein breitenwirksames und inklusives Wirtschaftswachstum als auch ein Instrument der strukturellen Armutsbekämpfung. „Dabei geht es uns nicht um Wachstum um jeden Preis.“, sagte Roth. Es gehe vielmehr darum, in den Ländern ein nachhaltiges Wachstum mit sozialen und ökologischen Standards zu schaffen. Auch Stefan Rebmann betonte: „Soziale Sicherung und menschenwürdige Arbeit, sind eine Grundvoraussetzung für eine strukturelle Armutsbekämpfung.“
Grundprinzip der Solidarität
Um die über 90 Prozent der Menschen, die in Schwellen- und Entwicklungsländern im sogenannten informellen Sektor arbeiten und damit von sozialen Sicherungssystemen ausgeschlossen sind, in eben diese zu integrieren, muss in allen Ländern ein Basisschutz erreicht werden. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die WHO haben mit dem „Social Protection Floor“ bereits ein Konzept entwickelt. Darin enthalten sind vier essentielle Bereiche sozialer Sicherheit, unter anderem eine garantierte Mindestgesundheitsversorgung für alle. „Dieses Konzept ist keine Blaupause für alle Länder“, betonte Roth. Stattdessen sollen auf Grundlage dieses Konzeptes Systeme entwickelt werden, die an die speziellen Bedürfnisse der Länder angepasst werden. Die ILO hat außerdem festgestellt, dass soziale Sicherungssysteme auch für Niedrigeinkommensländer finanzierbar sind. Voraussetzungen sind ein transparentes Steuersystem und eine Mischung aus nationalen Steuermitteln, Beitragsaufkommen sowie der Unterstützung internationaler Geber. Roth sagte dazu: „Die SPD setzt auf das Grundprinzip der Solidarität.“
Forderungen der SPD im Detail
Ein überfraktionell getragener Beschluss des Bundestages hatte 2008 dazu geführt, dass „Soziale Sicherung“ als thematische Zielgröße im Haushalt des BMZ (Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) verankert wurde. Nach der Bundestagswahl 2009 wurde aber eben diese Zielgröße von der neuen BMZ-Leitung unter Dirk Niebel wieder abgeschafft. Anders als multinationale Institutionen wie die Weltbank, die sich verpflichten, den Aufbau sozialer Sicherungssysteme in Entwicklungsländern zu unterstützen, wendet sich die schwarz-gelbe Regierung davon ab. Die SPD-Bundestagfraktion fordert in ihrem Antrag die Bundesregierung daher unter anderem auf,
- den Aufbau von Systemen solidarischer sozialer Sicherung in Schwellen- und Entwicklungsländern zum integralen Bestandteil einer menschenrechtlich orientierten und nachhaltige Entwicklung befördernden deutschen Entwicklungspolitik vorwiegend in Kooperationen multinationaler Institutionen wie ILO, WHO, Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank und anderen zu machen;
- die Förderung von Good Governance-Strukturen, Unterstützung beim Aufbau effizienter Verwaltungs- und Steuersystemen sowie die Bedeutung von Budgethilfe beim Auf- und Ausbau nachhaltiger sozialer Sicherungssysteme anzuerkennen;
- sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Umsetzung des von den VN getragenen Konzepts eines Social Protection Floor und für ein grundlegendes VN-Übereinkommen über die Einführung sozialer Sicherungssysteme als wesentliches sozial- und entwicklungspolitisches Instrument einzusetzen;
- die Bedeutung sozialer Sicherheit als Menschenrecht stärker im neuen Menschenrechtskonzept der Bundesregierung zu verankern;
Darüber hinaus ist laut SPD-Bundestagsfraktion eine Strategie zu globalen Gesundheitsfragen dringend notwendig, um den Auf- und Ausbau diskriminierungsfreier, effizienter, ganzheitlicher und solidarischer Gesundheitssysteme voranzutreiben. Auf europäischer Ebene soll auf eine bessere Kohärenz und Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit hingewirkt werden. Dem Bundestag soll zudem über das deutsche Engagement und die Fortschritte beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme in der Entwicklungszusammenarbeit Bericht erstattet werden.